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18.04.09 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-09 vom 18. April 2009

Übergestülpt / Was Geschichte von Vergangenheit unterscheidet, wie Müntes Binsen klingen, und warum wir »Rechtsstaat« ganz neu lernen müssen
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Mißverständnisse durchwirbeln unser Leben. Es gibt drei Sorten davon: das einfache, das bräsige und das bösartige Mißverständnis. Das einfache ist schnell geklärt. Da fehlt nur ein Steinchen in der Erklärungskette. Ist das hinzugefügt, hat sich die Sache. Das bräsige ist schon schwerer zu beheben. Es sitzt tief und hat eine tragende Funktion im Weltbild übernommen. Wer hier aufklären will, kann schnell zum Haßobjekt werden. Das unappetitlichste Mißverständnis ist das bösartige. Es ist gewollt oder gar selbst gebastelt und verfolgt ein genaues Ziel. Seine Träger verteidigen es wie ein sturer Esel den Napf, aus dem er frißt.

Ein einfaches, gleichwohl zäh­lebiges Mißverständnis rankt sich um die Wörter „Geschichte“ und „Vergangenheit“. Viele Menschen glauben, sie bedeuteten das gleiche. Keineswegs: Die Geschichte ist nicht die Vergangenheit, sie ist bloß die Summe der Geschichten, die von mehr oder minder berufener Stelle über die Vergangenheit erzählt werden.

Wie weit beides auseinanderklaffen kann, das konnten wir nun staunend beobachten. SPD-Chef Franz Müntefering hält den Westdeutschen vor, sie hätten die DDR der Bundesrepublik „zugeschlagen“ und den Landsleuten in der untergegangenen DDR danach das Grundgesetz „übergestülpt“.

Wenn das jetzt unsere Geschichte ist, müssen wir einiges umräumen in unseren Köpfen. Vergessen Sie alles, was sich an Bildern der Vergangenheit in Ihrer Erinnerung erhalten hat. Frei nach Münte ist unsere Geschichte folgendermaßen zu erzählen: Seit dem Frühjahr 1989 erhöhte sich der Druck auf Westdeutschlands Politiker immer rasanter. In München, Köln, Hamburg und anderen Städten bildeten sich Bürgergruppen, die den Anschluß der DDR an die Bundesrepublik forderten, im Herbst wurden daraus bedrohliche Massenaufmärsche unter der Parole „Die sollen rein!“

Im Oktober mußte der um friedliche Verständigung mit dem anderen deutschen Staat bemühte Bundeskanzler zurücktreten, kurz darauf ließ der Regierungssprecher in Bonn durch eine etwas umständliche Verlautbarung den Bundesgrenzschutz und die Berliner Polizei von der Leine, die unter den erstarrten Blicken der  Welt die Grenzöffnung erzwangen. Danach stülpten sich Millionen Bundesbürger über die DDR, zwangen die dortige Regierung zur widerspruchslosen Annahme des Grundgesetzes per Beitritt zur Bundesrepublik und erklärten die DDR für erledigt.

Wie bitte? Sie meinen, solch ein Humbug könne sich nur in einer Kolumne wie dieser zusammenbrauen? Dann fassen Sie mal zusammen, was sich aus den Reihen der SED, PDS, Linken, oder wie der Laden gerade heißt, zum Zustandekommen der deutschen Vereinigung hören läßt. Allein, daß nun auch ein SPD-Vorsitzender die Geschichte vom brutal annektierten Arbeiter- und Bauernstaat übernommen hat, besitzt einen gewissen Neuigkeitswert. Er hätte ja davon reden können, daß auch die Westdeutschen nie über ihre Verfassung abstimmen durften und sich daher ebenso „überstülpt“ vorkommen dürfen wie die anderen. Hat er aber nicht. Indes: Für eine neue, vom Volk zu beschließende Verfassung (wie es Artikel 146 des alten Grundgesetzes vorschrieb) hatte sich die SPD 1989 übrigens auch nicht eingesetzt, was ihr Chef in seinem Tremolo lieber überging. Statt dessen beschränkt er sich auf die gängige Ossi-Wessi-Pampe nach dem Geschmack der Dunkelroten.

Auch hätte Müntefering im Jubiläumsjahr 2009 – es ist schließlich Wahlkampf – an die Zögerlichkeit erinnern können, mit der selbst manche Unionspolitiker bis 1989 die deutsche Frage behandelt hatten. Meinte da nicht ein CDU-Chef, die deutsche Einheit sei erst eine „Aufgabe für kommende Generationen“ und stehe „nicht auf der Tagesordnung der Weltpolitik“?

 Doch das wäre ebenso böse ins Auge gegangen für den Sozialdemokraten. Denn bei allem, was aus dem Lager der CDU/CSU an Doppeldeutigkeiten zur Schick­salsfrage der Nation bis 1989 herauskam: Immer schien es, als hätte man dort bloß die Position übernommen, welche die SPD ein paar Jahre zuvor (unter wütendem Protest  der Schwarzen) verkündet hatte.

Zum Glück endete diese rot-schwarze Abstiegsprozession der deutschlandpolitischen Positionen 1989, zwei Jahre, nachdem die SPD am untersten Rand des Denkbaren angekommen war: In einer „gemeinsamen Erklärung“ legten SPD und SED 1987 stolz die „humanistischen Wurzeln“ frei, auf denen beide Partei angeblich gesprossen seien. Auch so ein Stück Vergangenheit, aus dem man lieber keine Geschichte mehr macht.

Oder doch? Es geht, wie schon vor 1989, scheibchenweise. Nach alter Demagogenart werden erstmal Binsenweisheiten verteilt, damit einem die Leute traulich aus der Hand fressen, wenn man später das Gift verabreicht.

Seit einiger Zeit besteht Münte immer lauter darauf, daß man unterscheiden müsse zwischen den Menschen in der DDR und dem Regime. Ja, Donnerwetter! In einer Diktatur sind die Entscheidungen der Führung also nicht gleichzusetzen mit dem Willen des Volkes.

Eine Binse, klar, doch zumindest bestätigt der SPD-Chef damit nachträglich, daß die entschiedenen Regimegegner des Kommunismus nicht nur finstere Friedensstörer waren, wie zahlreiche seiner Freunde bis 1989 meinten. Und möglicherweise würde Münte nun sogar einräumen, daß es einen Unterschied gab zwischen NS-Regime und deutschem Volk! Wer aktuelle Varianten der NS-Geschichte verfolgt, könnte ja  auf die Idee kommen, das gesamte deutsche Volk habe von 1933 bis 1945 per freier Abstimmung die Verbrechen selbst gefordert und sei über jedes Detail informiert worden. Oh, Vorsicht, jetzt wird’s gefährlich. Denn was das Dritte Reich angeht, da läuft eine andere Logik: Da alle Deutschen NS-Verantwortliche waren, ist jede „Beweisführung“, daß dieser oder jener kein NS-Verbrecher gewesen sei, bereits  Verharmlosung eines NS-Verbrechers und damit strafwürdig. Daher lassen wir davon besser die Finger, zumal man den NS-Staat mit keinem anderen Gewaltregime vergleichen kann, wie durch den Vergleich mit anderen Gewaltregimen ermittelt wurde.

Münte will ganz links fischen und darüber hinaus ein paar DDR-Nostalgiker an Land ziehen, welche die DDR „trotz allem“ als ihren Staat ansehen, statt als den Staat, der sich ihrer Freiheit bemächtigt hatte. Dabei kann er laut Umfragen darauf vertrauen, daß „Freiheit“ (in allen Teilen der Republik!) massiv an Ansehen verloren hat gegenüber ihrem sozialistischen Dauerrivalen, der „Gleichheit“. SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier setzt diesen Befund schon in konkrete Schlachtpläne um und geht auf die Mittelschichtler los, indem er einen Großteil von ihnen zu „Besserverdienern“ aufpoliert und mehr Steuern von ihnen verlangt. Finanzminister Steinbrück stellt sogar alle Gutverdiener pauschal unter den Verdacht der Steuerhinterziehung und will Fahndung ohne konkreten Verdacht erlaubt sehen, jederzeit.

Daß Steuerhinterziehung nur bei Steuerzahlern vorkommt, ist logisch. Daß größere Summen nur von denen hinterzogen werden können, die viel verdienen, ebenso. Allerdings gibt es auch andere Bevölkerungsgruppen (ethnische, religiöse, berufliche ... wie auch immer), bei denen gewisse Delikte häufiger vorkommen als beim Durchschnitt. Man stelle sich vor, ein Politiker forderte, daß die Fahnder dort ab sofort ohne konkreten Verdacht jederzeit zugreifen dürften. Steinmeier würde aufschreien wegen der „Mißachtung rechtsstaatlicher Prinzipien“, der „Diskriminierung“ usw.

Neulich haben wir gehört, die DDR mit ihrer gewollt parteiischen, „sozialistischen“ Rechtsordnung sei eigentlich doch eine Art Rechtsstaat gewesen. Erst dachten wir, die spinnen. Langsam ahnen wir, daß wir es sind, die die Bedeutung des Begriffs „Rechtsstaat“ ganz neu lernen müssen.


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