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09.05.09 / Russki-Deutsch (16): Machorka

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-09 vom 09. Mai 2009

Russki-Deutsch (16):
Machorka
von Wolf Oschlies

Wladimir Kaminer, erzkomischer Multikulti-Fabulierer über Russisches im deutschen Alltag, erzählt von einem russischen Tabak, der, in einer deutschen Stadt geraucht, „zur sofortigen Evakuierung des ganzen Stadtteils führen“ würde. Wie das Kraut heißt, verrät er nicht, aber es kann nur Machorka sein. In der ersten Nachkriegszeit lebte meine Familie an der thüringisch-hessischen Zonengrenze, und das letzte Haus vor dem Schlagbaum bevölkerte eine russische Kompanie – was man schon roch, bevor man sie sah: Machorka!

Machorka, angeblich eine Verballhornung des Namens der niederländischen Stadt Amersfoort, ist der klassische und billigste Tabak der Russen, aus Blattresten und Blattrippen hergestellt und in einer unüberriechbaren Rauchwolke aufgehend. Wie alt er ist, weiß so genau niemand, aber bereits 1858 hat Dmitrij Dawydow (1811–1888), der Ethnograph und Poet, ihn in seinem Gedicht „Heiliger Baikal“ besungen: „Parni snabshali machorkoj“ (Die Burschen versorgten mich mit Machorka). Das Gedicht, später eines der beliebtesten russischen Volkslieder, beschreibt eine Flucht aus Sibirien, was ohne Machorka nicht machbar ist.

Ein Moskauer Autor erzählte mir, er sei im Bürgerkrieg 1920 in ein Dorf evakuiert worden, wo er einen Bauern um eine Zeitung bat. Die Antwort: „My ushe oboi kurim“ (Wir rauchen schon Tapeten). Zeitungen las man nicht, man drehte „Ziegenfüßchen“ aus ihnen, Tütchen, deren oberes Ende mit Machorka gefüllt und das untere spitze als Mundstück abgewinkelt wurden. So hat es 1920 auch der deutsche Autor Alfons Goldschmidt beobachtet: „Machorka ist (auch im Frieden schon gerauchte) Kleinleutemarke, ein Männertabak, er schmeißt um, man muß sich erst daran gewöhnen. Jedes Papier ist in Mos-kau Zigarettenpapier.“  

Später konnten deutsche Kriegsgefangene das bestätigen, in deren Erinnerungen Machorka keine kleine Rolle spielte. Und sie versicherten, daß Machorka aus „Prawda-Ziegenfüßchen“ am besten schmecke. Die „Prawda“ verschwand längst, und echten Machorka habe ich in Rußland seit Jahrzehnten nicht mehr geschnuppert. Ob da wohl ein Zusammenhang besteht?


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