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06.06.09 / Supermacht auf dem Sprung / Indien erlebt die dritte Wiedergeburt des Nehru-Gandhi-Klans – Partielle Zusammenarbeit mit den USA

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-09 vom 06. Juni 2009

Supermacht auf dem Sprung
Indien erlebt die dritte Wiedergeburt des Nehru-Gandhi-Klans – Partielle Zusammenarbeit mit den USA

Drei Wochen nach der Parlamentswahl in Indien haben sich die politischen Verhältnisse „sortiert“. Der Nehru-Gandhi-Klan konnte seine Machtbasis in dem Land mit fast 1,2 Milliarden Menschen ausbauen und dürfte eine begrenzte Zusammenarbeit mit den USA anstreben. Dem weiteren wirtschaftlichen Aufstieg der Atommacht steht nach dem Ausscheiden der Kommunisten aus der Regierung nichts im Wege.

Mit überraschender Deutlichkeit setzten die Inder in der Wirtschaftskrise auf Kontinuität. In der größten Wahlentscheidung der Welt ermöglichten 710 Millionen indische Wähler dem regierenden Wahlbündnis „Vereinigte Fortschrittliche Allianz“ der regierenden Kongreßpartei von Premier Manmohan Singh (76) mit beinahe der Hälfte der Parlamentsmandate einen Erdrutschsieg. Der liberale Ökonom Singh hatte die vielfältigen sozialistisch-bürokratischen Verwaltungsbarrieren des schwerfälligen Staatsapparats nach und nach zurück-geschraubt und so die Grundlagen des indischen Industrie- und Technologiewunders der letzten Jahre mit neun Prozent Wachstum pro Jahr gelegt. Die Unterstützung des Wahlsiegers durch Dutzende Unabhängige und Überläufer wird seine parlamentarische Mehrheit sichern. Die großen Wahlverlierer sind die hindunationalistische BJP, die populistischen, oft korrupten Regionalparteien des Vielvölkerstaats und die Kommunisten, die zu Kleinparteien schrumpften.

Beobachter rechnen mit einem Regierungsamt für den neuen starken Mann der Kongreßpartei, ihren Generalsekretär Rahul Gandhi (39). Nach anfänglichen Vorbehalten aus mütterlicher Sorge wurde Rahuls steile Laufbahn von Sonia Gandhi (63), der Parteipräsidentin, unterstützt. Nach ihrem Wahlsieg von 2004 hatte die Präsidentenwitwe, die Tochter eines Bauunternehmers aus Vicenza, es vorgezogen, dem erfahrenen Finanzexperten Singh die Regierungsführung zu überlassen. Doch kontrollierte sie weiterhin den Parteiapparat.

Sonia Gandhis Sorgen um ihren einzigen Sohn sind nachvollziehbar. Wie bei den Kennedys scheint auf dem Nehru-Gandhi-Klan ein Fluch zu lasten. Ihr Mann Rajiv Gandhi, der von 1984 bis 1989 Ministerpräsident war und indische Friedenstruppen nach Sri Lanka geschickt hatte, war 1991 im Wahlkampf von einer tamilischen Selbstmordattentäterin mit Sprengstoff getötet worden.

Seine Mutter Indira, die Tochter des zusammen mit Mahatma Gandhi zu den führenden Persönlichkeiten der indischen Unabhängigkeitsbewegung zählenden Jawaharlal Nehru, erhielt ihren Nachnamen durch ihre Ehe mit dem nicht mit Mahatma verwandten Feroze Gandhi. Sie regierte Indien von 1966 bis 1977 und von 1980 bis 1984 und war nach dem von ihr angeordneten blutigen Sturm des Goldenen Tempels von Amritsar, der von Sikh-Extremisten besetzt worden war, von zwei ihrer Sikh-Leibwächtern erschossen worden. Sanjav Ganhdi, Rajivs jüngerer und ehrgeizigerer Bruder, hatte seiner Mutter viele Exzesse ihrer Notstandherrschaft während 1975 bis 1977 eingeflüstert. Er stürzte 1980, als er ohne Pilotenlizenz einen Looping fliegen wollte, im Übermut tödlich ab. Seine Witwe Maneka, die Indira aus ihrer Residenz werfen ließ, und sein Sohn Varun Gandhi agitieren heute, mit dem Rest des Klans verfeindet, für die oppositionelle BJP.

Unübersehbar wird der gutaussehende, noch etwas steif wirkende Rahul Gandhi zum Nachfolger des 76jährigen Singh aufgebaut. Im Gegensatz zu dem bekennenden Marktwirtschaftler Singh verkündet Rahul die Wiederauflage der längst grandios gescheiterten Umverteilungsprogramme seiner Großmutter Indira und seines Urgroßvaters Jawaharlal Nehru, des ersten Premiers des unabhängigen Indiens. So fordert er ein neues Armutsbekämpfungsprogramm. Die hohe Steuerbelastung des vorangegangenen hatte seinerzeit dafür gesorgt, daß alle Inder arm blieben. Die Verwaltung war so korrupt, daß nur geschätzte vier Prozent der Mittel bei ihren Empfängern ankamen.

Doch ist Rahul mit Collegestudien in Florida und einem knappen Jahr in Cambridge als halbeuropäischer Brahmane sicher stärker kulturell und politisch im Westen verortet als seine Großmutter Indira, die als Studentin noch von der britischen Kolonialpolizei malträtiert worden war und die wie ihr Vater Nehru lebenslang das Bündnis mit der Sowjetunion pflegte, zumal sie mit Richard Nixon, der sie intern nur „alte Hexe“ nannte, auch persönlich zerstritten war.

Mit der Ausschaltung der antiamerikanischen Kommunisten aus der Regierung kann das neue Atomabkommen mit den USA, das Premier Singh mit der Regierung Bush als deren einzigen außenpolitischen Erfolg ausverhandelt hatte, zu einem umfassenderen Bündnis ausgebaut werden. Es sieht zunächst den indischen Zugang zu amerikanischer Nukleartechnologie im Gegenzug für internationale Kontrollen der zivilen Atomkraftwerke in Indien vor. Weil die USA damit Indien als Atommacht formell anerkannt haben, steht der weiteren militärischen Zusammenarbeit und indischen Rüstungsimporten aus den USA nichts mehr entgegen. Wie seine Mutter Sonia unterstützt Rahul diese Politik.

Tiefe Sorgen bereitet Indien freilich die eskalierende „Afpak“ Strategie des außenpolitisch als ignorant eingeschätzten Präsidenten Obama, die den brandgefährlichen Erzfeind Pakistan sowohl militärisch aufrüstet wie politisch destabilisiert – letzteres gewiß ungewollt. Pakistans Geheimdienst förderte und nutzte bekanntlich die in den Koranschulen von Lahore massenhaft radikalisierten Dschihadisten, um den Terror in seine Nachbarstaaten Indien und Afghanistan zu exportieren. Nach der Ermordung von Vater und Großmutter durch tamilische und Sikh-Extremisten droht nach dem Massaker von Bombay dem Sohn und Enkel Rahul vom islamischen Terror diesmal zweifellos die größte Gefahr. Albrecht Rothacher

 

Eine Hand wäscht die andere

Während alle Welt gebannt auf die Offensive der pakistanischen Armee gegen die Taliban und auf die dadurch ausgelösten Flüchtlingsströme blickt, wird ein anderes, mittelfristig wahrscheinlich bedeutsameres Ereignis kaum beachtet: Das pakistanische Höchstgericht hob eine aus der Zeit des ehemaligen Präsidenten Pervez Musharraf stammende Verfügung auf, die dem Oppositionsführer und früheren Ministerpräsidenten Nawaz Sharif die Teilnahme an Wahlen verboten hatte. Dieser spricht zwar von einem „Sieg der Gerechtigkeit“, doch handelt es sich eher um den „Dank“ des einst von Musharraf abgesetzten Höchstrichters Iftikhar Chaudhry, weil Nawaz Sharif eine Massenbewegung zur Wiedereinsetzung Chaudhrys in Gang gesetzt hatte. Die Rehabilitierung von Nawaz Sharif ist zugleich ein schwerer Schlag für Staatspräsident Asif Ali Zardari.             RGK

Foto: Alter und neuer Premier? Rahul Gandhi (r.) wird als Nachfolger des 76jährigen Manmohan Singh (l.) aufgebaut.


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