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04.07.09 / Bald ein zweiter Irak? / Die Zahl der Taliban-Angriffe in Afghanistan steigt rasant an − Internationale Truppe zunehmend ratlos

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-09 vom 04. Juli 2009

Bald ein zweiter Irak?
Die Zahl der Taliban-Angriffe in Afghanistan steigt rasant an − Internationale Truppe zunehmend ratlos

Rund 70 Prozent von Afghanistan werden von radikalislamischen Taliban beherrscht, so das US-Forschungsinstitut Senlis Council. Doch offfiziell wollen das weder die afghanische Regierung noch die in dem Land militärisch engagierten Staaten zugeben.

Nach dem Tod dreier Bundeswehrsoldaten bei Kundus wehrt sich Verteidigungsminister Franz Josef Jung gegen die Aussage, Deutschland befände sich in Afghanistan im Kriegseinsatz. „Wir würden aus meiner Sicht, wenn wir über Krieg sprechen, uns nur auf das Militärische konzentrieren. Und genau das wäre ein Fehler.“

Das haben jetzt auch die USA erkannt. Die neue Strategie lautet „das Volk vom Feind zu trennen“, wie es der Oberbefehlshaber der US-Truppen im Nahen und Mittleren Osten, David Patraeus, formuliert. Mit dieser Doktrin hatte Patraeus bereits im Irak einige Erfolge erzielt.

Umgesetzt wird das neue Motto mit ungezuckertem grünen Tee – Glas für Glas. An manchen Tagen literweise. „The tea thing“ nennt es Captain José Vasquez von den Gebirgsjägern der Cherokee Company, stationiert im rund 60 Kilometer südöstlich von der Hauptstadt Kabul gelegenen US-amerikanischen Camp Shank.

Sein oberster Befehlshaber, Präsident Barack Obama, meinte kürzlich auf seiner Nahostreise, er wolle Mißverständnisse mit der muslimischen Welt überwinden und man solle „einander mehr zuhören“. Für den aus El Paso, Texas, stammenden Vasquez bedeutet dies „einen erhöhten Druck auf die Blase“, wie er es für einen Angehörigen der US-Streitkräfte ungewöhnlich galant formuliert.

Hoher Teekonsum und galante Formulierungen sind auch in der engen Lehmhütte in Qalai Mohammed gefragt. Ein halbes Dutzend Dorfälteste und Mullahs haben sich hier auf einem Teppich über gestampftem Boden sitzend mit Vasquez eingefunden, während seine Soldaten die Gegend durchkämmen.

Die Cherokee Company ist erst seit ein paar Wochen da, Teil des neuen amerikanischen Kontingents von rund 17000 Mann. Die Gesamtzahl der US-Truppen in Afghanistan wird durch die von Präsident Obama beschlossene Verstärkung bis zum Herbst dieses Jahres auf 68000 Mann steigen. Ende 2008 waren noch nur rund 31000 US-Soldaten in Afghanistan stationiert.

Für die Cherokee Company bedeutet die neue Strategie für die nächsten Wochen und Monate: Präsenz zeigen, also „sehr viel Tee trinken und quatschen“, wie es Vasquez nennt. Taliban verjagen und so einen Puffer zwischen dem umkämpften Süden und der Hauptstadt bilden.

Der Puffer ist inzwischen auch notwendig. Konnte man vor gut fünf Jahren fast gefahrlos durch die südlich von Kabul gelegene Provinz Logar fahren, so wäre dies 2009 ein Selbstmordkommando.

Das renommierte internationale Forschungsinstitut Senlis Council hat einen Bericht darüber veröffentlicht, wer in Afghanistan wie viel Terrain kontrolliert. Das Ergebnis des Think-Tanks: 72 Prozent des geschundenen Bürgerkriegslandes werden derzeit von den radikalislamischen Taliban-Milizen beherrscht. Noch 2007 waren es „nur“ 54 Prozent.

Aggressiv, expansionistisch und kompromißlos in ihrem puritanischen Anspruch, die afghanische Gesellschaft in das imaginäre Modell eines Arabiens zu Zeiten des Propheten Mohammed zurückzuverwandeln, haben die Taliban auch in der Provinz Logar wieder Fuß gefaßt.

Derzeit zähle man 400 Taliban-Angriffe pro Woche landesweit. Vor einem Jahr seien es etwas weniger als 250 gewesen und im Januar 2004 weniger als 50 pro Woche, sagte der Sprecher des Vier-Sterne-Generals Pataeus, Erik Gunhus, laut „New York Times“. Die Lage im Land ist damit so gefährlich wie noch nie seit Beginn des Krieges 2001.

Das Hauptproblem dabei sind weniger die lokalen Führungskräfte der Taliban. Diese konnten bislang immer wieder eliminiert werden. Das Problem ist das immer größer werdende Netzwerk an stillen Unterstützern in der Gegend.

„Manchmal sprechen wir mit den Menschen in den Dörfern. Dann gesellt sich wie zufällig ein Dorfbewohner zu uns und alle schweigen. Und ab und zu werden wir in Dörfern auch mit Steinwürfen empfangen“, berichtet Captain Vasquez.

Die ständig wechselnden Loyalitäten zwischen den einzelnen Clans, unbeglichene Rechnungen aus Kriegen der letzten drei Jahrzehnte und die zunehmende Angst vieler Dorfbewohner machen die Sache nicht einfacher. Zumal die Taliban jeden mit dem Tod bedrohen, der Fernsehen schaut oder unislamische Radiosendungen hört.

Man wisse nicht, wie man Erfolg oder Mißerfolg in Afghanistan definieren und messen könnte, sagte vor wenigen Wochen der oberste Nato-Kommandeur Bantz J. Craddock. Die Statistik funktioniere einfach nicht.

„Vielleicht geht es gar nicht so sehr darum, die Taliban zu töten“, meint Vasquez. „Die Bevölkerung beurteilt uns mehr danach, ob wir einen Fachmann für die Instandsetzung eines Brunnens auftreiben können. Oder jemanden, der den Stromverteiler repariert.“ Die Dorfältesten und Vasquez erheben sich. Konkrete Vereinbarungen oder aufschlußreiche Informationen gab es heute nicht. Macht nichts. In ein paar Tagen wird Vasquez wieder vorbeischauen. Bis dahin heißt es für ihn: Ruhe bewahren, Tee trinken und, wenn es sein muß, Taliban töten.  Jörg Schmitz

Foto: Tee soll verbinden: Die USA wollen über zwischenmenschliche Kontakte „das Volk vom Feind“ trennen.


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