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02.05.09 / »Von der Sowjetunion lernen, heißt wählen lernen« / Vor 20 Jahren brachte der Betrug bei den DDR-Kommunalwahlen vom 7. Mai die Bürgerrechtler auf die Straße

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-09 vom 02. Mai 2009

»Von der Sowjetunion lernen, heißt wählen lernen«
Vor 20 Jahren brachte der Betrug bei den DDR-Kommunalwahlen vom 7. Mai die Bürgerrechtler auf die Straße

Für Karl Wilhelm Fricke war es die „Zäsur für das Umschlagen von Opposition in Revolution“, für Thomas Küttler „der heimliche Wendepunkt“, von dem an „alles nur noch ein Todeskampf“ war, und für Hans Michael Kloth schließlich der Auslöser für einen „Paradigmenwechsel von Liberalisierungs- hin zu Demokratisierungsforderungen“, die „Transformation der noch allgemeinen Regimekritik zu einer breiten, politischen Demokratiebewegung“, den Sprung der Opposition gegen die SED aus der gesellschaftlichen Marginalität. Das Ereignis, dem hier eine derart große Bedeutung beigemessen wird, ist die DDR-Kommunalwahl vom 7. Mai 1989 beziehungsweise das Aufbegehren in der Bevölkerung gegen die offensichtliche Fälschung ihres Ergebnisses durch die Machthaber.

Von kaum zu unterschätzender Bedeutung waren dabei die internationalen Rahmenbedingungen, waren Glasnost und Perestroika. „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“, hatte die SED seit 1951 ihren Untertanen eingebleut. Nun fanden wenige Wochen vor der DDR-Kommunalwahl, nämlich im März 1989, in der Sowjetunion Wahlen zum Kongreß der Volksdeputierten statt, in denen die Bürger erstmals zwischen mehreren Kandidaten auswählen konnten. Angesichts der jahrzehntelang postulierten Vorbildlichkeit der UdSSR war es der SED nicht möglich, der Bevölkerung auch nur halbwegs plausibel zu vermitteln, warum für die DDR-Wahlen vom Mai jenes Jahres dieses neue System nicht übernommen werden sollte.

Doch nicht nur ideologisch, sondern auch machtpolitisch erodierte die Autorität der SED. Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und dessen Niederschlagung hatten deutlich werden lassen, daß die Macht der SED auf der Unterstützung der Sowjets beruhte. Nun erweckte allerdings die Entwick­lung in anderen Satellitenstaaten der UdSSR den Eindruck, daß die Sowjets gar nicht auf undemokratischen Wahlen bestehen.

So erklärte sich das Zentralkomitee der USAP, der ungarischen Entsprechung der SED, im März 1989 zur Einführung eines Mehrparteiensystems bereit und schlug die Bildung eines Runden Tisches vor, an dem die Diskussion über das zukünftige Wahlsystem eine zentrale Rolle einnehmen sollte. Ähnliches geschah in Polen. Am 4. April 1989 einigten sich dort Regierung und „Solidarität“ auf einen Modus für die im Juni anstehenden Wahlen, welcher der PVAP, der polnischen Entsprechung der SED, und deren Blockparteien zwar die Mehrheit garantierte, der Opposition jedoch eine starke parlamentarische Vertretung sicherte. Zudem sollte die Auszählung der Stimmen durch Vertreter der Opposition kontrolliert werden.

Trotz dieser unübersehbaren Schritte im sozialistischen Lager Richtung Demokratie glaubten die DDR-Machthaber wie zu Leonid Breschnews Zeiten dem Volke eine Liberalisierung – auch bei den Kommunalwahlen – vorenthalten zu können. Besonders beschämend und auch absurd bei diesem Urnengang war, daß sich das Regime nicht mit einer undemokratischen Durchführung begnügte, sondern glaubte, dessen Ergebnis auch noch fälschen zu müssen.

Bei der Reaktion der Bürgerrechtler auf die Wahlfälschungen kam es erstmals seit 1953 zu flächendeckenden nicht von der Staatsmacht organisierten Aktionen. Die Stasi sprach entsetzt von einem „stabsmäßig organisierten und koordinierten Vorgehen“. Erstmals wurde bei dieser Kommunalwahl des 7. Mai 1989 der systematische Versuch unternommen, die Staatsmacht bei der Handhabung der Wahl zu kontrollieren. So registrierte die Stasi allein in den drei Ost-Berliner Stadtbezirken Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Mitte 131 Wahlbeobachter. In Leipzig wurden über 160 Wahllokale überwacht. Ähnliche Wahlbeobachtungen gab es auch in Dresden, Rostock, Erfurt, Weimar, Jena oder Plauen, und auch in kleinen Dörfern, wo der Schutz der Anonymität geringer war, fanden Einwohner den Mut, den Wahlverantwortlichen genauer auf die Finger zu schauen. Durch diese systematische Beobachtung von Wahl und Auszählung sowie den Abgleich der Zahlen der einzelnen Wahllokale mit den von der Staatsmacht bekanntgegebenen konnte die DDR-Führung der Wahlfälschung überführt werden.

Anfänglich äußerten die Bürgerrechtler ihre Kritik an dieser Fälschung sanft, legal und systemimmanent. Als sie jedoch erkennen mußten, daß die Staatsmacht nicht konstruktiv reagierte, wurde die Kritik massiver. Schließlich trieb ihr Protest die Bürgerrechtler in Leipzig und Berlin auf die Straße. Die Versuche, mit Massenverhaftungen und Übergriffen der Sicherheitskräfte gegen die monatlichen Straßenproteste in der Hauptstadt vorzugehen, erwiesen sich als kontraproduktiv, weil sie zu Solidarisierungseffekten bei unbeteiligten Passanten führten. Der Funke sprang auf die Bevölkerung über.

Die Leipziger Aktionen vom 7./8. Mai gerieten so zum wichtigen Vorläufer der „Montagsdemonstrationen“. Die Berliner „Wahldemo“ vom 7. Oktober 1989 – genau fünf Monate nach der Kommunalwahl und am 40. Gründungstag der DDR – wurde zum Auslöser der ersten wirklichen Massendemonstration in der „Hauptstadt der DDR“. Sie offenbarte vier Jahrzehnte nach Gründung der DDR vor den Augen der Welt die Diskrepanz zwischen Propaganda und Wirklichkeit, zwischen Regime und Volk. Der Anfang vom Ende wurde sichtbar.  Manuel Ruoff


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