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09.05.09 / Lebendiges Kulturgut / Die Spanische Hofreitschule und ihre weißen Hengste sind auch eine Touristenattraktion

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-09 vom 09. Mai 2009

Lebendiges Kulturgut
Die Spanische Hofreitschule und ihre weißen Hengste sind auch eine Touristenattraktion

Sie gehören zu den touristischen Attraktionen in der Donaumetropole Wien, die weißen Lipizzaner. Ein Besuch in der Hofreitschule steht ganz oben auf der Wunschliste.

Nach dem Zerfall des Habsburger-Reiches 1918 war die Wahrung des kulturellen Erbes zwar wegen der tristen Wirtschaftslage der kleinen Nachfolge-Republik arg gefährdet, wurde aber „ideologisch“ kaum ernsthaft in Frage gestellt. Diesem Umstand – und dem materiellen Wert von Kulturgütern als Tourismus-Attraktionen – verdankt auch die Spanische Hofreitschule ihren Fortbestand. „Hof-“, sonst meist aus Namen gestrichen, blieb der Hofreitschule ebenso erhalten wie der Hofburg, einem im Laufe von sechs Jahrhunderten aus mehreren „Burgen“ zusammengewachsenen Bauwerk mit 240000 Quadratmetern Grundfläche.

Das Attribut „Spanisch“ geht letztlich auf die von Kaiser Maximilian I. initiierte und weltgeschichtlich bedeutsame Verbindung seines Sohnes Philipp mit der Infantin Isabel zurück, der späteren Erbin von Kastilien und Aragon. Denn dieser Ehe entstammen die nachmaligen Kaiser Karl V. und Ferdinand I., und es war Ferdinand, der – damals noch Erzherzog – für die Dressur besonders geeignete Zuchtpferde samt ihren Bereitern aus Spanien holte. Er ließ auch jenes zunächst als Residenz gedachte Renais-sance-Gebäude errichten, das heute „Stallburg“ heißt. Die Reitschule wird 1572 erstmals urkundlich erwähnt – als „Spanischer Reithsall“. Zur Nachzucht wurde 1580 in Lipizza, im Karstgebiet bei Triest, ein Gestüt eingerichtet, weshalb man die Pferde zunächst „Spanische Karster“ und später „Lipizzaner“ nannte.

Kaiser Karl VI. ließ die heute mit der Stallburg verbundene „Winterreitschule“ errichten. Der barocke Prunksaal, der in seiner ursprünglichen Form erhalten ist und als schönste Reithalle der Welt gilt, war aber nicht immer nur „Arbeitsplatz“ der Lipizzaner: Karls Erbin Maria Theresia veranstaltete dort auch ihre „Damen-Carrousels“, bei denen Hofdamen in verspielter Nachfolge mittelalterlicher Turniere reitend oder in „Muschelwagen“ sitzend mit Degen nach „Türkenköpfen“ stachen. Zur Zeit des Wiener Kongresses wurden dort Monumental-Konzerte veranstaltet – dirigiert unter anderem von Ludwig van Beethoven. Und 1848 fand dort die erste Reichsratssitzung statt.

Die jüngere Geschichte der Hofreitschule ist eng mit dem Namen von Oberst Alois Podhajsky verbunden, der diese Institution von 1939 bis 1964 leitete. Dem 1898 in Mostar, Herzegowina, Geborenen schien eine k. u. k.-Offizierslaufbahn vorgezeichnet zu sein – aber dann gab es nur das bescheidene Bundesheer. Immerhin gewann er bei der Olympiade 1936 in Berlin eine Bronzemedaille im Dressurreiten. 1938 wurde Podhajsky in die deutsche Wehrmacht übernommen. Gegen Kriegsende ließ er die Lipizzaner nach Westböhmen in Sicherheit bringen. Es gelang ihm schließlich, mit US-General George Patton Kontakt aufzunehmen. Patton, der an der Olympiade 1912 teilgenommen hatte und ein großer Pferdeliebhaber war, ermöglichte die Überstellung der Pferde nach Oberösterreich, wo sie bis 1955 blieben.

Seit Anfang 2008 wird die Hofreitschule erstmals von einer Frau geleitet, von Elisabeth Gürtler, die selbst Dressur-Reiterin war. Besser bekannt ist sie als langjährige Organisatorin des Wiener Opernballs und als Geschäftsführerin und Miteigentümerin des Hotels Sacher. Ende 2008 wurden – gegen erhebliche Widerstände – auch zwei weibliche „Eleven“ aufgenommen.

Die heutigen Lipizzaner sind Nachkommen der aus Spanien importierten Pferde und der später eingekreuzten „Neapolitaner“, die ebenfalls aus Spanien stammen. Die Fohlen werden dunkel geboren, und erst die erwachsenen Tiere wandeln sich – meist – zu Schimmeln. Für die Dressur werden ausschließlich Hengste herangezogen.

Als Lipizza 1918 an Italien fiel, wurde die Stutenherde geteilt. Der österreichische Teil ist seit 1920 – mit Unterbrechungen – im Gestüt Piber in der Steiermark untergebracht. Dort gibt es derzeit 260 Lipizzaner, davon 70 Zuchtstuten. Der Rest sind Jungtiere und einige Vorführhengste. Die Paarung wird anhand der Zuchtbücher („Ahnentafeln“) geplant und erfolgt im „Natursprung“. Lipizza wurde 1945 jugoslawisch und gehört heute als Lipica zu Slowenien.

In der Stallburg in Wien sind 72 Hengste stationiert. Die bei Vorführungen gezeigten Dressur-Akte sind stilisierte Formen einstiger Kampftechniken. Besonders deutlich erkennbar ist das bei der „Levade“, diesem häufig auch auf Reiterdenkmälern abgebildeten Aufbäumen auf den Hinterbeinen, und bei der „Courbette“, dem Sprung aus dem Stand mit Ausschlagen nach hinten. Das Fachpersonal gliedert sich in Oberbereiter, Bereiter, Bereiter-Anwärter und Eleven, insgesamt derzeit 21 Personen.             Richard G. Kerschhofer


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