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20.06.09 / Das Schweigen der Oboen / Warum viele Jugendliche die leisen Töne nicht mehr hören können

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-09 vom 20. Juni 2009

Das Schweigen der Oboen
Warum viele Jugendliche die leisen Töne nicht mehr hören können

Wann endlich, fragt ein irritierter Schüler, fängt die Musik nun an? Die meisten Mitschüler stimmen ihm zu. Daß Querflöten und Klarinetten, Fagott und Oboe seit fünf Minuten die beiden Grundmelodien des Bolero spielen, haben sie nicht gehört. Erst die Trompete, die sich im sechsten „Durchgang“ einmischt, vermag die disko- und walkmangeschädigten Trommelfelle der jungen Leute in Schwingung zu versetzen.

Die Warnung, daß da eine Generation dauerhaft Hörgeschädigter heranwächst, ist nicht neu. Fast 20 Jahre ist es her, seit Prof. Helmut Steinbach, Musiklehrer und Orchesterchef in Frankfurt am Main, uns in einem Hintergrundgespräch von seinen Erfahrungen beim Erarbeiten der Musik Ravels und anderer Meister der leisen Töne erzählte: Viele Schüler hören erst was, wenn fest auf die Pauke gehauen wird.

Heute liegt fundiertes Zahlenmaterial vor, das belegt, wie recht der Ehemann der BdV-Präsidentin Erika Steinbach (selbst übrigens eine exzellente Geigerin) mit seinen Mahnungen hatte. Die oben zitierte Studie im Auftrag des Bundesumweltministeriums, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt sowie des Bundesbildungsministeriums listet auf fast 300 Seiten Daten über die Hörgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen auf. Danach hören 70 Prozent der Elf- bis 14jährigen regelmäßig Musik über tragbare Geräte (MP3), fünf Prozent mehr als zwei Stunden täglich, davon 23,4 Prozent „ziemlich laut“ oder „sehr laut“. 11,4 Prozent haben den Lautstärkeregler ständig am oberen Anschlag.

Fünf Prozent dieser Altersgruppe besuchen mindestens einmal im Monat eine Diskothek, finden dort die Lautstärke meist „gerade richtig“, räumen allerdings ein, daß eine Verständigung „nur durch Schreien“ möglich sei. Ebenfalls fünf Prozent der Elf- bis 14jährigen besuchen mindestens dreimal im Jahr lautstarke Rock- und Pop-Konzerte.

Als weitere mögliche Ursachen von Hörschäden machten die Autoren der Studie Computerspiele (bei 89,8 Prozent der acht- bis zehnjährigen Kinder die beliebteste Freizeitbeschäftigung!), extrem laute Spiel- und Sportgeräte sowie Feuerwerkskörper aus. Bei 28,3 Prozent der insgesamt 1084 untersuchten Kinder wurden – je nach gemessener Frequenz – Hörverluste von mehr als 20 Dezibel gemessen.

Auch wenn sehr detailliert dargelegt wird, wie stark auch die Belastung durch Verkehrslärm ist – kaum nachvollziehbar ist die Folgerung, es gebe „keine statistisch gesicherten Zusammenhänge zwischen der Hörfähigkeit und Freizeitaktivitäten wie Musikhören über Kopfhörer, Disko und Konzertbesuche“. Vielleicht hängt das ja damit zusammen, daß trotz „konfundierender Faktoren“ die „Repräsentativität einer Stichprobe für inferenzstatistische Fragestellungen von untergeordneter Bedeutung ist“, wie es im Schlußwort so schön und klar formuliert ist. Praktiker – wie Prof. Steinbach schon vor 20 Jahren – machen da freilich ganz andere Erfahrungen. H.J.M.


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