19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
04.07.09 / Allen heißen Eisen ausgewichen / Lech Walesa und Rita Süssmuth diskutieren in Berlin über das deutsch-polnische Verhältnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-09 vom 04. Juli 2009

Allen heißen Eisen ausgewichen
Lech Walesa und Rita Süssmuth diskutieren in Berlin über das deutsch-polnische Verhältnis

Restlos überfüllt war vor wenigen Tagen die Französische Friedrichsstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt. Geladen hatte das Deutsche Polen-Institut zu einem Podiumsgespräch mit Rita Süssmuth und Lech Walesa, dem legendären Gründer der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc, Friedensnobelpreisträger und ersten frei gewählten Präsidenten Polens nach 1945. Grußworte sprach Altbundespräsident Richard von Weizsäcker. Das Thema der Veranstaltung lautete: „1989 bis 2009 – 20 Jahre nach dem Umbruch – Solidarität für die Zukunft“. Und alle kamen: die polnische Gemeinde in Berlin, wo fast jeder jeden kennt; man sah den polnischen Botschafter Marek Prawda, Wolfgang Thierse, Markus Meckel, den neuen Präsidenten der Viadrina, Gunter Pleuger, oder Dietrich Stobbe, allerdings nicht Berlins Regierenden Klaus Wowereit, der noch am Vormittag Walesa mit der Ernst-Reuter-Plakette, der höchsten Auszeichnung des Landes Berlin, geehrt hatte.

Unklar blieb, ob dieser Zuspruch aus Interesse am Thema oder aus Neugierde an der Person Lech Walesas herrührte. Das Publikum wurde nicht enttäuscht; der Friedensnobelpreisträger zeigte sich temperamentvoll wie eh und je und war in seinem Redefluß kaum zu bremsen. Er ist fülliger geworden, am Ende der Veranstaltung wurde er von den Menschen fast erdrückt und wie ein Popstar gefeiert; ein wenig hat es an Obama vor der Berliner Siegessäule erinnert.

Zum Inhalt: Die polnische Gewerkschaftsbewegung zu Beginn der achtziger Jahre war unbestritten ein entscheidender Hebel, der das innere Gefüge des kommunistischen Lagers aufzubrechen begann. Damit schuf sie eine der Voraussetzungen zum Umbruch in der DDR und zur Wiedervereinigung Deutschlands. Der damalige Solidarnosc-Vorsitzende erhielt aus diesem Grunde die höchste Auszeichnung des Landes Berlin. Alle drei genannten Persönlichkeiten standen in jenen Jahren in der aktiven Politik. Sie konnten über zahlreiche – vielfach ganz persönliche Erlebnisse als Zeitzeugen -  und sie taten es ausführlich. Hier wurde auch Bilanz der eigenen Leistung gezogen. Spannend waren die Schilderungen des Polen über die Rolle der Sowjetunion; 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der CSSR. Der politische Unsicherheitsfaktor Polen war in jenen Jahren eingekreist durch die UdSSR und die moskauhörige DDR; der geopolitische Platz zwischen zwei mächtigen Nachbarn war, ist und bleibt ein Trauma der Polen; man denke aktuell an die Diskussionen um die Ostsee-Pipeline in der polnischen Öffentlichkeit.

Die Podiumsdiskussion richtete sich aber nicht nur auf die Vergangenheit, sondern auch auf die Gegenwart und Zukunft. Die Stichworte Ökologie, Wirtschaft, Globalisierung, Energie, Wohlstandsunterschiede zwischen Ost und West und vor allem der Einigungsprozeß Europas waren die nicht wirklich originellen Themen der Diskussion zwischen Süssmuth und Walesa, zumal sie kaum konkretisiert wurden. Das gilt auch für die wiederholten Hinweise, die aktuellen Diskussionen – Solidarität für die Zukunft – nicht durch Auseinandersetzungen über die Vergangenheit des Verhältnisses beider Staaten zu belasten. Zwar betonten Süssmuth und auch von Weizsäcker mehrfach, daß Zukunft ohne Wissen um die Vergangenheit nicht gestaltet werden könne und man auf die Geschichte hören müsse. Hier hätte es spannend werden können: Denn wo beginnt die Gegenwart in Abgrenzung zur Vergangenheit, welche Probleme und Konflikte gab und gibt es? Antworten darauf wurden nicht gegeben. Wenn über Solidarität für die Zukunft debattiert wird, hat der interessierte Zeitgenosse erwartet, daß das deutsch-polnische Verhältnis im Mittelpunkt steht und nicht blumige und harmonisierende Allgemeinplätze über Europa und die Welt.

Zur Solidarität gehören nicht nur Erwartungen und Visionen in Gegenwart und Zukunft, sondern auch handfeste und konkret benannte Punkte aus der jüngsten Vergangenheit, die gemeinsam und in Solidarität angepackt werden müssen. Warum erwähnte Frau Süssmuth, immerhin Präsidentin des Deutschen Polen-Instituts, nicht die seit Jahrzehnten geleistete Brückenarbeit unzähliger Vertriebener zu den jetzigen polnischen Bewohnern ihrer Heimat? Sie weiß das mit Sicherheit. Hier wird eine Friedensarbeit geleistet, die sehr viel weiter ist als die offiziellen politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Unerwähnt blieben auch die begonnenen Arbeiten an einem gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichtsbuch, die Pläne Polens, an der unteren Oder ein Atomkraftwerk zu errichten, die irrationalen Reaktionen aus Warschau auf das geplante Zentrum gegen Vertreibungen sowie die Rahmenbedingungen für die deutsche Volksgruppe – alle diese Punkte und weitere bedürfen einer Lösung in Frieden und Solidarität. Nichts davon ist auch nur angerissen worden.

Vielleicht sollte ja die Erinnerung an die Leistung der polnischen Gewerkschaftsbewegung als eine der bedeutenden europäischen Freiheitsbewegungen nicht durch die „Mühen des Alltags“ verwässert werden. Bei aller Euphorie für eine deutsch-polnische Solidarität, es bleiben noch genügend Felder, die gemeinsam bestellt werden müssen. Zu viel Betonung von Harmonie verstellt den Blick auf die Probleme, die noch gelöst werden müssen – in hoffentlich echter deutsch-polnischer Solidarität.        Karlheinz Lau


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren