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30.05.09 / Die Dramatik der Zeit eingefangen / Torsten Dietrich hat für seine Arbeit über den Oberbefehlshaber der 6. Armee alle verfügbaren Quellen ausgewertet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-09 vom 30. Mai 2009

Die Dramatik der Zeit eingefangen
Torsten Dietrich hat für seine Arbeit über den Oberbefehlshaber der 6. Armee alle verfügbaren Quellen ausgewertet

Der ehemalige Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Instituts der DDR, Torsten Diedrich, hat eine umfassende Studie zur Vita des Generalfeldmarschalls Friedrich Paulus (1890–1957) vorgelegt. In dieser Form ist die Abhandlung einmalig, berücksichtigt sie doch akribisch alle derzeit verfügbaren Quellen, um ein authentisches Bild dieses Offiziers zu zeichnen. Ohne Zweifel handelt es sich bei Paulus um eine tragische Figur der neueren Zeitgeschichte. Als Oberkommandierender der 6. Armee ist sein Name mit dem Untergang dieser Eliteeinheit in Stalingrad zur Jahreswende 1942/1943 und der Wende im Zweiten Weltkrieg überhaupt verbunden. Diedrichs Buch „Paulus – Das Trauma von Stalingrad – Eine Biographie“ zeichnet in sechs Kapiteln übersichtlich den Lebensweg des aus dem nordhessischen Breitenau stammenden Mannes nach.

Die militärischen Niederlage des deutschen Kaiserreichs im November 1918 und die schmachvollen Bedingungen des Versailler Vertrages im Jahre 1919 mit den maßlosen Gebietsabtretungen im Osten des Reiches empfand er wie das Gros seiner Landsleute als ehrabschneidend und ungerecht. Paulus hatte allerdings Glück im Unglück. Er wurde in das 100000-Mann-Heer der Weimarer Republik übernommen, so daß die Demobilisierung der Truppenverbände den jungen Offizier nicht existentiell bedrohte. Er war konservativ-unpolitisch und konzentrierte sich auf das Militärische, obwohl ihn die Krisen der Weimarer Republik nicht unberührt ließen.

Kurz vor der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Jahre 1933 bekleidete Paulus den Rang eines Oberstleutnants im Generalstab, er war mit einer rumänischen Adeligen verheiratet und Taktiklehrer an der Kriegsakademie in Berlin. Seine zurückhaltende und feinfühlige Art, die geprägt war von nationalen und christlichen Vorstellungen, ließ ihn auf innere Distanz zum Nationalsozialismus gehen. Der Aufbau der neuen Wehrmacht, die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, die Wiederbesetzung des entmilitarisierten Rheinlands durch deutsche Truppen 1936, die Heimholung des Sudetenlandes und der Anschluß Österreichs 1938 waren Balsam auf die geschundene Seele der deutschen Militärführung nach der Katastrophe von 1918.

Als die Wehrmacht am 22. Juni 1941 auf einer Frontlänge von 2000 Kilometer in die Sowjetunion eindrang, war die Armeeführung nach wenigen Wochen noch von einem schnellen Sieg überzeugt. Mitten in der Winterkrise 1941/1942 übernahm Paulus das Oberkommando über die 6. Armee. Der deutschen Militärführung war zwischenzeitlich schmerzlich bewußt geworden, daß man die Sowjetunion unterschätzt hatte. Die Weite des Landes und der mörderische Winter hatten die Schlagkraft der Wehrmacht dramatisch geschmälert. Zunehmend eskalierten die Spannungen zwischen Hitler und der Generalität über die Strategie und Führung der Truppenverbände. Das deutsche Heer hatte bis zu diesem Zeitpunkt rund eine Million Tote und Verwundete zu beklagen, nahezu 35 Prozent seiner personellen Kampfkraft verloren.

Am 21. August 1942 begann mit dem Angriffsbefehl auf die Industriemetropole Stalingrad das Verhängnis der 6. Armee. Daß der Frontschlauch bis in das Zentrum Stalingrads hinein an den Flanken nur von schlecht ausgerüsteten Formationen rumänischer und ungarischer Waffenbrüder völlig unzureichend gedeckt war und die Russen förmlich zu einer militärischen Zangenoperation einlud, war dem mittlerweile auch gesundheitlich angeschlagenen Paulus bewußt.

Es trat ein, was kommen mußte. Die russischen Truppen vollendeten den Einschließungsring am 22. November 1942, die 6. Armee mit insgesamt 260000 Mann war im Kessel eingeschlossen. Die Frage, warum der gewiefte Taktiker Paulus nach dem Einschluß nicht sofort den Befehl zum Ausbruch gab, der zu diesem Zeitpunkt immer noch große Aussichten auf Erfolg gehabt hätte, kann auch Diedrich trotz großartiger Recherche und Berücksichtigung zahlreicher Quellen nicht umfassend klären.

Daß sich Paulus in sowjetischer Gefangenschaft zur kommunistischen Agitation gegen sein Heimatland mißbrauchen ließ und vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal als Zeuge der Anklage gegen seine Kollegen im Generalstab der Wehrmacht aussagte, ist vor dem Hintergrund des militärischen Desasters der Deutschen an der Ostfront und der endgültigen Wende des Krieges eher eine Fußnote der Geschichte.

Erst 1953 kehrte Paulus aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Deutschland zurück, und zwar in die sowjetisch besetzte Zone. Hier wurde ihm von der DDR-Führung die Rolle des Kritikers der politischen und militärischen Westanbindung der Bundesrepublik Deutschland zugedacht, deren Resonanz aber sehr gering blieb.

In den letzten Jahren residierte der kurz vor der Kapitulation von Hitler noch zum Generalfeldmarschall ernannte Paulus in einer Villa in Dresden, wo er vier Jahre später stirbt und mit allen militärischen Ehren von der Partei- und Staatsführung der DDR beigesetzt wird.

Alles in allem ist Diedrich die Schilderung eines durchaus authentischen Paulus-Bildes gelungen. Besonders wohltuend bei der Darstellung der historischen Ereignisse fällt auf, daß Diedrich in klarer Sprache die Spezifik und Dramatik der damaligen Zeit so einfängt, daß diese auch für Nachgeborene verständlich und nachvollziehbar wird. Dabei vermag Diedrich das Tragische und die Typologie der Persönlichkeit des Generalfeldmarschalls spannend und anschaulich herauszuarbeiten.  Jochen Lückoff

Torsten Diedrich: „Paulus – Das Trauma von Stalingrad – Eine Biographie“, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2009, geb., 580 Seiten, 39,90 Euro


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