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30.05.09 / Die »Prußen« im Mittelpunkt / Geschichtsseminar des BJO im Ostheim – die Vergangenheit prägt die Gegenwart

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-09 vom 30. Mai 2009

Geburtshelfer der Demokratie
Bei der ungarischen Stadt Ödenburg fiel der erste Stein der Berliner Mauer

Vor 20 Jahren fiel der Eiserne Vorhang, der so lange Ost und West voneinander getrennt hatte. Auslöser waren DDR-Touristen, die über die ungarische Grenze nach Westen flohen.

Sándor Peisch, Botschafter der Republik Ungarn in Berlin, brachte die Ereignisse des Sommers 1989 auf den Punkt: Am 19. August, als Tausende von DDR-Bürgern bei Ödenburg (Sopron) am ungarisch-österreichischen Grenzübergang in die Freiheit strömten, fiel der erste Stein aus der Berliner Mauer! Sopron ist Ungarns treueste Stadt, „unsere Heldenstadt“, sagt Rita Toth voller Stolz, als sie die Touristen vor den „Treuebrunnen“ in der Altstadt führt. Drei Figuren lehnen an einer Säule, drei in Stein gemeißelte Symbole des Widerstandes. Im 13. Jahrhundert verteidigte König Ottokar die Freiheit Ödenburgs, und 1921 ging die ehemalige Hauptstadt Deutsch-Westungarns nach einer Volksabstimmung an Ungarn. Österreich hatte das Nachsehen. Allerdings soll diese Abstimmung nicht ganz korrekt abgelaufen sein, heißt es heute nicht nur hinter vorgehaltener Hand. „Gleichwohl“, wiegelt Rita ab, „darüber mag man streiten … aber das schönste Datum ist natürlich der 19. August 1989, als der Grenzzaun fiel.“

Nichts in dieser friedlichen Landschaft vor den Toren der Stadt erinnert heute noch an Minenfelder und Stacheldraht. Unvergessen hingegen sind die ergreifenden Szenen, die sich hier abspielten. Ein schmaler Pfad führt auf einen großen, jüngst aufgeforsteten Platz, der an eine Autobahnraststätte erinnert. Ein anmutiger Pavillon mit grünem Dach und spitzen Türmen, die wie Pfeile in den Himmel ragen, dient als Unterstand. Eine Tafel weist darauf hin, daß sich hier am Tor bei St. Margarethen seit der Antike Stämme und Völkerschaften aus ganz Europa tummelten. „400 Jahre marschierten die Römer über ihre Bernsteinstraße. Dann kamen Germanen, Hunnen, Kreuzritter und Türken“, erzählt Dr. László Szilágyi, „bis zu dem Zeitpunkt, als der Eiserne Vorhang zwischen Ost und West die Menschen 40 Jahre voneinander trennte.“

Der agile Mann war 1989 zusammen mit seinem Freund László Nagy hautnah an den Aktionen vor Ort beteiligt. „Und ein Stück vom Grenzzaun haben wir dabei gleich mitgehen lassen als bleibendes Souvenir an die dramatischen Ereignisse von damals“, schmunzelt er.

Das wertvolle Relikt aus realsozialistischen Zeiten wird heute im Keller des Hotels „Pannonia“ in der Várkerület aufbewahrt. Dr. Szilagyis Zahnarztpraxis befindet sich in den oberen Räumen des historischen Hauses, das ihm und seiner Familie gehört. „Wenige Monate später fiel dann ja auch die Mauer in Berlin, die euch Westdeutsche vor den Segnungen des Sozialismus schützen sollte. Und wir Ungarn waren so etwas wie die Geburtshelfer im Demokratisierungsprozeß der ehemaligen DDR“, freut sich der Mann im weißen Kittel. Mit László Nagy und anderen „Freiheitskämpfern“ initiierte er das legendäre „Paneuropäische Picknick“ auf dem Grenzgelände, das unmittelbar nach der Grenzöffnung stattfand. Anläßlich des 20. Jubiläums am 19. August soll es in diesem Jahr als Treffen der Völker Europas erneut mit einer Fülle von Veranstaltungen begangen werden. Im nahen Felsentheater wird in Anwesenheit internationaler Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur Europas Hymne erklingen – Ludwig van Beethovens 9. Symphonie. László Nagy ist der Verfasser einer sehr detaillierten Vorgeschichte zur Grenzöffnung.

„Die 246 Kilometer lange, sogenannte Sicherungsanlage – der Eiserne Vorhang – wurde auf Grund einer Entscheidung des Politbüros der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei am 11. Mai 1965 in den Jahren 65 bis 71 errichtet“, schreibt er und führt aus, wie es schließlich zur Grenzöffnung im Sommer 1989 kam. „Auch ohne Paneuropäisches Pick-nick und ohne den Regierungsbeschluß vom 11. September hätte sich die Landkarte Europas verändert. Möglicherweise später, vielleicht in anderer Form, vielleicht blutiger!“

„Über dieses holperige Pflaster liefen 1989 auch Ihre Landsleute, bevor sie sich in den Westen absetzten“, erzählt Rita. Bedächtig trippelt die Gruppe über das mittelalterliche Kopfsteinpflaster des Fö tér (Hauptplatz). Die Dreifaltigkeitssäule in der Mitte des Platzes gleicht der Pestsäule in Wien fast aufs Haar. Und das in strahlendem Habsburger Ocker verputzte Gambrinushaus im Windschatten des imposanten Rathauses erinnert an ein Wiener Stadtpalais.

Weiter geht’s über weitläufige, von liebevoll restaurierten Häusern und Palästen gesäumte Plätze, durch enge Straßen und Gassen und schließlich zum höchsten Punkt der Stadt, auf dem sich die Michaelskirche aus dem 15. Jahrhundert erhebt. Die Stadt macht es deutschsprachigen Gästen leicht. Sämtliche Straßennamen sind zweisprachig ausgezeichnet, und in vielen Geschäften, Cafés und Restaurants wird deutsch gesprochen.  Die Stadt ist heute offiziell zweisprachig. „Unter den Römern, die uns Steine für den Bau der mittelalterlichen Burg hinterließen, hieß die Stadt Scarabantia“, sagt Rita.

Auf zwei Dinge sind die Bürger der Stadt besonders stolz: auf den Komponisten Franz Liszt, der hier das Licht der Welt erblickte, und den „Blaufränkischen“, einen kräftigen Rotwein, der in unmittelbarer Nähe gedeiht. Ja, und dann ist da noch der Pala-csinta (Palatschinken) – die unwiderstehliche süße Sünde mit Nußfüllung und Schokoladensauce – die hier am besten schmecken soll. Jó étvágyat – guten Appetit!            Uta Buhr

Foto: Ödenburg (Sopron): Die beschauliche Altstadt lädt zum Verweilen ein.


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