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25.04.09 / Gegen nationalistische Mythen / Das Internetportal »Naš Smer« mischt die tschechische Geschichtsschreibung auf – Kritisch und selbstkritisch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-09 vom 25. April 2009

Gegen nationalistische Mythen
Das Internetportal »Naš Smer« mischt die tschechische Geschichtsschreibung auf – Kritisch und selbstkritisch

Wenn Tschechen sich mit ihrer neueren Nationalgeschichte befassen, dann schwanken sie meist zwischen Selbstmitleid („unsere Opfer“) und Selbstüberschätzung („unser Widerstand“). Zudem mehren sich Publikationen in gewissem Selbsthaß, etwa im Jahr 2000 das Buch „Mnichovský komplex“ (Der München-Komplex) von Jan Tesar. Ursprünglich war es nicht zur Veröffentlichung bestimmt – nun steht vor aller Augen, daß Tesar die tschechoslowakische Verteidi­gungs­­polit­ik nach 1930 als „ka­ta­strophale Idiotie“ empfindet und der gegenwärtigen tschechischen Historiographie „totale Inkompetenz“ bescheinigt.

Seit November 2008 besteht das Internet-Portal „Naš smer“ („Unsere Richtung“), dessen Geschichtsbeiträge durch stilistische Selbstironie und inhaltliche Selbstkritik angenehm auffallen. Alleiniger „Macher“, also neutschechisch für Organisator oder Manager, ist Lukas Beer, 1972 in Tschechien geboren, später im deutschsprachigen Raum heimisch gewesen. Die partiell aggressive Sprache seines Portals erklärt er als bewußt „provozierend für die auf Vaterlandsgefühle getrimmten tschechischen Ohren“, die inhaltliche Ausrichtung als Attacke gegen den „herrschenden und untragbaren Zustand in der tschechischen Meinungsbildung“, was das Verhältnis zu Deutschen und speziell Sudetendeutschen betrifft. Daß die meisten Beiträge nicht namentlich gezeichnet sind, rühre „von der Verletzlichkeit der guten Sache“ her. Tatsächlich ist es riskant, in Tschechien gewisse Dinge anzusprechen.

Beer kooperiert mit prominenten Historikern wie Franz Chocholaty-Gröger und Tomás Krystlik, und er hat sein Portal mit anderen Angeboten im Internet verknüpft, deren Inhalte ebenfalls jenseits der in der Tschechischen Republik herrschenden Meinungen sind, wie bruntal.net und cs-magazin. Hier bildet sich ein „Fundus“ an neuartiger Geschichtsforschung, der gerade im Frühjahr 2009, als die Tschechen des ihnen vor 70 Jahren aufgezwungenen „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren“ gedachten, bereits erstaunliche Auswirkungen auf Kongresse und Ausstellungen zeigte.

Was „Naš smer“ veröffentlicht, muß und will Tschechen „wehtun“. Beispielsweise bringt es ständig tschechische Originaltexte aus Presse und Publizistik des Protektorats, die alle in dem Tenor gehalten sind, daß es „uns relativ gut geht“, im Vergleich mit anderen ringsum. Da wird der tschechische Mythos von den Leiden der „Zwangsarbeit“ im Reich erledigt: Die Tschechen galten als „Reichsbürger“ und wurden deswegen weitaus besser als Russen, Polen, Ukrainer behandelt. Da wird in boshafter Detailliertheit die alltägliche „Normalität“ des Protektorats bis zum Schluß dokumentiert – genau wie tschechischer Eifer bei deutschen Sammlungen für das Winterhilfswerk oder Totengedenkfeiern. Welche Tschechen wollen so etwas schon gern hören?

„Naš smer“ hat ein Lieblingsfeindbild, Präsident Edvard Benesch (den es gnadenlos als Marionette Stalins vorführt), und ein Lieblingsthema, die verheerenden Folgen der Vertreibung der Deutschen. Die Vertreibungen selber hat uns Tomás Stanek schon in den neunziger Jahren in akribischer Fülle geschildert, aber die Schlußfolgerungen von „Naš smer“ sind beherzigenswert neu: Über drei Millionen Deutsche zu vertreiben, das habe den „kompletten ökonomischen und kulturellen Verfall der Nachkriegs-Tschechoslowakei“ nach sich gezogen. Die ČSR hätte das „Boomland“ Europas werden können, aber eine katastrophal verfehlte Neubesiedlung des Sudetenlands hätte sie arm und „östlicher“ gemacht. Umgekehrt hätten die Vertriebenen West-Deutschland und speziell Bayern zu nachhaltigem Fortschritt verholfen. Hier blitzt wieder die Freude an der Polemik der Autoren auf. Im April 2004 hat das tschechische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das nur aus dem einen Satz besteht: „Edvard Benesch hat sich um den Staat verdient gemacht.“ „Naš smer“ schließt messerscharf: „Um den Freistaat Bayern.“ Wolf Oschlies


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