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11.04.09 / Mit stolzen Selbstbewußtsein neu erblüht / Das sorbische Volk pflegt Sprache, Identität und Traditionen − Jahrhunderte zwischen Dominanz, Assimilation und Koexistenz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-09 vom 11. März 2009

Mit stolzen Selbstbewußtsein neu erblüht
Das sorbische Volk pflegt Sprache, Identität und Traditionen − Jahrhunderte zwischen Dominanz, Assimilation und Koexistenz

Auch dieses Jahr sind an Ostern die „Krizerjo“ wieder unterwegs, sorbische Osterreiter in der Oberlausitz um Bautzen. Seit 1490 ist diese Tradition aktenkundig, die nicht einmal im Frühjahr 1945 unterbrochen wurde.

Rund 1500 katholische Sorben reiten in neun „Zügen“, die einander nicht kreuzen dürfen, durch ihre Heimatregion – unter Kirchenfahnen sorbische Kirchenlieder und Gebete intonierend, vorbei an Häusern mit der blau-rot-weißen Sorbenflagge, am Wegrand von einer multiethnischen Zuschauerschaft aus Deutschen, Sorben, Polen, Tschechen und anderen begeistert begrüßt. Lausitzer Deutsche bleiben auch in Bayern Deutsche – Sorben können ihre Ethnizität nur im Bannkreis sorbischer Landsleute, Schulen, Zeitungen etc. behaupten, und wenn die „Krizerjo“ vorbeitrappeln, fühlt sich der sorbische Mikrokosmos am „sorbischsten“.

Erst das wiedervereinte Deutschland verhalf den Sorben zu diesem stolzen Selbstbewußtsein. Seit Oktober 1991 wird ihre ethnokulturelle Autonomie von der „Stiftung für das sorbische Volk“ getragen, die schon im Namen Fairness bewies: Sorben sind keine „Minderheit“ in Deutschland, sondern ein eigenes „Volk“. „Vom großen Stamm der Slawen sind wir der kleinste Zweig“, sang vor Jahren Jurij Brezan (1916–2006), Nestor der modernen sorbischen (und ostdeutschen) Literatur. Ähnlich die Stiftungs-Statut: Da „das sorbische Volk jenseits der Grenzen Deutschlands keinen Mutterstaat hat“, sei es deutsche Ehrensache die mit etwa 80000 Angehörigen kleinste Slawennation in fürsorgliche Obhut zu nehmen.

Die Sorben, 631 in der Chronik des Fredegar erstmalig erwähnt, haben in den anderthalb Jahrtausenden ihrer Geschichte die drei Modelle erfahren, die im Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien immer gelten: Assimilation, Dominanz, Koexistenz. Sorben assimilieren wollten preußische und sächsische Könige, was ihnen partiell auch gelang: 1800 gab es 250000 Sorben, 1910 noch 111000, aber die waren sprachlich, ethnisch und kulturell so gefestigt, daß sie weiterer Assimilierung trotzen konnten.

2008 gedachten die Sorben des 100. Geburtstages ihres charismatischen Volkstumsführers Pawol Nedo (1908–1984), unter dem sie zwei Phasen deutscher Dominanz überstehen mußten. Nedo, seit 1933 Leiter des Sorbenverbands „Domowina“ (Heimat), bemühte sich um einen Modus vivendi mit Hitlers Regime. Dieses fürchtete Unmut beim Vatikan und in der Tschechoslowakei, die traditioneller Rückhalt der Sorben war, und behandelte sie zunächst zurückhaltend. Als es sie aber als „Wendisch sprechende Deutsche“ vereinnahmen wollte und Nedos Sorben sich dem verweigerten, kam 1937 der Kahlschlag: Alle sorbischen Vereine, Verlage, Medien etc. wurden geschlossen, das Sorbische in der Öffentlichkeit verboten.

„In diesem Haus leben Slawen, Lausitzer Sorben“, stand in russischer Sprache auf roten Zetteln, die im Frühjahr viele sorbische Häuser vor sowjetischen Besatzeruntaten schützten. Schon am 10. Mai 1945 konnte sich die „Domowina“ als erste politische Vereinigung in Nachkriegs-Deutschland erneut konstituieren, wieder geführt von dem erfahrenen Nedo. Die Lausitz wurde zum Objekt vieler Begierden, in Polen und der Tschechoslowakei forderten starke Verbände ihre polnische oder tschechische Vereinnahmung, wofür sich auch Fürsprecher unter den Sorben fanden. Die aber wollten sich eher „mit den Tschechen um ihre Heimat schlagen“ (wie Jurij Brezan 1989 in seiner Autobiographie bekundete), und die Sowjets dachten nicht daran, die kohlereiche Lausitz aus ihrer Besatzungszone amputieren zu lassen. Wohl aber zwangen sie ihre Ost-Berliner Satrapen, den Sorben weitreichende Konzessionen in Kultur, Bildung, Sprache etc. zu machen. Diese orientierten sich zunehmend auf Titos Jugoslawien, was ihnen nach Ausbruch des Stalin-Tito-Konflikts 1948 zum Verhängnis wurde. Erprobte Sorbenführer wurden durch „sorbisch Abgelohnte“ (J. Brezan) ersetzt, die Sorben und Sorbisches im SED-Sinne manipulierten.       

„Sozialistische Landwirtschaft“, also Zwangskollektivierung, zerstörte sorbische Dorfkultur – forcierter Braunkohlenabbau devastierte weite Teile des sorbischen Siedlungsgebiets. SED-„Schulreformer“ schafften am 30. April 1964 den Sorbischunterricht für Kinder ab – ein Schlag, von dem sich die Sorben nie ganz erholten. Die Sorben hielten dagegen, Autoren wie Jurij Koch prangerten in ihren Werken die Zerstörung der Lausitz an und die faktische Apartheid, welche die SED gegen Sorben praktizierte. Kirche und sorbische Kulturschaffende gingen ein Trutzbündnis ein, das bei der Edition sorbischer Literatur die SED oft genug überrumpelte. Die griff zu bekannten Brachialmethoden: In dem Städtchen Ottendorf-Okrilla (im Kreis Bautzen, aber schon knapp außerhalb des sorbischen Sprachgebietes) wurde der Bau eines Konzentrationslagers für sorbische Intellektuelle und Oppositionelle geplant.

Sorbische Uhren standen im Wendeherbst 1989 wahrhaft auf Fünf vor Zwölf. Bis Oktober 1990 arbeitete noch die berüchtigte Stasi-„Abteilung für Sorbenfragen“, am Ende vor allem an der Verbrennung ihrer Dossiers. Die Rückkehr zu sorbischem Freimut und Gemeinsinn lief rasch und gründlich ab.

Noch besteht in den neuen Bundesländern das Verdikt, die Sorben seien die „Hätschelkinder der SED“ gewesen. Sie waren es nie, aber nur bei ihren Osterritten konnten sie beweisen, daß sorbisches Leben trotz der SED fortbestand – getragen vom „magischen Viereck“ aus sorbischer Sprache, slawischer Identität, Lausitzer Kultur und sorbisch-katholischer Spiritualität. Einst waren 90 Prozent der Sorben Lutheraner, heute gibt es nur noch wenige in der Niederlausitz um Cottbus, während sorbisches Leben sich nur noch in der Oberlausitz hält.

Koexistenziell leise, wenn etwa die sorbische Bundestagsabgeordnete Maria Michalkowa dem Parlament „Wesjole Jutry“ (Frohe Ostern) wünscht – oder majestätisch, wenn 1500 „Krizerjo“ am Oster-Dienstag im Kloster Marienstern Choräle singen, die das Kirchendach anheben. Dann spürt man, wie recht der sorbische Klassiker Jakub Bart-Cisinski hatte: „Nie, nie wird mein Sorbenvolk vergehen!“ Wolf Oschlies

Foto: Auch in der (einst) evangelischen Niederlausitz um Cottbus halten viele junge Leute sorbische Traditionen hoch, wie hier den Zapust, die traditionelle niedersorbische Fastnacht. Doch ist hier die Assimilation viel weiter fortgeschritten als in der katholischen Oberlausitz. Kaum ein unter 40jähriger spricht noch fließend Niedersorbisch.


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