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16.05.09 / Pariser Anne Frank / Tagebuch einer Jüdin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-09 vom 16. Mai 2009

Pariser Anne Frank
Tagebuch einer Jüdin

Das Tagebuch der Anne Frank ist weltweit bekannt. Das Tagebuch der Hélène Berr ist eben erst in deutscher Sprache erschienen. Dabei sind beide Bücher in etwa zur selben Zeit entstanden. Die Verfasserinnen sind beide Jüdinnen und fielen dem nazistischen Rassenwahn zum Opfer. Wird es auch „Berr“ zu Weltruhm bringen?

Frank lebte monatelang im Verborgenen, Berr konnte sich nicht zu diesem Schritt entschließen. Sie wollte sich nicht vorzeitig ihren Pflichten entziehen. Am 8. März 1944 wird die 23jährige Literaturstudentin verhaftet, bald darauf deportiert und Ende September 1944 in Auschwitz ermordet.

Der Leser erfährt wenig über das Frankreich der Kriegsjahre, ausgenommen die Judenverfolgung und das Psychodrama in der Seele der jungen Frau. Mal ist das Leben für sie „fabelhaft“, mal ist es zum Verzweifeln. Ab September 1941 mußten die Juden in Deutschland den Gelben Stern tragen, ab Juni 1942 auch die Juden im besetzten Frankreich. Sie schwankt: Soll ich oder soll ich nicht? „Ich betrachtete es als Schande und als Beweis der Unterwerfung unter die deutschen Gesetze. Heute Abend hat sich alles wieder geändert: Ich finde, es ist Feigheit, es nicht zu tun, gegenüber jenen, die es tun werden.“ Ähnlich wie die Erfahrungen der meisten Juden in Deutschland sind ihre Erfahrungen in Paris mit dem Gelben Stern überwiegend erträglich. „Er redete sehr freundlich mit mir, doch sein Blick mied meinen Stern.“

Die Kollaboration der Amtsverwalter mit der Besatzungsmacht bleibt auch ihr nicht verborgen, obwohl sie fälschlich annimmt, das Vèl d’ Hiv, „wo man Tausende von Frauen und Kindern eingesperrt hat“, sei „von den Deutschen“ bewacht worden. Ihre Erschütterung über die französischen Hilfskräfte der Besatzer offenbart ein allgemein menschliches Gebrechen: „Daß man so weit gekommen ist, die Pflicht als etwas vom Gewissen Unabhängiges, von Gerechtigkeit, Güte, Nächstenliebe Unabhängiges zu betrachten, ist der Beweis für die Absurdität unserer sogenannten Zivilisation.“

Aber: „Das [französische] Volk ist bewundernswert … Es gibt den gütigen Blick von Männern und Frauen, der einem das Herz mit einem unbeschreiblichen Gefühl erfüllt.“ Den Kontrast dazu bildet das deutsche Volk. „Man darf nicht versuchen, die geistige Verfassung der Deutschen von heute mit der unseren zu vergleichen. Sie sind vergiftet; und sie denken nicht mehr …“

Hélène will nicht hassen und haßt doch. Aus dieser Verführbarkeit des menschlichen Geistes speiste sich nicht selten die Brutalität der Verfolger. Daher soll jeder dankbar sein, der die „Gnade der späten Geburt“ erfahren hat.

Erfreulich zu wissen, daß jene Juden, die täglich mit den „arischen“ Deutschen zu tun hatten, wie der Dresdner Sternträger Victor Klemperer, zu einem anderen Urteil gelangt sind als Hélène. Sinngemäß lauten solche Beobachtungen, von Zeitzeugen über Jahre hinweg gemacht: „Fraglos empfindet das [deutsche] Volk die Judenverfolgung als Sünde.“ Daß sich die Urteile über die damals verfeindeten Völker in einem so zentralen Punkt so sehr gleichen, ist eine wertvolle Lesefrucht.             Konrad Löw

Hélène Berr: „Pariser Tagebuch 1942-1944“, Hanser, München 2009, 320 Seiten, 21,50 Euro


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