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18.04.09 / In der Geschichte verschlungen / Tote Soldaten, Displaced Persons und ein mysteriöses Foto

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-09 vom 18. April 2009

In der Geschichte verschlungen
Tote Soldaten, Displaced Persons und ein mysteriöses Foto

Mit seinem neuen Roman „Die Frau auf dem Foto“ meldet sich der britische Schriftsteller James Wilson nach „Der Schatten des Malers“ zurück. Der Roman beginnt in den 20er Jahren, einer Zeit geprägt von Kriegsfolgen, Rezession, Hunger, Not und politischen Umwälzungen. Im Jahr 1927 unternimmt der angehende englische Filmemacher Henry Whitaker eine Reise nach Deutschland um Irma Brügge, die Verlobte eines Soldaten, der seinen Vater tötete, ausfindig zu machen. Im Gepäck trägt er einen Feldstecher, welcher dem ebenfalls toten Soldaten gehörte, um Irma diesen auszuhändigen.

Der Roman beginnt zunächst sehr vielversprechend. Das erste Aufeinandertreffen von Henry und der unbekannten Verlobten findet unter sehr mysteriösen Umständen statt. Fast scheint es dem Leser, als wäre die Zeit stehengeblieben, als Henry in einem tranceähnlichen Zustand mit der jungen Frau, die sich mittlerweile als Hure verdingt, eine Nacht verbringt.

„Wir befinden uns in einem etwa drei mal zweieinhalb Meter großen Zimmer. Den größten Teil des Raumes nimmt das Bett ein, außerdem gibt es einen Stuhl mit kaputter Sitzfläche aus Rohrgeflecht sowie eine kupferbeschlagene, militärisch aussehende Truhe … Darüber hängt an der Wand die Fotografie eines jungen Mannes in Ausgehuniform. Er hat dunkles, in der Mitte gescheiteltes Haar, dichte, gerade Augenbrauen, einen Schnurrbart und ein rundes Kinn … Seine in einem halben Lächeln erstarrten breiten Lippen sind hungrig …“

Als Henry nach dieser verstörenden Nacht Deutschland fluchtartig verläßt, ohne sich Irma gegenüber erkennen gegeben zu haben, weiß er bereits, daß ihn dieses Ereignis nie wieder loslassen wird.

Was nun folgt, strapaziert die Geduld des Lesers: Henrys Aufstieg zum Filmemacher, die von Beginn an zum Scheitern verurteilte Ehe mit der hübschen Sekretärin Nicky, ein weiterer sinnloser Besuch des innerlich zerrissenen Henry bei Irma Brügge in Deutschland. Von einer inneren Unruhe beseelt, die für den Leser nur schwer nachvollziehbar ist, stößt Henry eines Tages beim Sichten von Filmmaterial für seinen bisher wichtigsten Film über Displaced Persons auf ein Foto, auf dem ihn eine ihm fremde Frau aus einer Menschenmasse heraus direkt anzulächeln scheint. Sofern der Leser es bis zu diesem Punkt, also bis zum letzten Drittel schaffen sollte, winkt ihm als Belohnung ein wirklich passables Ende.

James Wilson erzählt in „Die Frau auf dem Foto“ die Geschichte des Henry Whitakers anhand seiner fiktiven Tagebuchaufzeichnungen von 1927 bis 1939 und von Notizen und E-Mails seiner Tochter Miranda. Und diese ist es auch, die zum Ende des Romans die Lösung des Rätsels findet, das ihr Vater zu Lebzeiten verzweifelt zu lösen versuchte: „Wer ist die Frau auf dem Foto?“     A. Ney

James Wilson: „Die Frau auf dem Foto“, Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008, geb., 499 Seiten, 22,80 Euro


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