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18.04.09 / Machtkampf und Klassenkampf / SPD-Linke meldet sich zurück – Nahles-Papier ist eine Kampfansage an die eigene Parteiführung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-09 vom 18. April 2009

Machtkampf und Klassenkampf
SPD-Linke meldet sich zurück – Nahles-Papier ist eine Kampfansage an die eigene Parteiführung

Die SPD gibt sich kämpferisch: In die Wahlkämpfe von Gemeinde- bis Europa-Ebene ziehen auch Parteirechte wie Finanzminister Peer Steinbrück mit „altbewährten“ Umverteilungsparolen. Dabei geht es freilich nicht nur um Wählerstimmen, sondern auch um die parteiinterne Machtbalance.

Den Takt gibt Bundesfinanzminister Peer Steinbrück vor. Erst knöpfte sich der selbsternannte „Mann fürs Grobe“ die Eidgenossen vor, dann nahm er mit dem Ruf nach einem saftigen Steuerzuschlag für Besserverdienende die Neidgenossen ins Visier, von denen er sich Hilfe im Kampf gegen den „Genossen Trend“ erhofft. Der nämlich beschert der SPD anhaltende Tiefstwerte in den Umfragen. Der spröde Hamburger, der bislang den gestrengen Sparkommissar gab, nun aber die Finanz- und Wirtschaftskrise mit immer gigantischeren Schuldenbergen einzudämmen sucht, griff in die sozialistische Mottenkiste – und förderte das neue, uralte Feindbild zu Tage: die „Reichen“.

Das sind – so will es ein vor wenigen Tagen wahlkampfwirksam an die Öffentlichkeit lancierter Gesetzentwurf aus dem Hause Steinbrück – all jene „Besserverdiendenden“, deren Jahreseinkommen 250 000 Euro übersteigt. Sie sollen künftig, sprich: nach einem SPD-Wahlsieg im September, einen Zuschlag von etwa drei Prozentpunkten auf die Einkommenssteuer entrichten, die sogenannte „Reichensteuer“.

Mehr noch: Wer es auf über 500 000 Euro per anno bringt, gilt für Peer Steinbrück als generell des Steuerbetrugs verdächtig und kann nach seinen jüngsten Plänen auch ohne konkreten Anlaß jederzeit von den Finanzbehörden überprüft werden. Von einer solchen Pauschalverdächtigung wären nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts über 31 000 Bundesbürger betroffen – lediglich ein Tausendstel aller Steuerzahler, die allerdings fast ein Zehntel der Einkünfte aus der Einkommenssteuer in die Staatskassen einbringen. Wie hoch die Mehreinnahmen durch die geplanten drastischen, rechtsstaatlich umstrittenen Maßnahmen liegen könnten, vermögen die Wiesbadener Rechenkünstler nicht zu beziffern; als sicher gilt aber, daß die mit Konjunktur- und Rettungsprogrammen angehäuften neuen Schuldenberge durch Reichensteuer und verdachtsunabhängige Steuerfahndung nicht spürbar tangiert werden.

Chancen auf Verwirklichung hat Steinbrücks Neidpaket freilich nur im Falle einer regierungsfähigen rot-grünen Mehrheit nach der Bundestagswahl. Mit dem derzeitigen Koalitionspartner, so ließen Finanzexperten der Union verlauten, sei Derartiges nicht zu machen. Offenbar wolle der Minister den Entwurf auch gar nicht auf den parlamentarischen Weg bringen, sondern ausschließlich als Wahlkampfmunition nutzen.

Hinzu kommt, daß Steinbrücks Verbalattacken gegen sogenannte Steueroasen und vermeintliche Steuersünder nicht nur an das wahlberechtigte Volk adressiert sind, sondern auch an parteiinterne Konkurrenz.

Nicht ganz zufällig nämlich hat sich in diesen Tagen auch die Wortführerin des linken Parteiflügels zu Wort gemeldet: Andrea Nahles, der es schon einmal gelungen ist, einen Parteivorsitzenden namens Franz Müntefering  aus dem angeblich „zweitschönsten Amt nach Papst“ zu jagen. Die derzeitige SPD-Vizechefin mit konkreten Aufstiegsvisionen wandelt bewußt auf den Spuren des ansonsten von ihr nicht geschätzten Gerhard Schröder. Wie der damalige Basta-Kanzler, der vor zehn Jahren in einem Gemeinschaftspapier mit dem Briten Tony Blair die Reformpolitik bis hin zu Hartz VI begründet hatte, erarbeitete sie nun mit dem britischen Labour-Politiker Jon Cruddas ein Strategiepapier, das über den Wahltag hinaus in die Zukunft weist. Politisch wie personell; das Papier ist durchaus als Kampfansage an die derzeitige Parteispitze zu verstehen.

Der linke Parteiflügel, der in Gestalt der hessischen Beinahe-Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti noch einen herben Dämpfer hatte einstecken müssen, startet unter Führung von Andrea Nahles einen neuen Anlauf, die Macht zu übernehmen. Erst in der Partei, dann auch im Staat.

Wohin die Reise gehen soll, zeigt schon der Blick auf den Titel des Nahles-Cruddas-Papiers. Über wohlfeiler Kritik an den Entartungen eines unkontrollierten Kapitalismus und der wahrhaft tiefschürfenden Forderung, „über ein neues Modell des Wohlstands nachzudenken, ohne eine Umweltkatastrophe auszulösen“, prangt in fetten Lettern „Die Gute Gesellschaft“.

Das nimmt nicht nur Bezug auf einen SPD-Parteitagsbeschluß mit dem wohlklingend-wolkigen Titel „Gute Arbeit“, sondern greift erheblich weiter. Wer so platt die „gute“ Gesellschaft beschwört, hält nicht nur die bestehende offenbar für ungut oder böse. Hier klingt über das idealistisch-weltverbessernde Gutmenschentum hinaus, das zu den alten Traditionen der SPD gehört, ein Gestaltungsanspruch an, der die Grenze der politischen Sphäre überschreitet.

Wer so pauschal eine „gute Gesellschaft“ beschwört, der will offenbar zumindest den „totalen Versorgungstaat“, mit von rot-rot-grüner Volksfront zu bewerkstelligender Absicherung rund um die Uhr und von der Wiege bis zur Bahre. Steinbrücks in der Sache unsinniger Reichensteuer-Vorstoß hatte vor diesem Hintergrund offenbar den Zweck,  innerparteiliche Konkurrenz in Schach zu halten.         Hans-Jürgen Mahlitz

Foto: SPD auf der Suche nach ihrer Linie: Der linke Parteiflügel meldet sich wieder zu Wort.


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