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11.04.09 / Recht auf die Heimat schon 1919 verweigert / Umsiedlung 1919, Vertreibung 1945 – Schlaglichter aus der Geschichte einer westpreußischen Familie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-09 vom 11. März 2009

Recht auf die Heimat schon 1919 verweigert
Umsiedlung 1919, Vertreibung 1945 – Schlaglichter aus der Geschichte einer westpreußischen Familie

Nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg verloren viele Deutsche ihre Heimat. Durch eine  fragwürdige Grenzziehung vor 90 Jahren, nach dem Ersten Weltkrieg, gerieten 2,4 Millionen Deutsche unter polnische Herrschaft. Rund die Hälfte von ihnen wurde bis 1939 aus Polen verdrängt, die meisten bereits bis 1924. Hierüber berichtet PAZ-Autor Lienhard Schmidt.

Meine Großeltern väterlicher-, wie auch mütterlicherseits, stammten aus Familien, die schon seit Generationen in den östlichen Provinzen Preußens beheimatet waren. Mein Großvater Max Schmidt erlebte mit seiner Frau Anna und Tochter Toni das Kriegs-ende 1918 als kgl. preußischer Hegemeister auf der Oberförsterei Grüneiche bei Langendorf im Kreis Strasburg, Westpreußen. Zwei seiner fünf Söhne waren im Ersten Weltkrieg gefallen, drei überlebten den Fronteinsatz. Der älteste, mein Onkel Georg, richtete sich gerade mit seiner Frau Lucie als Förster in Pommern ein, mein Onkel Rudi baute sich in Braunschweig eine Existenz als Handelsvertreter auf. Mein Vater, Heinrich Schmidt, begann 1919 in Breslau das Studium der Zahnmedizin, das er 1923 in Königsberg/Preußen beendete. Er ließ sich danach in Deutsch-Eylau als Zahnarzt nieder und heiratete. Ich kam 1925 als sein erstes Kind zur Welt.

Anfang 1919 wurde immer deutlicher, daß die Siegermächte des Ersten Weltkrieges auch den größten Teil der Provinz Westpreußen dem polnischen Staat einverleiben wollten. Für bislang im Staatsdienst tätige Deutsche wurde es dadurch unmöglich, ihre dortigen Aufgaben weiter wahrzunehmen. Nun begann eine Versetzungsaktion, die meinem Großvater Max Schmidt, der noch einige Dienstjahre vor sich hatte, eine mit seiner Arbeit als Hegemeister in Grüneiche vergleichbare Tätigkeit in der Nähe von Deutsch-Krone verschaffte. Deutsch-Krone lag in der Grenzmark Posen-Westpreußen, einer Region, die aus beim Reich verbleibenden Resten der Provinzen Posen und Westpreußen bestand. Mit Frau und Tochter zog mein Großvater dann mit seinen Möbeln und den meisten landwirtschaftlichen Geräten zur neuen Wirkungsstätte um. Mitte der zwanziger Jahre ging er in Pension.

Einen ähnlich „geregelten Umzug“ aus dem durch den Versailler Vertrag wenig später polnisch werdenden Gebiet konnte Anfang 1919 auch mein Großvater mütterlicherseits, Albert Jänke, mit seiner Frau Martha ihren Töchtern Elsbeth und Erika (später meine Mutter) durchführen. Er war bis Kriegsende 1918 Schulrektor in Neumark, Kreis Strasburg / Westpreußen, und erhielt zunächst in Eberswalde, einige Jahre später dann in Remscheid, eine äquivalente Stellung bis zu seiner Pensionierung Ende der zwanziger Jahre.

Sein Sohn Hans heiratete 1924 und trat eine Beamtenlaufbahn in der Verwaltung des Regierungsbezirks Marienwerder an, der nach Abstimmung 1920 beim Deutschen Reich bleiben konnte und der Provinz Ostpreußen angegliedert wurde. Auch in meiner Heimatstadt Deutsch-Eylau wurde abgestimmt. Mein Vater hatte 1924 Albert Jänkes jüngste Tochter Erika, geheiratet. 

Schon wenig später verließen Hunderttausende Deutsche in wenigen Jahren Westpreußen, viele konnten in dem von Nachkriegsnot und Inflation geplagten Deutschland keine annähernd gleichwertige Stellung mehr finden. Wie war es möglich, daß die Umsiedlung meiner Großeltern noch unter derart geordneten Verhältnissen stattfinden konnte? Ein Grund dafür war die vorausschauende Haltung der zuständigen preußischen Behörden in Berlin. Ein weiterer dürfte das damalige „Engagement“ der polnischen Streitkräfte im Grenzkonflikt mit Litauen und vor allem bei der Abwehr der Versuche Sowjetrußlands, mit Waffengewalt die polnischen Ostgrenzen nach Westen zu verschieben, gewesen sein. Die Folge war deren vorübergehende Zurückhaltung bei der Besetzung der Polen von der Entente zugedachten Gebiete in Westpreußen und der Provinz Posen. In Oberschlesien, wo die polnische Regierung von Anbeginn über die aus Versailles signalisierten Grenzen hinaus Gebietsansprüche mit Gewalt zu realisieren suchte, sah die Lage bekanntlich völlig anders aus.

Hinzu kam, daß in den ersten Monaten des Jahres 1919 noch intakte Teile der sich auflösenden deutschen Ost-Armeen in Westpreußen standen. Am 26. Juni 1919 fand in Versailles die erzwungene Unterzeichnung des Versailler Vertrages statt, der am 19. Januar 1920 voll in Kraft trat.

Die mit der Durchsetzung verbundenen Härten und Übergriffe in Verbindung mit den Grenzverschiebungen zwischen Deutschland und Polen trafen damals, wenn auch in unterschiedlicher Weise, schon Millionen Menschen. Meine Großeltern hatten vergleichsweise noch Glück, wenn auch die Verweigerung des Rechtes auf Heimat für sich gesehen schon eine Grausamkeit darstellt.

Das Menetekel, die flammende Warnschrift, stand schon im Verlauf und am Ende des Ersten Weltkrieges an der Wand. Die Mächtigen dieser Welt konnten oder wollten sie offensichtlich nicht sehen.

Der Autor berichtet weiter, daß seine Familie im und nach dem Zweiten Weltkrieg noch ungleich härter betroffen war. Zu Kriegsverlusten kamen Luftangriffe auf Kiel und Potsdam, die Teile seiner Familie betrafen, ein Fall von Verschleppung mit Todesfolge in das von den Sowjets nach Kriegsende weiterbetriebene Lager Buchenwald und die Schrecken der Vertreibung. Sein Fazit:

Vielen Menschen in Deutschland und anderen Ländern Europas ging es ähnlich wie es meiner Familie ergangen ist. Viele Millionen wurden noch härter getroffen. Hubertus Prinz zu Löwenstein schreibt im Schlußwort zu seinem Buch „Deutsche Geschichte“: „Dann, wenn Trübnis und Dunkelheit am größten sind, mag uns die Erkenntnis höchster Fügung, die alle menschlichen Irrungen überragt, die Gewißheit geben, daß hinter Golgatha der Tag der Auferstehung liegt und eine Pfingstzeit des Abendlandes beginnt.“

Foto: Neumark in Westpreußen, Juni 1919: Das Infanterieregiment 148 zieht ab.


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