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23.05.09 / Corpsstudenten bauen Brücken am Pregel / Corps Masovia kehrt zu seinen Ursprüngen zurück – »Weiche Knie« bei der Aufnahme eines Fuchsen im Dom

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-09 vom 23. Mai 2009

Corpsstudenten bauen Brücken am Pregel
Corps Masovia kehrt zu seinen Ursprüngen zurück – »Weiche Knie« bei der Aufnahme eines Fuchsen im Dom

Zum fünften Male reisten vor wenigen Wochen Angehörige der Masovia in die Stadt Königsberg, in der das Corps bis 1935 beheimatet war. Mit von der Partie waren zwei Hessen-Nassauer, Marburger Corpsstudenten. Der eine, Sergey Alexandrovic, hatte die Reise vorbereitet. Mit dem Corpsbus aus Potsdam in Kneipjacken angereist, bezogen die drei Corpsstudenten mit ihrem nichtkorporierten Begleiter das (ordentliche) Studentenheim der Universität.

Herr Dipl.-Ing W. Sauer, ein Alter Herr des Jagdcorps Masovia zu Berlin, hatte sie nach Wehlau eingeladen. Mit seiner jungen Frau Jelena, einer promovierten Germanistin aus Sibirien, vermittelte er den jungen Gästen ein Bild von russischer Gastfreundschaft und den heutigen Verhältnissen im nördlichen Ostpreußen.

Entgegen allen Gerüchten hatte die KD Avia den Flugbetrieb noch nicht eingestellt. So brachten die beiden Maschinen aus Hamburg und Düsseldorf vier Alte Herren nach Powunden (Chrabrovo), dem früheren Militärflughafen der deutschen Luftwaffe. Die Zukunft des Flughafens ist so unsicher. Der moderne Neubau ist allenfalls zur Hälfte fertiggestellt. Für die aufgenommenen Kredite ist der Flughafen verpfändet worden.

Von den Jungen mit „Königsberger Pils“ begrüßt, wurden die Alten (72, 60, 52, 42) ins bewährte Hotel Kaliningrad gebracht. An der wohl verkehrsreichsten Kreuzung der Stadt, der früheren Kneiphöfschen und Altstädtischen Langgasse, hat man den einsamen Dom und die „unkaputtbare“ Bauruine des Hauses der Räte im Blick (Für Corpsstudenten: sie ist in masurischem Hellblau gestrichen).

Wie immer mit Band und Mütze, ging es am Montag zum Schloßteich. Am Ost­ufer steht die einigermaßen hergerichtete Stadthalle, die jetzt als Museum für Geschichte und Kunst dient. Die Jungen hatten es bereits besucht. Ansonsten sind nur die Bäume alt. Nicht nur die Uferanlagen, sondern auch die trostlosen Industriegebäude aus den Nachkriegsjahren sind verfallen. Das Auge findet keinen Halt in der Stadtgeschichte. Das Gefühl von Verlorenheit verstärkt sich beim Zentrum für russische Sprache. Ljudmilla Putina, die in der Stadt geborene Ehefrau des ehemaligen Präsidenten, hat dieses klassizistische Gebäude gestiftet. Neben drei Königsberger Kosmonauten und dem Patriarchen Kyrill ist sie Ehrenbürgerin der Stadt. Der Zentrumsleiter und seine Damen wirken ein wenig befangen. Unklar bleibt die Perspektive dieser Einrichtung.

Seit ihrem Wiedererstehen in Potsdam vor acht Jahren hat Masovia zwar zwei Corpsstudenten in der evangelischen Kapelle aufgenommen, aber noch keinen „Fuchsen“ (Neuling) im Mittelschiff des Doms, jetzt ist es soweit. Als die Farbenstrophen unter der Orgelempore mit dem Königsberger Stadtwappen gesungen werden, gibt es weiche Knie. Vor 79 Jahren begann an dieser Stelle Masovias 100. Stiftungsfest.

Der Dom war die Universitätskirche, zu deren Gemeinde alle Studenten der Albertina gehörten. Er brannte Ende August 1944 nach den britischen Bombardierungen aus. Nach 1990 wurde das Wahrzeichen Königsbergs mit massiver deutscher Unterstützung wieder aufgebaut. Es halfen der Bundesminister des Innern, die „Zeit“-Stiftung und eine Arbeitsgemeinschaft (Gemeinschaft evangelischer Ostpreußen, Stadtgemeinschaft Königsberg, Stiftung Königsberg, Landsmannschaft Ostpreußen). Zwei Fenster im Südflügel wurden von der Stadtgemeinschaft Königsberg, die Chorfenster von alten ostpreußischen Familien (Dohna, Groeben) finanziert.

Wie der „Königsberger Express“ im März 2009 mitteilte, ist nun auch die Grabtafel von Anna und Boguslav Radziwill an der Nordwand des Domes nach dreijährigen Arbeiten wiedererstanden. Als Statthalter des Großen Kurfürsten hatte der polnische Fürst Radziwill viel zur Anerkennung der Reformierten Gemeinde in Königsberg beigetragen. - Das Schloß war mit dem Dom durch einen unterirdischen Gang verbunden. In seinen Nischen wurden wertvolle Gegenstände gelagert.

Die Zugänge wurden wohl gesprengt. Auf der Suche nach dem legendären Bernsteinzimmer will der russische Katastrophenschutz deshalb in diesem Jahr erstmals im neuen Pregel graben.

Die acht Corpsstudenten drängte die Zeit. Vom Dekan der Historischen Fakultät eingeladen, sollten sie sich in der Universität am früheren Paradeplatz vorstellen. In Gegenwart von 25 Studenten begrüßte Dr. Galtsov, der sich seit vielen Jahren mit den Identitätsproblemen der Menschen in Rußlands Exklave befaßt und darüber auch publiziert hat, die korporierten Gäste aus Deutschland herzlich. Ihnen hatte sich Dmitrij, ein Angehöriger der Fraternitas Arctica, einer russischen Verbindung in Riga, ebenfalls in Couleur angeschlossen. Nachdem Valery Ivanovic die Universität mit ihren zwölf Fakultäten vorgestellt hatte, überbrachte der Berichterstatter die Grüße seiner Universität Greifswald, die mit der Königsberger Universität eine Partnerschaft unterhält. Er überreichte der Fakultät Masovias  Widmungswappen und dem Dekan eine Zeichnung des Potsdamer Corpshauses. Sergey brauchte nun nicht mehr zu dolmetschen und referierte souverän über die studentische Selbstverwaltung in Deutschland, den Alltag seines Corps Hasso-Nassovia zu Marburg und die Geschichte Masovias, der bis 1935 ältesten Verbindung an der Albertina. Es kennzeichnete den guten Geist dieser Begegnung, daß anschließend zwei Studentinnen über das Leben an der Russländischen Immanuel-Kant-Universität berichteten. Es entwickelte sich eine aufgeschlossene Diskussion.

Wie erholt sich ein Corpsstudent von Kultur und Geist? Er feiert eine Kneipe! Die Restaurant-Bar „Britannika“ im früheren Haus der Technik war dafür ideal. Dmitrij und Herr Sauer, der Dekan, der Deutsche Konsul und der Repräsentant der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer St. Petersburg/Königsberg kamen schon zum Essen – und blieben die ganze Nacht. Unter den Fahnen der Kartellcorps wurden deutsche und russische Studentenlieder gesungen und englische Biere getrunken. Jeder hatte etwas zu sagen.

Fischdorf, der neue Hotelkomplex am Pregel, wirkt wie Neuschwanstein in Las Vegas. Das riesige Wohngebäude auf der anderen Pregelseite ist eine der vielen Bauruinen in der Stadt. Mit dem weichen Untergrund kommt man besonders auf der Lomse nicht zurecht. Der Weg zum Dom führt über die Honigbrücke. Als einzige der sieben Pregelbrücken hat sie den Zweiten Weltkrieg überstanden. Die Geländer sind voll von Sicherheitsschlössern, mit denen sich Hochzeitspaare nach dem Foto am Kant-Grabmal ewige Treue versichern.

Das Stadt- und Kantmuseum im Nordturm des Doms steht für die Identitätsprobleme der heutigen Bewohner der Stadt. Welche Beziehung sollen die Angestellten zu den in jeder Hinsicht fremden Exponaten entwickeln? Was  sollen sie deutschen oder russischen Besuchern erklären? Wie soll sich die Organistin bei Bach fühlen? Das Modell von Altstadt, Löbenicht und Kneiphof, der Allgemeinheit nicht zugänglich, ist bewundernswert. Es ist aber kein zuverlässiger Nachbau der Vorkriegsverhältnisse, sondern zum Teil wohl Irrtum oder Phantasie.

Das Europainstitut Klaus Mehnert ist der Technischen Universität der Stadt angegliedert. In einem düsteren Betonbau gegenüber vom früheren (später vom KGB genutzten) Polizeipräsidium wird seit 2005 ein einjähriger Studiengang in deutscher Sprache angeboten. Postgraduierte aus allen Ländern sollen „Europa verstehen“ lernen. 340 deutsche Industrieunternehmen, darunter BMW und HeidelbergCement, haben in der Stadt investiert, 680 im ganzen Gebiet. Der „Deutsche Wirtschaftskreis Kaliningrad“ trifft sich allmonatlich im Deutsch-Russischen Haus. Salomon Ginsburg, Abgeordneter der Gebietsduma, sprach die zentralen Probleme der Region in verblüffender Offenheit an: schlechte Infrastruktur, erdrückende Bürokratie, organisierte Kriminalität und Korruption als Folge mangelnder Rechtssicherheit und Demokratie.

Der Dekan der Historischen Fakultät hatte von der Einrichtung einer Medizinischen Fakultät berichtet und mir einen Termin bei ihrem Dekan Prof. Sergey Korenev besorgt. Die Verneigung vor der Rußland-Flagge und dem Putin-Bild gefiel ihm. Er stimmte zu, daß es Deutschland und Rußland immer dann am besten ging, wenn sie zusammenstanden. Es wurde eine fast herzliche Plauderstunde. Er sei gern bereit, die Partnerschaft mit der Universität Greifswald auch im medizinischen Bereich mit Leben zu erfüllen. Die Ernst Moritz Arndt Universität hat inzwischen entsprechende Initiativen ergriffen. Rüdiger Döhler

Der Autor ist Orthopäde und Chirurg und lehrt Medizin an der Universität Greifswald.

Foto: Im Dom: Vorn halbrechts Professor Döhler


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