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30.05.09 / Britische Politiker »warten aufs Schafott« / Wirtschaftskrise, Spesenbetrug im Parlament, ein neuer Datenskandal – Wird die Wahl am 4. Juni zur Abrechnung?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-09 vom 30. Mai 2009

Britische Politiker »warten aufs Schafott«
Wirtschaftskrise, Spesenbetrug im Parlament, ein neuer Datenskandal – Wird die Wahl am 4. Juni zur Abrechnung?

Schon am 4. Juni wählen die Briten ihre Europaabgeordneten, gleichzeitig sind Kommunalwahlen. Demoskopen fürchten ein Gemetzel unter den etablierten Parteien. Der gigantische Spesenskandal hat alles Vertrauen in wenigen Wochen verwüstet.
Damit aus der Krise eine Katastrophe wird, müssen mehrere Debakel auf einmal zuschlagen. In Großbritannien ist die Katastrophe komplett: Als erstes und wie kaum ein anderes Land wurde die Insel von der Finanzkrise heimgesucht. Die Verunsicherung ist nach Jahren des ungestümen Booms niederschmetternd. In Großbritannien war der Glaube an die Magie der Finanzmärkte und ihrer Macher weit ausgeprägter als in Kontinentaleuropa, entsprechend tief war die Bestürzung über das Straucheln so vieler eben noch klangvoller Namen.

Immerhin aber schwang sich vergangenen Herbst der bis dahin glücklos hantierende britische Ministerpräsident Gordon Brown zum geachteten Retter auf: Mit verächtlichem Hinweis auf die zögerliche Angela Merkel feierten die Inselmedien ihren zupackenden Premier, der ohne zu fackeln Bankenrettung und Konjunkturstützung in die Hand genommen habe. Das Vertrauen, das eben noch den Magnaten aus der Londoner City gezollt wurde, ging nun auf die Politik über. Wenigstens an ihr konnte man sich nun noch festhalten.
Doch auch das ist nun aus und vorbei. Es begann recht harmlos, als im Februar 2009 herauskam, daß Innenministerin Jacqui Smith Pornofilme, die ihr Mann ausgeliehen hatte, als Spesen dem Steuerzahler in Rechnung stellte. Im April berichtet der „Daily Telegraph“ erstmals über anrüchige Spesenabrechnungen im britischen Unterhaus, jedoch noch ohne Details zu nennen. Am 8. Mai schließlich beginnt das Blatt, jeden Tag weitere Namen von Parlamentariern zu verraten, mitsamt allen Daten über ihre schamlose Bereicherung auf Kosten der Steuerzahler mittels Spesen.

Jetzt geht das schon drei Wochen so, jeden Tag. Es ist ein gleichsam mörderisches Ritual geworden. Gegen 13 Uhr zittern die Abgeordneten neben ihren Telefonen. Bei einigen klingelt es, der „Telegraph“ ist dran und kündigt an: Morgen bringen wir Ihre Spesenabrechnung. Danach lassen die Journalisten den Parlamentariern vier Stunden Zeit, um zu reagieren. Es ist wie der tägliche Appell zum Schafott.

Wie viele Abgeordnete am Ende betroffen sein werden, war bei Redaktionsschluß dieser Zeitung noch nicht abzusehen. Aus Londoner Kreisen jedoch verlautete, daß 325 der 646 Unterhaus-Mitglieder freiwillig aufhörten oder beim nächsten Urnengang sicherlich abgewählt würden. Woraus sich diese Zahl speist, blieb dunkel, sie gibt aber womöglich einen Hinweis auf das Ausmaß des Spesenmißbrauchs.

Die Liste dessen, was die Parlamentarier in den vergangenen Jahre als Spesen deklarierten, reicht von unverschämt über komisch bis lächerlich: Der konservative David Heathcoat-Amory ließ den Steuerzahler 338 Pfund für Pferdedung, fünf Pfund für einen Platten in seiner Schubkarre und zwei Pfund für Mäusegift berappen. Ärger trieb es da schon die sozialdemokratische Kommunalministerin Hazel Blears: Sie legte sich innerhalb eines Jahres nacheinander drei Wohnungen als Zweiwohnsitz zu, die sie – juristisch einwandfrei – als Zweitwohnsitz auf Staatskosten renovieren ließ. Jeweils nach der Renovierung verkaufte sie die restaurierten Altbauresidenzen gleich wieder mit üppigem Gewinn, einmal 45000 Pfund (über 50000 Euro) und ging zum nächsten Objekt über. Einsicht zeigt Blears nicht, sie habe sich „an die Regeln gehalten“, insistiert die Ministerin. Ein konservativer Abgeordneter hatte Spesengeld in seinen Landsitz gesteckt. Zu der Aufregung darüber meinte er bloß, die Leute seien doch nur neidisch auf sein Anwesen.
Solche Ausbrüche mangelnden Unrechtsbewußseins sind die Dolchstöße für den Ministerpräsidenten wie für die Führer der anderen großen Parteien. Brown ist wie der Oppositionschef David Cameron von den Konservativen hastig bemüht, mit demonstrativer Reumütigkeit das Volk zu besänftigen. Die beiden selbst immerhin haben sich nichts vorzuwerfen, ebensowenig wie der Führer der Liberaldemokraten Nick Clegg. Clegg machte von sich reden, als er den Präsidenten des Unterhauses („Speaker“), Michael Martin, zum Rücktritt aufforderte wegen dessen nachlässiger Haltung in der Spesenfrage. Tatsächlich warf Martin das Handtuch, das erste Mal in 300 Jahren, daß der „Speaker“ zurücktreten mußte.

Nicht völlig geklärt ist, wie der „Telegraph“ in den Besitz der CD kam, auf der die Daten gespeichert sind. Das Blatt soll 300000 Pfund dafür hingeblättert haben. Man weiß jedoch zumindest, wer der Mittelsmann war, der Ex-Elite-Soldat John Wick. Wick spottete dieser Tage laut „Welt“, die Geheimhaltung in London böte den gleichen Schutz wie eine nasse Papiertüte.

Wie zur Bestätigung kam diesen Montag die Meldung, Datenträger mit hochsensiblen Informationen über teils hohe Offiziere der britischen Luftwaffe seien gestohlen worden. Es seien die Ergebnisse von Sicherheitsüberprüfungen, bei denen Details über Drogenmißbrauch, Vorstrafen, Huren-Besuche oder Seitensprünge protokolliert worden sein. Ein gefundenes Fressen für Journalisten, aber auch für ausländische Geheimdienste und Erpresser, stöhnt man in London.
Der Spesenskandal lehrt die britischen Parteien indes das Gruseln vor der bevorstehenden Doppelwahl am 4. Juni. In Großbritannien wird traditionell am Donnerstag gewählt. Demoskopen sehen die regierenden Sozialdemokraten nur noch bei knapp 20 Prozent, nicht mehr als die euroskeptische „Unabhängigkeitspartei“, die bislang als Splittergruppe belächelt worden war. Der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, sprang den bedrohten Etablierten bereits zur Seite und mahnte die Briten, keine radikalen Parteien zu wählen.Hans Heckel


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