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20.06.09 / Für viele Linke ein Staatsphilosoph / Jürgen Habermas wird 80 Jahre alt − Vordenker der studentischen Protestbewegung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-09 vom 20. Juni 2009

Für viele Linke ein Staatsphilosoph
Jürgen Habermas wird 80 Jahre alt − Vordenker der studentischen Protestbewegung

Seit mehr als einem halben Jahrhundert mischt sich Jürgen Habermas in die Tagespolitik ein und gilt als Stichwortgeber der Republik. In dieser Rolle arbeitete er beständig und erfolgreich an der fast totalen Dominanz linken Denkens in Deutschland. Nicht ganz zu Unrecht titulierte ihn der ehemalige Außenminister Joschka Fischer als „fast einen Staatsphilosophen“.

Habermas, der dieser Tage 80 wurde, kann also zufrieden sein mit seinem Lebensweg. Er bezieht indes nach wie vor öffentlich Stellung zu einer Vielzahl aktueller Fragen, von der Geißelung der Irak-Politik des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush über den Disput mit dem damaligen Kardinal Ratzinger über Glaube und Vernunft oder das beherzte Plädoyer für ein Referendum über die Zukunft der Europäischen Union bis hin zur Kritik an der politischen Handlungsunfähigkeit als Ursache der Finanzkrise.

Schon zu Beginn seiner akademischen Karriere, insbesondere durch sein offensives Eintreten für eine Bildungsreform, wurde Habermas zu einem Vordenker der studentischen Protestbewegung der 1960er Jahre. Neben Vorbildern wie Mao Zedong oder Che Guevara bezog sich die Bewegung auch auf die soziologischen Theorien der sogenannten „Frankfurter Schule“, die Kritik an der „kapitalistischen Überflußgesellschaft“ übten. Habermas versuchte, die kritische Theorie seiner Frankfurter Lehrer Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, an deren Institut für Sozialforschung er Mitte der 1950er Jahre als Assistent arbeitete, aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm herauszuholen und sie in die Gesellschaft zu tragen. Habermas’ Bruder im Geiste Herbert Mentor Marcuse hatte in einem wegweisenden Traktat über „repressive Toleranz“ 1965 gefordert, daß Toleranz nur noch linken, „emanzipatorischen“ Kräften gegenüber geübt werden dürfe, während allen konservativen, nicht-linken Kreisen die Teilnahme an der öffentlichen Debatte verwehrt bleiben müsse. Habermas popularisierte letztlich auch diese Idee, der linke Begriff von „Toleranz“, der heute die Debattenkultur zerrüttet, wurde nachhaltig von diesem Ansatz geprägt.

Habermas’ politisches Engagement, etwa im „Kampf dem Atomtod“, also gegen die Stationierung von Atomraketen auf westdeutschem Boden, oder seine vom „demokratischen Sozialismus“ übernommenen Ideen übten großen Einfluß aus. Es kam zum Bruch mit Horkheimer, Adorno & Co., denn Habermas konnte und wollte nicht länger akzeptieren, daß diese den Geist einer „totalen Gesellschaftskritik“ aus der Flasche gelassen hatten, ohne reale politische Forderungen anzubieten. Kritiker meinen indes, Habermas „mußte“ die alten Vordenker auch deshalb aus dem Weg räumen, um selbst an die Spitze der philosophischen Debatte zu gelangen. Stets verband der Philosoph inhaltliche Diskussionen derart mit persönlichem Machtkalkül, dem Ringen um Deutungsmacht, daß kaum zu erkennen war, was den Vorrang genoß. 

Seine Habilitationsschrift „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ wurde zur Fibel der Anti-Springer-Aktivisten 1967/68, die sich übrigens auch an Argumentationsmustern der SED inspirierten. Den Aktionismus gegen die „herrschenden Verhältnisse“ in der Bundesrepublik, den die linken Studenten aus seiner Philosophie herleiteten, befand wiederum Habermas als zu radikal. Er überwarf sich mit den Anführern der Protestbewegung und nannte Rudi Dutschke einen „linken Faschisten“. Später bereute er diese Attacke jedoch.

Während der Zeit als Professor für Philosophie und Soziologie in Frankfurt entwickelte Habermas seine Ideen weiter. Seine Diagnose eines krisenanfälligen Konkurrenzkapitalismus und der Glaubwürdigkeitsprobleme der Politik aus dem Jahr 1973 greifen linke Theoretiker angesichts der aktuellen Finanzkrise gern wieder auf.

In den 1980er Jahren mischte er sich vehement in den sogenannten Historikerstreit ein. Der Historiker Ernst Nolte hatte die Parallelen zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus, ja die Vorbildfunktion des Stalinschen Vernichtungsapparats für die NS-Lager herausgearbeitet. Aus Furcht, unangenehme Wahrheiten über die Geschichte der radikalen Linken könnten dadurch ins Bewußtsein zurückkehren, schoß Habermas aus allen Rohren auf Nolte. Seit seiner Emeritierung 1994 lebt Habermas im bayerischen Starnberg.    G. H.


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