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27.06.09 / Das Ende der Hochseeflotte in Scapa Flow / Vor 90 Jahren versenkte sich der einstige Stolz des Kaisers aus Protest gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-09 vom 27. Juni 2009

Das Ende der Hochseeflotte in Scapa Flow
Vor 90 Jahren versenkte sich der einstige Stolz des Kaisers aus Protest gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags

Am 21. Juni 1919 peitschten Schüsse über die Bucht von Scapa Flow. Sie töteten zwei Offiziere und sechs Seeleute der Kaiserlichen Marine, die letzten Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Zur gleichen Zeit versank die deutsche Hochseeflotte in den Fluten des Meeres.

So, wie das deutsche Kaiserreich unterging, so verschwand auch seine Marine. Die Waffenstillstandsbedingungen bestimmten die Internierung ihres größten Teiles in einem neutralen Hafen bis zum Abschluß eines Friedensvertrages. Gleichwohl nutze Großbritannien die Wehrlosigkeit des Kaiserreiches aus und zwang es zur Überführung seiner Hochseeflotte in den englischen Kriegshafen Scapa Flow bei den schottischen Orkney-Inseln. Weil Admiral Franz von Hipper, der Befehlshaber der Hochseeflotte, sich geweigert hatte, seine Schiffe dem Feind auszuliefern, erhielt Konter­admiral Ludwig von Reuter das Kommando über den Internierungsverband.

Nachdem die Waffen- und Feuerleitanlagen und die wichtigsten nautischen Einrichtungen demontiert worden waren, überführte Reuter 74 Schiffe und einige kleinere Begleitfahrzeuge nach Scapa Flow. Am Bord befanden sich nur noch die für den Betrieb der Schiffe benötigten Rumpfbesatzungen, insgesamt knapp 1800 Mann. Im Zielhafen wurde der Verband unter die Aufsicht des britischen Admirals David Beatty gestellt, der die Deutschen als „a despicable beast“ (ein verabscheuungswürdiges Untier) bezeichnete und sogleich Maßnahmen anordnete, die nur als deren bewußte Demütigung verstanden werden konnten. So mußten die Schiffe die britische Flagge über der eigenen setzen, und den Offizieren war es verboten, Waffen jeglicher Art zu tragen.

Unter dem Eindruck des ehrverletzenden britischen Verhaltens und des ihm kritisch erscheinenden Verlaufs der Versailler Vertragsverhandlungen entschied sich Reuter zur Selbstversenkung der deutschen Hochseeflotte. Er vermutete, daß die Reichsregierung die in Deutschland als ungerecht und unannehmbar empfundenen Vertragsbedingungen ablehnen und deshalb in Kürze wieder Kriegszustand herrschen würde. Dann sollten die Schiffe dem Feind nicht unzerstört in die Hände fallen. Auch bei Annahme des Vertrages war mit der Wegnahme der Schiffe durch die Sieger zu rechnen. Die Flotte schien so oder so verloren. Reuter befahl seinen Offizieren, auf sein Signal hin die Schiffe zu versenken.

Am 19. Juni 1919, dem letzten Tag der Frist, welcher der deutschen Regierung für die Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages gesetzt worden war, ließ Reuter unauffällig Vorbereitungen für die Selbstversenkung treffen. Zwei Tage später liefen die in Scapa Flow stationierten britischen Seestreitkräfte zu einem Manöver in die Nordsee aus. Die Gelegenheit war günstig, und Reuter ließ das vereinbarte Signal, die Flagge „Z“ setzen. Daraufhin wurden die Seeventile geöffnet, die Verschlüsse anschließend unbrauchbar gemacht, die Schotten zwischen den wasserdichten Abteilungen geöffnet und verkeilt. Als die deutschen Besatzungen fast gleichzeitig ihre Schiffe auf Rettungsbooten verließen, glaubten die britischen Wachmannschaften zunächst an eine Revolte und eröffneten das Feuer auf die Boote. Nachdem sie bemerkt hatten, was wirklich geschah, war es für ein wirkungsvolles Eingreifen zu spät. Innerhalb weniger Stunden sanken zehn Schlachtschiffe, fünf Große Kreuzer, fünf Kleine Kreuzer und 32 Torpedoboote auf den Meeresgrund. Durch das Eingreifen britischer Seeleute konnten 19 Einheiten in flaches Wasser geschleppt und so vor dem Totalverlust bewahrt werden. Lediglich 14 Torpedoboote des Internierungsverbandes blieben schwimmfähig.

Die Versenkung der Schiffe war ein klarer Verstoß gegen die Waffenstillstandsbedingungen, die es verboten, militärische Ausrüstung zu zerstören. Reuter wurde des Vertragsbruches beschuldigt und gefangengesetzt. Seine Besatzungen wurden in ein Kriegsgefangenenlager gebracht.

Die Wracks der gesunkenen Schiffe hatten noch einen hohen Schrottwert. Außerdem blockierten sie wichtige Liegeplätze. Deshalb wurden sie zwischen 1923 und 1939 größtenteils gehoben. Lediglich sieben Schiffe blieben auf dem Meeresgrund, die heute ein beliebtes Ziel für Tauchausflüge sind. Bis heute wird noch gelegentlich Stahl zur Fertigung und zur Abschirmung von Strahlenmeßgeräten aus ihnen geborgen, da dieser frei von jeder radioaktiven Belastung ist.          Jan Heitmann

 

Wie die Tat in Deutschland beurteilt wurde und wird

Admiral Reuter ging nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft in Pension und trat bis zu seinem Tod 1943 nicht mehr öffentlich in Erscheinung. In Deutschland wurde er als Held gefeiert, der mit der Selbstversenkung die Ehre der Kaiserlichen Marine gerettet und deren insbesondere durch die Ereignisse der Novemberrevolution verlorenes Ansehen zurückgewonnen hatte.

In der deutschen Marinegeschichtsschreibung wurde seine Tat nach 1945 dagegen anders interpretiert. Grundtenor ist dabei die unbewiesene Annahme, daß die Marineleitung die Selbstversenkung als den Beginn des Wiederaufbaues einer modernen und mächtigen Marine geplant habe, mit dem Ziel einer Revanche gegen England und dem dann erneuten Griff nach der Weltmacht unter neuer und erfolgreicher Staatsführung. Dieser These steht entgegen, daß die Selbstversenkung zwangsläufig harte Konsequenzen nach sich ziehen mußte. So verlangten die Siegermächte nun nicht nur die Auslieferung weiterer, teils moderner, Schiffe, die für die neue Reichsmarine den Grundstock hätten bilden sollen, sondern auch die Ablieferung des größten Teils der deutschen Handelsflotte.

Weiter wird der Kaiserlichen Marine vorgeworfen, sie habe eine „ruhmlose Selbstversenkung“ zu einem Heldenepos umgedichtet, nur um von ihrem Versagen während des Krieges abzulenken. All dies habe nicht dem Wohl des Reiches gedient, sondern ausschließlich den egoistischen Zielen der Marineführung und einem fragwürdigen Ehrbegriff des Marineoffizierkorps Rechnung getragen. In der Geschichtsdarstellung der heutigen Marine wird die Selbstversenkung außerdem als eine die Siegermächte provozierende, törichte Handlung und sinnlose Vernichtung von Sachwerten kritisiert.

Bei diesen Interpretationen wird vergessen, daß es in allen Marinen der Welt zu allen Zeiten ein geschriebenes, mehr noch ungeschriebenes, Gesetz war und wohl noch ist, daß ein wehrloses Kriegsschiff oder gar eine Flotte sich selbst versenkt, um nicht dem Gegner die weitere Nutzung dieses Kampfmittels oder seiner technischen Anlagen zu ermöglichen. Das war auch bei der Selbstversenkung der deutschen Flotte das selbstverständliche und absolut vorrangige Ziel allen Handelns. Ein solches Verhalten galt auch bei der Royal Navy als ehrenhaft. Niemand hat auch die Selbstversenkung der dänischen Flotte 1943 in Kopenhagen oder die der französischen Flotte in Toulon 1944 in Mißkredit gebracht, mit denen die Schiffe dem Zugriff Deutschlands entzogen werden sollten. Vielmehr werden beide Ereignisse bis heute als richtige und mutige Taten herausgestellt. Reuters Entschluß war nach dem damaligen Selbstverständnis und den Vorstellungen der Marineoffiziere aller Nationen ebenso unausweichlich und ehrenhaft.            J.H.

Foto: Ein britischer Schlepper mit einem deutschen Zerstörer: Die Briten versuchten nach der Selbst­versenkung der Hochseeflotte zu retten, was noch zu retten war.


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