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11.04.09 / Mehr als nur Mitläuferinnen? / Autorin beleuchtet die Verantwortlichkeit von Frauen in der NS-Zeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-09 vom 11. März 2009

Mehr als nur Mitläuferinnen?
Autorin beleuchtet die Verantwortlichkeit von Frauen in der NS-Zeit

Daß die als Verbrecher verurteilten Täter des Dritten Reichs überwiegend männlichen Geschlechts sind, ist Tatsache, die jedoch teilweise darauf zurückzuführen ist, daß Frauen nur in den ihnen vorbehaltenen Organisationen in Spitzenpositionen aufsteigen konnten. Wenige Frauen sind nach dem Zweiten Weltkrieg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt worden. Sehr viele schafften es, einer Verurteilung zu entgehen, indem sie die ihnen vorgeworfenen Taten abstritten. Andere, denen Denunziation vorgeworfen wurde, behaupteten, sich nur versprochen zu haben. Höhere Haftstrafen verhängten die Spruchkammern äußerst selten, und nur eine Handvoll Frauen wurde nach dem Krieg zum Tode verurteilt; es waren jene, die als „Hexe von Buchenwald“ oder „SS-Megäre von Bergen-Belsen“ in den Medien verschrien waren. Sie alle hatten Tätigkeiten wie KZ-Aufseherin, Ärztin oder Pflegerin in einer „Euthanasie“-Anstalt ausgeübt. In den meisten Fällen aber stuften die Gerichte weibliche Angeklagte, größtenteils NS-Funktionärinnen, höchstens als Mitläuferinnen ein. Erst in jüngerer Zeit richtet sich das Augenmerk der Forschung wieder auf die vielfältigen Formen weiblicher (Mit-)Täterschaft im Nationalsozialismus, die, wie zu erwarten, tatsächlich in allen Aufgabenfeldern, die Frauen zugewiesen waren oder in die sie hinein versetzt wurden, sowie auch im privaten Raum vorkam. Die Hamburger Historikerin Kathrin Kompisch, Jahrgang 1973, hat sich mit diesem komplexen Themenfeld befaßt. In ihrem Buch „Täterinnen − Frauen im Nationalsozialismus“ stellt sie ihre Ergebnisse vor. Es handelt sich um eine erste Gesamtübersicht, der weitere Untersuchungen folgen werden.

„In der wissenschaftlichen Literatur ist häufig zu lesen, daß die weibliche Tatbeteiligung an den NS-Verbrechen ‚mehr im Unterlassen als im aktiven Handeln‘ bestanden habe“, schreibt Kompisch. „Dem möchte ich entgegen halten, daß Unterlassen angesichts des Wissens um die fatale Konsequenz dieses Verhaltens sehr wohl als eine bewußte Handlung anzusehen ist … Auf allen Ebenen der bürokratischen Abläufe traten Frauen in Aktion. Sie bewerteten den Wert der Hinterlassenschaft der Deportierten, befaßten sich als Büroangestellte bei Gestapo und Vermögensverwertungsstelle mit der praktischen Abwicklung der Enteignungen, verwahrten als Hauswartinnen die Schlüssel der geräumten Wohnungen und reinigten diese zur Neuvermietung an ‚Arier‘.“ Dementsprechend hat die Autorin ihr Augenmerk vorwiegend auf die Bereiche gerichtet, in den Frauen, freiwillig oder unter Zwang, organisiert oder in Arbeitsverhältnissen beschäftigt waren.

Mutterkult und NS-Frauenverbände zielten darauf ab, die Rassenideologie sowie die Lebensraumpolitik zu verankern mit dem Ziel, eine vorbehaltlose Unterstützung des Nationalsozialismus durch Frauen zu erreichen. Weiterhin beleuchtet Kompisch den Einsatz weiblicher Kriminalpolizei, von Frauen im Dienst der Gestapo sowie den Mißbrauch der Gesundheitsdienste im Zeichen der „Ausmerze und Auslese“ von „rassisch unwertem Leben“. Die tiefstes Entsetzen erregenden Taten einiger KZ-Aufseherinnen waren nur die Spitze des Eisbergs.

Durchgehend stellt sie ihren Ausführungen Kurzbiographien von Frauen zur Seite, die wegen ihrer Taten nach Kriegsende oder auch erst viel später vor Gericht standen, die verurteilt oder auch freigesprochen wurden. So werden die Handlungsspielräume des einzelnen verdeutlicht. Dies ist insofern aufschlußreich, da Täterinnen nach 1945 häufig behaupteten, es habe für sie keine Möglichkeit bestanden, gewisse Tätigkeiten ohne Nachteile abzulehnen. Doch gab es beispielsweise durchaus die Möglichkeit, den Dienst in einem KZ abzulehnen. Erst recht konnte sich jeder der Denunziation verweigern. Doch im Gegenteil, so Kompisch, bedienten sich Frauen nicht selten dieses Mittels, um eigene Interessen durchzusetzen. D. Jestrzemski

Kathrin Kompisch: „Täterinnen – Frauen im Nationalsozialismus“, Böhlau Verlag, Köln 2008, geb., 275 Seiten, 22,90 Euro


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