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20.06.09 / Mehr Berichterstattung führt auch zu mehr Theater

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-09 vom 20. Juni 2009

Gastkommentar
Mehr Berichterstattung führt auch zu mehr Theater
von Philip Baugut

Er freue sich, daß Medienmacht und Medienmanipulation die demokratische Kultur nicht erschüttert hätten, rief Gerhard Schröder am Abend der Bundestagswahl 2005 seinen Anhängern zu. Der trotz furioser Aufholjagd soeben abgewählte Kanzler inszenierte sich als Opfer einer journalistischen Verschwörung – und befeuerte auf seine Art die Dis-kussion über das Verhältnis von Politik und Medien.

Das Zusammenspiel beider Seiten prägt die Demokratie, ist deren Prinzip doch die Öffentlichkeit, die Journalisten herstellen. Mangels direkter Begegnungen mit den Bürgern brauchen gerade Bundestagsabgeordnete die Medien für den Transport ihrer Botschaften. Nur wer in der Berichterstattung vorkommt, „findet statt“, wie es im politischen Berlin heißt. Also müssen Politiker auf die Bedürfnisse der Journalisten eingehen. Gefragt sind brandheiße, möglichst exklusive Informationen, worum die rund 1000 Parlamentskorrespondenten in der Hauptstadt knallhart konkurrieren. Aufmerksam wird registriert, wer zuerst das Interview mit der Kanzlerin bekommt, wer die SMS über den aktuellen Verhandlungsstand. Um so belohnt zu werden, müssen Journalisten einen engen Draht zu den Spitzenpolitikern finden. Freundliche Leitartikel helfen dabei, doch die Vierte Gewalt soll den Mächtigen stets kritisch auf die Finger schauen. Die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz ist folglich die Gretchenfrage in der politisch-medialen Welt.

Die Antwort wird auf zwei Bühnen gegeben, wie eine Studie auf Basis von Interviews mit führenden Abgeordneten und Journalisten zeigt. Auf der Vorderbühne, etwa bei TV-Interviews und Talkshows, ist die inszenierte Distanz zwischen beiden Seiten unübersehbar. Der Moderator will mit kritischen Fragen glänzen, der Politiker ihm mit wohlgeformten Antworten die Show stehlen. An Theater erinnert besonders der Polittalk von Michel Friedman. „Wenn ich bei dem bin“, erzählt ein Abgeordneter, der anonym bleiben möchte, „dann kloppen wir uns manchmal in einer unanständigen Weise, weil das auch seine Art, Quote zu machen, ist. In Wirklichkeit sind wir fast befreundet, nach der Sendung reichen wir uns nicht nur die Hand, sondern drücken uns auch.“ Es ist ein ebenso ritualisiertes wie inhaltsarmes Spiel, das beide Seiten vor laufenden Kameras aufführen. Eines, das die Zuschauer zunehmend langweilt – und davon ablenkt, daß auf der Hinterbühne die Musik spielt.

Der tiefgründige Austausch zwischen Politikern und Journalisten findet jenseits des Scheinwerferlichts statt. In den sogenannten Hintergrundkreisen, zu denen nur ausgewählte Journalisten Zugang haben, geben Abgeordnete mehr preis als in ihren glattgeschliffenen Pressemeldungen. Doch die brisanten Informationen sollen nur Interpretationshilfe sein und nicht veröffentlicht werden. „Wer schwätzt, fliegt“, so die Spielregel. Ein solcher Hintergrundkreis ist die „Gelbe Karte“, dem SPD-nahe Journalisten angehören. „Die duzen ihre Gesprächspartner aus der Partei auch zum großen Teil“, kritisiert „Stern“-Chefredaktionsmitglied Hans-Ulrich Jörges den „ganz engen Umgang“ auf der Hinterbühne. So verwundert nicht, daß mancher Journalist seinen Duz-Freund auch in politischen Fragen berät – und damit eine berufsethische Grenze überschreitet. Als Gegenleistung wird ihm zum Beispiel ein internes Positionspapier exklusiv zugespielt. Den Bürgern bleiben solche Tauschgeschäfte verborgen, obwohl sie die Berichterstattung beeinflussen. Daher sollte die Öffentlichkeit um die Mechanismen des politisch-medialen Zusammenspiels wissen.

Die Hintergrundkreise haben inzwischen an Bedeutung verloren, weil regelmäßig gegen die Spielregeln verstoßen wird. Vertrauliche Hintergrundinformationen, unbedachte Halbsätze, aus denen sich große Schlagzeilen basteln lassen, stehen oft schon am nächsten Tag in der Zeitung. Die Folge: Politiker informieren zurückhaltender oder verkaufen Dinge als vertraulich, die sie insgeheim veröffentlicht sehen wollen. Wer tief ins Innere eines Politikers blicken will, muß ihn zum Vier-Augen-Gespräch treffen. Doch nur wenige Medien wie der „Spiegel“ oder die „FAZ“ bekommen diesen exklusiven Zugang.

Es ist verständlich, daß Politiker im Umgang mit Journalisten höchst vorsichtig geworden sind. Der Medienwettbewerb um Prestige und Käufer führt zu einer ständigen Jagd nach Sensationen, die den politischen Prozeß belastet. Das haben die Verhandlungen zur letzten Gesundheitsreform gezeigt. Erst nach vielen zähen Runden fanden Union und SPD einen Kompromiß, den allenthalben kritisierten Gesundheitsfonds. Im Ringen um Kopfpauschale und Bürgerversicherung stach ein Verhandlungsteilnehmer medial heraus: Der SPD-Linke Karl Lauterbach, Professor für Gesundheitsökonomie mit „pathologischem Selbstdarstellungsdrang“, wie ein Journalist meint. Weil der Mann mit der Fliege nicht einmal bei seinen Parteifreunden Gehör fand, beschränkte er sich darauf, die Verhandlungen zu stören. So plauderte er Zwi-schenergebnisse aus und wetterte gegen nahezu alles, worauf sich die Koalitionsarbeitsgruppe mühsam geeinigt hatte. Hierfür boten ihm nahezu alle Medien eine Plattform. Obwohl Lauterbachs Einfluß auf die Verhandlungen minimal war, wurde er ausführlich zitiert, weil jede Äußerung das Koalitionstheater noch größer erscheinen ließ. Und die Berliner Journalisten lieben den Streit. „Wir sind Streitverstärker, im schlimmsten Fall sogar Streiterfinder“, räumt ein allseits anerkannter Hauptstadtjournalist ein.

Der journalistische Nachrichtenhunger ist so groß, daß ihn die Verhandlungsteilnehmer nie stillen können. Denn politische Prozesse brauchen Zeit, Medien im Online-Zeitalter aber rund um die Uhr eine Schlagzeile. Das vergiftet das Verhandlungsklima, weil die Konfliktparteien stets versucht sind, Interna auszuplaudern und über die Medien Druck auf die Gegenseite auszuüben.

Natürlich macht der öffentliche Streit eine Demokratie aus. Doch wenn jeder Reformbaustein schon im frühen Verhandlungsstadium medial zertrümmert wird, bleibt der Politik für komplizierte Sach-diskussionen nur die Flucht hinter verschlossene Türen. Die Medienmeute, die Politiker auf Schritt und Tritt begleitet, stellt sich damit selbst ein Bein: Denn um der medialen Hysterie zu entgehen, werden die wichtigen Entscheidungen in kleinste Kreise verlagert und erst dann verkündet, wenn sie in trockenen Tüchern sind. So war es bei der „Rente mit 67“: Hätten die Medien von dieser Reform früher Wind bekommen, wäre die SPD-Basis dagegen Sturm gelaufen.

Es ist paradox: Die Total-Öffentlichkeit unserer hektischen Mediendemokratie schafft nicht mehr Transparenz, Kontrolle und Diskurs. Im Gegenteil, sie macht die Hinterbühne zum Ort für das wirklich Wichtige. Mehr Berichterstattung bedeutet auch mehr politisches Theater.

Es hilft nichts, die ohnehin selbstkritischen Hauptstadtjournalisten an den Pranger zu stellen. Manche Politiker klagen heute über mediale Erregungswellen, um morgen auf ihnen zu reiten. Sie sollten sich mit Medienschelte zurückhalten.

Vor allem Gerhard Schröder, der zu vielen Journalisten engste Beziehungen pflegte. Einer seiner Freunde, Ex-RTL-Chefkorrespondent Gerhard Hofmann, präsentierte sich vor Journalistenkollegen genüßlich als Schröder-Intimus. Ausgerechnet dieser schrieb über das Wahlkampfjahr 2005 ein Buch mit dem Titel: „Die Verschwörung der Journaille zu Berlin“.

 

Der Autor ist Kommunikationswissenschaftler und Politologe und promoviert über das Spannungsverhältnis von Journalismus und Politik.


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