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16.05.09 / Ein neues Heim für den Reichtsag / Vor 125 Jahren legte Kaiser Wilhelm I. in Berlin den Grundstein für den heutigen Sitz des Deutschen Bundestages

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-09 vom 16. Mai 2009

Ein neues Heim für den Reichtsag
Vor 125 Jahren legte Kaiser Wilhelm I. in Berlin den Grundstein für den heutigen Sitz des Deutschen Bundestages

Nach der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 stellte sich die Frage nach der Unterbringung des neuen Verfassungsorganes Reichstag. Längerfristig sollte ein eigener, repräsentativer Neubau her.

Zu diesem Zwecke wurde noch im Jahre der Reichsgründung ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Der Wettbewerb war international offen, und so fanden sich unter den 103 Teilnehmern auch 15 aus Großbritannien, sieben aus Österreich sowie weitere aus Italien, Belgien, Holland und sogar Frankreich. Die Jury bestand aus zwölf Parlamentariern sowie den sechs Architekten Gottfried Semper, Vinzenz Statz, Gottfried Neureuther, Friedrich Schmidt, Friedrich Hitzig und Richard Lucae sowie dem Bildhauer Friedrich Drake. Als Gewinner ging im darauffolgenden Jahr ein neoklassizistischer Entwurf Ludwig Bohnstedts hervor.

Als Bauplatz war der bekannte Ort im Spreebogen ausgeguckt. Als Problem erwies sich, daß auf diesem Platze damals bereits ein Gebäude stand, das Palais Raczynski. 1847 hatte der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. Athanasius Raczynski das Grundstück für die Errichtung eines Galeriegebäudes geschenkt, damit dieser dort seine Bilder der Öffentlichkeit zugänglich machen konnte. Weder war Raczynski bereit, sein Lebenswerk aufzugeben, noch Wilhelm I., eine Enteignung durchzuführen, um einem Manne das zu nehmen, was ihm sein älterer Bruder und Vorgänger für treue Verdienste überlassen hatte. So mußte der Tod Raczynskis abgewartet werden. Dessen Sohn streubte sich zwar aus Pietät anfänglich auch etwas, das Erbe seines Vaters aufzugeben, verkaufte aber schließlich.

Nun hätte man den Entwurf des in Rußland geborenen Deutschen Bohnstedt realisieren können, aber das tat man nicht. Die mittlerweile in den Provisorien gemachte Parlamentserfahrung hatte bei den Reichstagsabgeordneten neue Ansprüche an den Neubau entstehen lassen, und Neogotik war auch nicht mehr angesagt. So wurde 1882 erneut ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Abgesehen von Preisträgern des vorangegangenen Wettbewerbes wurden diesmal allerdings nur Deutschsprachige zugelassen. Die Jury war wieder ähnlich zusammengesetzt. Diesmal standen 13 Parlamentariern sieben Architekten und ein Maler gegenüber. Das Rennen unter den 189 Einreichungen machte ein Entwurf des Frankfurter Architekten Paul Wallot. Eine überarbeitete Fassung erhielt Ende 1883 das Placet von Reichstag, Kaiser, Reichsregierung und der Akademie des Bauwesens.

Der Grundsteinlegung organisierte der Staatssekretär im Reichsamt des Inneren und Stellvertreter des Reichskanzlers Karl Heinrich von Boetticher. Mit Schreiben vom 21. Mai 1884 schlug er dem Kaiser für den Fall, daß dessen „Reisedispositionen damit verträglich sein sollten, Montag, den 9. Juni, entgegengesetzten Falls Freitag, den 6. Juni“ vor. Wilhelm antwortete am 24. Mai: „Als Tag und Stunde der Feier bestimme Ich den 9. Juni. d. J. um 12 Uhr.“

So sollte es geschehen. Der Hofsteinmetzmeister Wimmel & Comp. schuf aus Rackwitzer Sandstein den 110 x 90 x 75 Zentimeter großen Grundstein und der Hofkupferschmiedemeister W. Otto lieferte die darin zu versenkende 52 x 26 x 11 Zentimeter große Dokumentenkapsel aus poliertem Kupfer mit von Löwenmäulern gehaltenen Griffen. Entsprechend der Planung kamen in die Kapsel der Erlaß „An das deutsche Volk“ betreffend die Erneuerung der deutschen Kaiserwürde vom 17. Januar 1871, die Verfassung des Deutschen Reiches, das Handbuch für das Deutsche Reich des Jahres 1884, die Baugeschichte des Reichstagsgebäudes bis zur Grundsteinlegung, Pläne der Reichshauptstadt einschließlich ihres Weichbildes und ein vollständiger Satz aller Reichsmünzen aus Prägungen aller deutscher Münzstätten. Bei der späteren Bergung der Grundsteinkapsel wurde entdeckt, daß Boetticher auch noch seine Visitenkarten beigelegt hatte, wohl ein Versuch, sich fernab aller Vorschriften der Nachwelt in Erinnerung zu rufen.

Am 9. Juni 1884 verlief der Akt der Grundsteinlegung fast ohne Pannen. Die „Times“ berichtete, daß bei der Übergabe der Kelle an den Kaiser diese von ihrem blauen Samtkissen fiel, wobei das britische Blatt es offen ließ, ob „der Übergeber nervös oder der Empfänger etwas ungelenk“ war. Bemängelt wurde eine zu leise Aussprache des mittlerweile 87jährigen. Dafür war sein Enkel, der spätere Kaiser Wilhelm II., um so besser zu verstehen. Auch der zwischen den beiden liegende spätere Kaiser Friedrich III. gehörte zu den etwa 75 Personen, die auf den Grundstein hämmerten. Der Kaiser hatte auf der Teilnahme des damaligen Kronprinzen bestanden in dem Wissen, daß er selber die Fertigstellung des Baus nicht mehr erleben würde. Daß dieses auch seinem Sohne versagt blieb, konnte er nicht ahnen.

Kritik erntete seitens der „Frankfurter Zeitung“ die starke Präsenz von Uniformierten an dem Festakt. Diesem Tadel aus dem eigenen Land stand Lob aus dem Ausland gegenüber. So sah der britische „Standard“ in der Feier den Beweis dafür, daß in Deutschland die Volksvertretung Achtung genieße. Auch Reichskanzler Otto von Bismarck gehörte zu den kritisierten Uniformierten, was ihn allerdings, schenken wir den „Dresdner Nachrichten“ Glauben, nicht daran hinderte, bei dieser Gelegenheit eine Friedensbotschaft auszusenden. Auf die Frage eines russischen Generals, ob man so schöne weiße Hosen wie die seiner Kürrassieruniform auch im Kriege trage, soll er geantwortet haben: „Ich weiß es nicht, wir führen keine Kriege mehr.“   Manuel Ruoff

Foto: Nicht gerade bei „Kaiserwetter“: Grundsteinlegung des Reichstagsgebäudes im Spreebogen


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