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25.04.09 / Wie sich Ex-Gauleiter Erich Koch davonstahl / Per Eisbrecher floh der »Reichsverteidigungskommissar« in den letzten Kriegstagen aus Ostpreußen nach Flensburg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-09 vom 25. April 2009

Wie sich Ex-Gauleiter Erich Koch davonstahl
Per Eisbrecher floh der »Reichsverteidigungskommissar« in den letzten Kriegstagen aus Ostpreußen nach Flensburg

Die Königsberger Kaufmannschaft hatte drei Eisbrecher in Betrieb, die in jedem Wetter eingesetzt wurden, um die Fahrrinne im Seekanal zwischen Pillau und Königsberg und nach Möglichkeit das Fahrwasser nach Elbing offen zu halten: „Ostpreußen“, „Königsberg“ und „Pregel“ hießen sie. Es waren breite, schwere Dampfer mit starken Maschinen, die bis 2400 PS hatten und bis 450 Bruttoregistertonnen (BRT) groß waren und sich mit Ausnahme des sibirischen Winters 1929 bestens bewährt hatten. Diesen Fahrzeugen fiel in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges, als Pillau aufgegeben werden mußte, eine besondere Rolle zu.

Der Leiter des Wasserstraßenamtes Pillau stellte am 9. April 1945 bei der Dienststelle Reichsverteidigungskommissar, die sich in einem großen Bunker auf der Nehrung bei Neutief recht gut etabliert hatte, den Antrag, seine Dienststelle von Pillau abzusetzen, so wie es andere zivile Behörden bereits durchgeführt hatten. Durchaus berechtigt war dieser Antrag, da Werkstätten, Lager, Vorräte und so weiter durch Bomben und Artilleriebeschuß weitgehend zerstört waren und regelrechte Reparaturarbeiten nicht mehr durchgeführt werden konnten. Es dauerte neun Tage, bis die Genehmigung dazu erteilt wurde; einer schob sie dem andern zu. Mit dem Bereisungsdampfer „Kummer“ und dem Tonnenleger „Samland“ wurde die Absetzung der Belegschaft des Wasserstraßenamtes – 204 Personen – in drangvoll-fürchterlicher Enge und nur mit Handgepäck durchgeführt. Zwei, höchstens drei Reisetage waren vorgesehen, es wurden 14 Tage, bis das Ziel Rendsburg erreicht war. Und die drei Eisbrecher, die wesentlich mehr Raum boten als „Kummer“ und „Samland“ lagen untätig da – sie waren vorgesehen für den Abtransport des „Reichsverteidigungskommissars“ Erich Koch und seines Stabes. Er hatte seine guten Gründe, sich diese drei Dampfer zu sichern; sie waren schwer gebaut, sehr seetüchtig, geräumig, wurden mit Flakgeschützen und Maschinengewehren armiert, reichlich verproviantiert, besonders mit hochprozentigen Flüssigkeiten.

Eisbrecher „Ostpreußen“, – Kapitän Henschel und Steuermann Hein –, der am Hagendenkmal vertäut lag, mußte einen schweren Mercedes übernehmen, er ging zu Bruch durch Volltreffer in einem Munitionsstapel, der am Seedienstbahnhof lag, und wurde durch einen anderen Wagen ersetzt. Am 23. April – während die deutschen Soldaten im Raume Lochstädt–Neuhäuser der sowjetischen Übermacht noch verzweifelten Widerstand leisteten – erhielt der Eisbrecher „Ostpreußen“ Befehl herauszugehen, mit dem flachgehenden Dampfer „Heidekrug“ im Schlepp. Dieser sollte den „Reichsverteidigungskommissar“ und seinen Haufen von einer auf der Nehrung im Südermolenwinkel extra erbauten Landungsbrücke abholen.

Wegen des Seeganges erwies sich dieses als nicht durchführbar, und der Eisbrecher ging im Geleitschutz am 24. April abends nach West, Ziel Hela, das am nächsten Morgen erreicht wurde. Koch, Dzubba, Knobloch, Matthees, Kunze, Oppermann, und wie sie sonst noch hießen, waren per Hubschrauber nach Hela gelangt und kamen zu den schon an Bord befindlichen Hilfskräften, SS-Leuten und sonstigen Uniformträgern einschließlich Besatzung. Unter den fast 100 Mann war auch ein Schweizer, der im Parkhotel in Königsberg als Küchenchef tätig gewesen war und diese Funktion auch im Stabe Koch ausübte. Kommandant dieser Gerade war Kunze, der bald unter der Bezeichnung „Genickschußoffizier“ herumlief, weil er mit seinen „Heldentaten“ dauernd prahlte. Er kam damit aber bei einem Besatzungsmitglied, einem Takler der Union Königsberg, an die falsche Adresse, der ihm in Aussicht stellte, bei der nächsten Gelegenheit „baden“ zu gehen.

In Hela mußte der Kapitän noch etwas besorgen und blieb wegen eines Fliegerangriffes längere Zeit weg. Dieses verursachte erhebliche Unruhe an Bord, und der Gewalthaber, der „Reichsverteidigungskommissar“, ließ den Steuermann fragen, ob er in der Lage sei, den Eisbrecher allein nach Westen zu führen. Dieses bejahte er zwar, lehnte es aber rundweg ab, es auch zu tun. Als die Aufforderungen immer dringender wurden, erklärte der Maschinenmeister, daß er nicht genug Dampf im Kessel habe. Ja, die Helden hatten es sehr eilig, nach Westen zu kommen.

Als der Kapitän gegen Abend kam, ging’s sofort los, im Geleit eines Minensuchbootes, Richtung Saßnitz, wo man am Morgen einlief und Kohlen übernahm. Als am Nachmittag russische Flieger sich zeigten, hieß es: raus, raus, ohne Geleitschutz, bis etwa Arkona-Feuerschiff, wo man bei diesigem Wetter zwei Tage vor Anker lag und in den Äther lauschte. Dann morste man ein Vorpostenboot an, das nach Bekanntgabe des Sachverhaltes Geleitschutz bis Kopenhagen übernahm. Der dort am Landgang aufgestellte Doppelposten mußte bald den Sticheleien der in der Nähe liegenden Marine weichen.

In Kopenhagen wurden erhebliche Mengen Frischproviant an Bord genommen, Geld war ja in jeder Menge vorhanden, denn man plante, irgendwo auf einer kleinen skandinavischen Insel zu landen, dort unterzukriechen und in aller Gemütsruhe das weitere abzuwarten. Aber, o Graus, der Küchenchef hatte sich unter Berufung auf seine Neutralität bestens empfohlen; was nun? Vorerst dampfte man nach Fredericia, und dann wurden mit peinlicher Genauigkeit und Gründlichkeit sämtliche Uniformstücke und Abzeichen, Akten, Papiere und die ganze Herrlichkeit des „Reichsverteidigungskommissars“ für Ostpreußen und seiner Gehilfen der Feuerung unter dem Kessel des Eisbrechers anvertraut, und eine fieberhafte Tätigkeit beim Ausstellen neuer Personalausweise, Erkennungskarten, Bescheinigungen ließ sich nicht verheimlichen; die Maschinengewehre wurden über Bord gekippt, die Flakgeschütze abmontiert und verstaut. Und als die vereinbarte Waffenruhe bekannt wurde, dampfte ein schwerfälliger schwarzer Dampfer, der Königsberger Eisbrecher „Ostpreußen“ in die Flensburger Förde mit einem Haufen „ziviler“ Flüchtlinge an Bord, machte fest, und husch, husch husch waren alle Reisenden verschwunden wie ein Spuk, und der Besatzung blieb das „Reinschiff machen“ übrig.            E. F. Kaffke

Foto: Erich Koch als Einpeitscher: Kläglich war die Flucht des Sprücheklopfers.


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