27.04.2024

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11.04.09 / Ein Ei für Dora

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-09 vom 11. März 2009

Ein Ei für Dora
von Willi Wegner

Sie war ein dunkelhaariges, kapriziöses und ein wenig streitbares Mädchen. Am Ostermorgen spazierten wir Arm in Arm durch Alleen des Stadtwaldes. „Ein später Frühling, Dora, nicht wahr?“

„Wie man‘s nimmt“, erwiderte das Mädchen. „Ich habe gelesen, daß die Leute im Mai 1928 noch rodeln gegangen sind. Im übrigen ist es abgeschmackt, finde ich, wenn Männer immer wieder vom Wetter reden. Stattdessen solltest du endlich mal ein Wort darüber verlieren, wie es mit uns beiden weitergehen soll. Ich hatte eigentlich schon Weihnachten mit einer Verlobung gerechnet.“

„Dora“, sagte ich, „wenn ich sehr fleißig bin und etwas mehr Geld verdiene als bisher, denke ich, daß wir uns in drei oder vier Jahren unter Umständen zu Ostern verloben können. So, und nun sei so lieb und nett und geh’ bitte ein Stück-chen voraus. Ich habe hier noch etwas zu erledigen.“

Ziemlich mißbilligend sah Dora mich an, warf den Kopf in den Nacken und ging langsam weiter. Ich hatte die ganze Zeit über in der linken Hand ein in Seidenpapier gewickeltes, mit Pralinen gefülltes Schokoladen-Ei gehalten. Gewissermaßen eine Osterüberraschung – statt Verlobung!

Der Stadtwald lag einsam und verlassen. Ich stelzte zehn Meter über den feuchten Boden und legte das Ei für Dora hinter den Stamm einer Buche. Dann begab ich mich zurück auf den Weg, lief hinter Dora her, holte sie endlich ein und sagte: „Fröhliche Ostern, meine liebe Dora! Und nun darfst du suchen. Ich habe etwas für dich versteckt. Eine Überraschung – du wirst Augen machen!“

Nach einer halben Stunde sagte Dora: „Das gibt‘s doch nicht! Du hast dich nicht nur um unsere Verlobung gedrückt, sondern du willst mir obendrein noch weismachen, du hättest hier irgendwo für mich eine Osterüberraschung versteckt.“

„Glaube mir doch, Dora!“ rief ich. „Meinst du, ich würde jetzt mit meinen bloßen Händen den halben Wald umgraben, wenn es nicht wahr wäre?“

In diesem Augenblick, ich kniete noch immer auf dem feuchten Waldboden, hörten wir hinter uns Stimmen. „Aber Paul … das ist ja … oh, daß du dich meinetwegen so in Unkosten gestürzt hast!“ –„Irene, ich sage dir, das muß ein Irrtum sein!“ – „Paul, ich danke dir! Du bist so lieb! Dieses schöne Ei … oh, und sieh nur, es ist mit Pralinen gefüllt!“

Mit einem Satz sprang ich auf und lief in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Ein junger Mann, ein junges hübsches, blondes, junges Mädchen. Es hielt mein mit Pralinen gefülltes Schokoladen-Ei in den Händen und lächelte. Ich nahm ihr das Ei weg und sagte: „Also, das ist ein Irrtum! Ich habe dieses Ei hier versteckt!“

„Sie?“ – „Ja, ich!“

„Für mich?“ – „Nein… das heißt ...“ Sie war so hübsch und blond und jung, ich sagte es schon. Sie hatte blaue Augen – es war das Blau eines Bergquells im Frühling, so um Ostern herum.

„Ja“, sagte ich, „natürlich für Sie! Für wen denn sonst? Etwa für ihn, diesen Paul? Daß ich nicht lache!“

Inzwischen sind ein paar Jahre vergangen, und Irene ist längst meine Frau geworden. Manchmal kommen Dora und Paul zu Besuch oder wir gehen zu ihnen. Dann spielen wir zu viert Canasta oder Doppelkopf und erinnern uns gern an unseren gemeinsamen Osterspaziergang.

Und an das Ei für Dora.


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