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27.06.09 / Zwangs-Einheitskrankenkasse ausgebremst / Bundesverfassungsgericht weist Beschwerde der privaten Krankenversicherungen zurück, stärkt aber das duale System

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-09 vom 27. Juni 2009

Zwangs-Einheitskrankenkasse ausgebremst
Bundesverfassungsgericht weist Beschwerde der privaten Krankenversicherungen zurück, stärkt aber das duale System

Ulla Schmidt tat, was sie am liebsten tut: sich selber bejubeln. Karlsruhe habe „ganz deutlich“ ihre Auffassung bestätigt, daß ihre jüngste Gesundheitsreform uneingeschränkt verfassungskonform sei. Auch habe es der SPD die Option einer „Bürgerversicherung“ für die Zeit nach der Wahl bewußt offengehalten.

Bei näherem Hinsehen erweist sich der Jubel der Bundesgesundheitsministerin – wie so oft – als „ganz deutlich“ überzogen. Zwar hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVG) mit Urteil vom 10. Juni (AZ 706/08, 814/08, 819/08, 832/08, 837/08) in der Tat die Verfassungsbeschwerden von 29 privaten Krankenversicherungen (PKV) sowie drei Versicherten zurückgewiesen. Zugleich hat es aber, wie PKV-Sprecher Reinhold Schulte betont, das duale System aus Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung festgeschrieben und den SPD-Vorstellungen einer Bürgerversicherung eine klare Absage erteilt. Zudem, so PKV-Anwalt Gregor Thüsing, habe das BVG mit der Auflage, die weitere Entwicklung zu beobachten und das Gesetz dann eventuell zu korrigieren, dem Gesetzgeber signalisiert: „Bis hierher und nicht weiter!“

Bei den Verfassungsklagen ging es vor allem um den sogenannten Basistarif, den die Privatversicherer seit Anfang 2009 zwingend jedem nicht gesetzlich Versicherten anbieten müssen. Die Branche hatte in dieser und anderen verlustträchtigen Neuregelungen den Anfang vom eigenen Ende gesehen – Ulla Schmidts staatliche Zwangs-Einheitskrankenkasse durch die Hintertür.

Die Befürchtungen stützten sich auf die Annahme, die Privatkassen würden von einer nicht mehr finanzierbaren Zahl von bis zu einer halben Million Anträgen auf Basistarif überflutet. Tatsächlich aber waren bis Ende Mai nur knapp 8200 Anträge eingegangen; das entspricht 0,1 Prozent aller privat versicherten Bundesbürger. Daraus, so das BVG, lasse sich eine Existenzbedrohung nun wirklich nicht ableiten.

Ansonsten scheint über den Rechtsstreit in höchster Instanz die Realität weitgehend aus dem Blickfeld entschwunden zu sein. Eigentlich war nämlich von vornherein klar, daß es keinen Massenansturm auf den neuen Basistarif geben würde – aus einer Reihe praktischer Gründe. Dazu ein Beispiel „aus dem wirklichen Leben“:

Rentnerin, 66 Jahre, etwa die Hälfte des Erwerbslebens sozialversicherungspflichtig angestellt, die andere Hälfte selbständig. Daraus errechnet sich eine monatliche Rente von 557,58 Euro plus 39,03 Euro Zuschuß zur Krankenversicherung. Dieser entspricht dem Beitrag, den sie als gesetzlich Versicherte zu entrichten hätte. Da der Gesetzgeber aber eine Rückkehr der ehemals Selbständigen in die GKV nicht zuläßt, muß sie in der PKV bleiben – derzeitiger Monatsbeitrag 432,20 Euro einschließlich Pflegeversicherung. Ihr bleiben also 164,41 Euro Rente. Daß die ihr nun nach dem jüngsten Bundestagsbeschluß für alle Zeiten sicher sein sollen, empfindet sie kaum als stimmentscheidendes „Wahlgeschenk“, wie auch die nunmehr anstehende, als „umstritten“ geltende Rentenerhöhung von satten 13,44 Euro wohl keinen Kauf-rausch auslösen dürfte. Zumal noch offen ist, wie viel (oder wenig) davon bei ihr ankommt. Denn mit der Rücknahme des gesetzlichen Kassenbeitragssatzes sinkt auch der Zuschuß für die PKV.

„Erleichtert“ wird die Einkommens- und Vermögensplanung unserer Rentnerin dadurch, daß sie bei Medikamenten und Arztbesuchen 30 Prozent zuzahlen muß, in „ungesunden“ Monaten also ohnehin zum Verplanen nichts übrigbleibt.

Der neue Basistarif wird, wie alle Beiträge der Privatversicherungen, aus Lebensalter, Geschlecht und Beitrittsalter berechnet und kann bis zu 570 Euro monatlich erreichen. In unserem konkreten Fall war ein Basistarif angeboten worden, der um gut 20 Euro über dem jetzigen Beitrag liegen sollte; zum „Ausgleich“ wurden AOK-Leistungen in Aussicht gestellt, also der Verzicht auf die sogenannten Privilegien der Privatpatienten.

Unser Beispiel bestätigt, was sich auch aus der bescheidenen Nachfrage ergibt: Dieser Basistarif, der ja vor allem Frauen mit kleinen Renten aufgrund ihrer „gebrochenen Erwerbsbiographie“ zu einer bezahlbaren Krankenversicherung im Alter verhelfen sollte, ist zwar verfassungskonform, politisch aber kein großer Reform-Wurf, sondern ein Flop.             Hans-Jürgen Mahlitz


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