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02.05.09 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-09 vom 02. Mai 2009

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,

liebe Familienfreunde,

der Mai ist gekommen, und das Blühen und Grünen hat uns mit einer Heftigkeit überrascht, wie wir sie eigentlich nur aus unserer Heimat kennen. Da brach der Frühling fast über Nacht herein, und nach dem langen Winter genossen wir ihn mit voller Inbrunst. Dieses Gefühl strahlt auch das Bild aus, das wir heute zeigen, wir haben es schon vor längerer Zeit bekommen, aber gut bewahrt für die erste Mai-Ausgabe. Obgleich es an keinem Maiumzug teilgenommen hat, sondern an einem „Tag der Heimat“ Ende der 20er Jahre in Tilsit. So lautet jedenfalls die Beschriftung des Fotos, das uns Herr Siegfried Schiek aus Reichenbach zugesandt hat. Es stammt aus seinem Familienbesitz, ist also über Krieg und Flucht gerettet worden. Daß einige der Teilnehmer so bequem im Korbsessel sitzen, hat schon seinen Grund, denn der Wagen und das Vierergespann gehörten dem Korbmachermeister Wilhelm Schröder, der auch Innungsmeister in Tilsit war. Sein ebenfalls auf dem Foto abgebildeter Sohn Kurt Schröder hat später das Geschäft, das sich in der Kasernenstraße befand, übernommen. Herr Schiek ist der Enkel von Wilhelm Schröder, seine Mutter Lotte und Tante Metha sind als Töchter des Wagenbesitzers mit von der Partie, vor dem Wagen steht der Meister mit seinen Gesellen und Lehrlingen. Unbekannt sind die beiden Herren vor dem Gespann. Deshalb fragt Herr Schiek, ob jemand aus unserer Leserschaft sie erkennt. In welcher Verbindung standen sie zu dem Geschäft, gehörten sie zum weiteren Kreis der Familie? Das Foto ist Ende der 20er Jahre oder 1930 aufgenommen. Erinnert sich noch ein Tilsiter an diese Umzüge? Wer war der Veranstalter, seit wann und wie lange gab es diesen „Tag der Heimat“, fand er nur in den Grenzregionen statt? Wir danken jedenfalls Herrn Schiek für diese Aufnahme. Er selber wohnte in Königsberg, Gesekusstraße 17/18 und ist ein alter, treuer Leser unserer Zeitung. Es würde auch uns freuen, wenn er Zuschriften bekäme. (Siegfried Schiek, Ringstraße 10 in 93189 Reichenbach.)

Nicht um ein Foto, sondern um ganze Archive geht es in der nächsten Frage, die uns Herr Hans Kaiser aus Warin stellt. Wir konnten ihm schon einmal in einer wichtigen Angelegenheit helfen, und mit Sicherheit wird dies auch diesmal der Fall sein. Es geht um folgendes: Im vergangenen Jahr wurde Herrn Kaiser vom ostpreußischen Verein „Gedenkstätten Königsberg“ umfangreiches Bildmaterial übergeben. Es handelt sich um Fotos aus Nordostpreußen. Der Verein löste sich damals aus Altersgründen auf. Herr Kaiser war in den vergangenen 15 Jahren über 50mal in Nordostpreußen und fertigte Tausende von Diafotos an, die ihm zu seinen Vorträgen dienen. Sie behandeln Themen verschiedenster Art und führen querbeet von Infrastruktur über Land- und Forstwirtschaft, Landschaften sowie Familienleben bis zum Schicksal der 224 Kirchen – sein Hauptthema damals wie heute. Die Herrn Kaiser vom Verein übergebenen rund 10000 Stück (Dias, Negative und Papierabzüge) aus den Jahren 1989 bis 1991 werden von ihm benannt, sortiert und eingeordnet, um sie für andere greifbar zu machen. Die ihm übergebenen Fotos stammen aus den Ostpreußen-Archiven von Ronald Heidemann, Hamburg, und Waldemar Still, Lägerdorf. Nur bei wenigen Papierbildern befinden sich auf der

Rück­seite die betreffenden Aufdrucke. Herrn Kaiser ist über die beiden Archive wenig bekannt. Er hofft, daß er über unsere Veröffentlichung nähere Angaben erhält, denn vom Verein ist niemand mehr da, der Auskunft geben könnte. Herrn Kaiser interessiert vor allem, ob und wo sich noch weiteres Material aus den Archiven befindet. Das ihm zur Verfügung gestellte Material ist nicht vollständig, es fehlt etwa die Hälfte. Von großem Interesse ist für ihn das Zustandekommen der Fotos in jenen Jahren. Wie kam es zu Fotos von alten deutschen Fotos? Wer hat damals von russischer Seite an der Beschaffung, Erreichbarkeit und Benennung der fotografierten Objekte und aus welchen Gründen teilgenommen? Diese und weitere Fragen möchte Herr Kaiser gerne geklärt haben. Ich selber kann mich gut daran erinnern, wie wir von den ersten Aufnahmen aus dem damals noch für uns verschlossenen Nordostpreußen fasziniert waren und kaum glauben wollten, was wir da sahen. (Hans Kaiser, Waldheim 14 in 19417 Warin, Telelefon 038482/60937.)

Endstation auf einer langen Suchstraße: die Ostpreußische Familie! So war es schon oft in unserer langen Familiengeschichte, so ist es auch heute. Frau Renate Hertwig aus Uhlstädt-Kirchhasel sucht Verwandte oder Zeitzeugen, die ihre Vergangenheit erhellen können. Sie kam 1947 im Alter von sechs Jahren nach Thüringen und versucht seit langem, etwas über ihre Herkunft und die ersten Lebensjahre zu erfahren. Alle Bemühungen blieben – bis auf eine Ausnahme – ergebnislos. Nun empfahl ihr der Kirchliche Suchdienst HOK, sich an uns zu wenden. Wenn also noch eine Möglichkeit besteht, wenigstens einige Anhaltspunkte zu finden, dann über die Ostpreußische Familie. Und so wollen wir uns bemühen, und es wäre wundervoll, wenn wir etwas erreichen könnten.

Die erwähnte Ausnahme ist ein Auszug aus dem Taufbuch der Evangelischen Kirchengemeinde, den Frau Hertwig im Jahr 2000 vom Evangelischen Zentralarchiv erhielt. Sehr zur Freude der damals 60jährigen, denn nun hatte sie den Beweis in der Hand, daß sie als Elsbeth Renate Semmler am 17. September 1940 in der Alt­roßgärter Kirche in Königsberg getauft wurde. Das Geburtsdatum ist nicht angegeben, eine Urkunde existiert nicht. Nach Angaben der späteren Pflegemutter Maria Packheiser wurde das Mädchen am 11. September 1940 in Königsberg geboren. Ihre Mutter Erna Semmler soll als Krankenschwester in einer Militäreinheit gearbeitet haben. Von ihrem Vater hat Renate nie etwas erfahren. Sie soll aber noch einen zwei Jahre älteren Bruder gehabt haben. Die ersten Lebensjahre liegen im Dunkeln, vagen Angaben nach soll das Kind bis zu seinem dritten Lebensjahr in einem Kinderheim des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) gewesen sein. Als dieses aufgelöst wurde, kam Renate zu Frau Maria Packheiser in Pflege. Sie lebte allein, ihr Mann war an der Front, ihre beiden Kinder waren an Diphtherie verstorben. Frau Hertwig erinnert sich noch heute daran, daß vor einem Erkerfenster in der Wohnstube ein großer Teddy und eine Puppe saßen, die an ihre Kinder erinnern sollten. Die Wohnung muß in Königsberg in der Nähe des Tiergartens gelegen haben. Allerdings will sich Frau Hertwig auch daran erinnern, daß sie oft am Meer spazieren gingen. Hat die Pflegemutter mit dem Kind mitten im Krieg Ausflüge an die See unternommen? Das würde von einer großen Zuneigung zu dem Kind sprechen, die sich auch in den weiteren schweren Jahren zeigte.

Frau Packheiser hatte der leiblichen Mutter versprochen, ihr nach Kriegsende das Kind zu­rück­zugeben. Ob und bis wann sie Verbindung zu ihr hatte, ist unklar. Frau Semmler hatte die Absicht, ihre Tochter zu deren vierten Geburtstag am 11. September 1944 zu besuchen. Sie wollte Renate einen Wunsch erfüllen, das Kind hatte sich für einen Puppenwagen entschieden. Leider kam der Besuch nicht zustande, denn nach den Bombenangriffen war die Verbindung abgebrochen. Auch das Haus, in dem Frau Pack­heiser wohnte, wurde zerstört. Die Ausgebombten fanden Aufnahme in einem großen Schulgebäude in der Nähe. Nach der Russenbesetzung blieb Frau Packheiser mit dem Kind in Königsberg. Sie wohnte in einem Vorort in einem Mietshaus zusammen mit russischen Familien. Die Pflegemutter arbeitete auf einem Gestüt, das Kind war sich allein überlassen, stromerte herum, ging betteln. Es gab Gewalttätigkeiten, die sich bei Renate tief eingeprägt haben. Durch Mangelernährung litt sie an Knochenweiche. Ein russischer Offizier verschaffte ihr Kalktabletten und einen Sportwagen, mit dem sie gefahren werden konnte. Auch ihrer Pflegemutter ging es gesundheitlich sehr schlecht, sie fiel oft in Ohnmacht, hatte Nervenzusammenbrüche. Dann kam die Aussiedlung im Frühjahr 1947. Eine endlos erscheinende Fahrt, dann Quarantäne, schließlich Endstation in Thüringen. In Saalfeld übergab Frau Packheiser das Kind einer Organisation und fuhr dann weiter nach Berlin-Grünau zu Verwandten, wo sie sich in ärztliche Behandlung begeben wollte.

Für Renate begann eine Irrfahrt durch dauernd wechselnde Kinderheime und Pflegestellen. Als sie es in einer Saalfelder Familie nicht mehr aushielt, wollte sie zu Frau Packheiser nach Berlin, wurde aber geschnappt, kam in ein anderes Heim. Das Mißtrauen gegen alle Erwachsenen wuchs, bis sie schließlich in einer Familie Geborgenheit fand und einen Teil ihrer verlorenen Kindheit wieder nachholen konnte. Frau Packheiser hat sich bis zu ihrem Tode 1956 um Renate gekümmert, sie oft besucht. „Welch große und für mein persönliches Leben bedeutsame Leistungen diese großartige Frau vollbracht hat, wird mir heute erst richtig bewußt“, schreibt Frau Hertwig, „leider kann ich ihr keine Dankbarkeit mehr geben.“

Schmerzlich ist für sie vor allem der Verlust der Briefe, die Frau Packheiser an die letzten Pflege­eltern in Rudolstadt geschrieben hatte. In ihnen schilderte sie ausführlich Einzelheiten von Renates Kindheit und der Flucht. Als Kind konnte Frau Hertwig die in deutscher Schrift gehaltenen Briefe nicht lesen. Leider waren sie nach dem Tod der Pflegeeltern nicht mehr auffindbar. In ihnen hätte wahrscheinlich vieles über die Herkunft und Familie des Kindes gestanden, Fragen, die nun an uns gestellt werden:

Sie betreffen in erster Linie die Mutter von Renate, Erna Semmler, wohnhaft in Königsberg, Rothensteinerstraße 3 b. Die Entbindung fand am 11. September 1940 wahrscheinlich in der Städtischen Krankenanstalt auf dem Hinterroßgarten statt. Wer war der Vater des Kindes? Hatte Frau Semmler einen etwa 1938 geborenen Sohn? Leben noch Angehörige der Taufpaten Fritz Neumann und Anna Obs? Wer kannte Frau Packheiser, war mit ihr in Königsberg oder auf dem Transport zusammen? Für jede Auskunft wäre Frau Hertwig sehr dankbar. Ihr Leben hat sie in ihrem Beruf als Kindergärtnerin, als fünffache Mutter und Großmutter von elf Enkelkindern gemeistert. Ihr Wunsch: Möge das, was ich erleben mußte, meinen Nachkommen und allen Kindern erspart bleiben! (Renate Hertwig, An der Gärtnerei 72 in 07407 Uhlstädt-Kirchhasel, OT Zeutsch, Telefon 036742/12367, E-Mail: rh-zeutsch@online.de)

Eure Ruth Geede

Foto: Festwagen zum „Tag der Heimat“ Ende der 20er Jahre in Tilsit: Wer die beiden Herren vor dem Gespann kennt, wende sich an Siegfried Schiek, Ringstraße 10 in 93189 Reichenbach.


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