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04.07.09 / Der Reformator aus Genf / Vor 500 Jahren wurde Johannes Calvin geboren – Ausstellungen mit unterschiedlichem Ansatz in der Schweiz und Deutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-09 vom 04. Juli 2009

Der Reformator aus Genf
Vor 500 Jahren wurde Johannes Calvin geboren – Ausstellungen mit unterschiedlichem Ansatz in der Schweiz und Deutschland

Johannes Calvin ein Superstar? So scheint es, schaut man auf Ausstellungen, Publikationen und Gedenkfeiern anläßlich seines 500. Geburtstages am 10. Juli. Solche Feiern wären dem asketischen und sparsamen Mann, der Personenkult haßte, freilich ein Greuel gewesen. Dennoch hat er die Welt bis heute vielleicht mehr als Martin Luther bewegt.

Johannes Calvin (1509–1564) machte in Genf – etwa ab dem Jahr 1540, als sich Luthers Leben bereits dem Ende näherte – ernst mit der Reformation. Er schaffte alle Sakramente der katholischen Kirche und die Heiligenverehrung rigoros ab; er ließ Bilder, Kerzenleuchter und anderen Kirchenschmuck aus den Gotteshäusern entfernen. Kahle Kirchenwände sollten die Gläubigen auf das reine Wort Gottes fokussieren, das von den Kanzeln gepredigt werden sollte. In Genf führte Calvin ein rigoroses und sittenstrenges Regiment ein. Tanzen und Kokettieren waren verboten, streitende Eheleute wurden bei Wasser und Brot solange eingesperrt, bis sie sich wieder vertrugen.

Anders als Luther, der sich bei der Durchsetzung seiner Reformation ganz auf die Macht der Landesfürsten stützte, war der Schweizer Reformator nur auf die Kraft seiner Lehre und der Bibel angewiesen. Calvin wirkte durch seine Beredsamkeit und seine Bücher. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde der Schweizer Reformator zum meistgelesenen Autor in England. Zeitlebens mußte er allerdings als Verfolgter und oft Vertriebener leben; positiv ausgedrückt: ein „Pilger des Glaubens“. Seine verfolgten Anhänger sahen sich in den folgenden Jahrhunderten in großer Zahl zur Auswanderung nach Nordamerika gezwungen. Dort bildeten sie als Puritaner, Hugenotten, Mennoniten, Presbyterianer, Baptisten oder Methodisten bald eine neue Führungsschicht, die gebildet, sittenstreng, fleißig, geschäftstüchtig, sparsam und pünktlich war – die klassischen calvinistischen Tugenden, die jenen Preußens, das mit den Hohenzollern ein reformiertes Herrscherhaus hatte, recht ähnlich sind.

Zwei sehr unterschiedliche Ausstellungen, die eine in Genf, die andere in Berlin, widmen sich in diesem Jahr dem Leben und Geburtstag des Reformators. Die Genfer haben die örtliche Universität, genauer das auf Computersimulationen spezialisierte Laboratorium „Miralab“, um Hilfe gebeten. Virtuell und dreidimensional, historisch korrekt gewandet und sprechend zeigt sich dem Besucher nun der bärtige Mann, den manche als „Ayatollah von Genf“ verunglimpfen. So kann man in Genf einen „Tag im Leben Calvins“, zwischen Morgengebet (4 Uhr) und Abendmeditation (21 Uhr) nacherleben. Er endet für Calvin im Gebet um die Fülle des Heiligen Geistes. Vielleicht schaut er danach noch einmal in die Manuskripte für sein theologisches Hauptwerk, die „Institutio christianae religionis“, hinein, die er fortdauernd überarbeitet.

Die Calvinismus-Ausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin will das Wirken Calvins in die gesamte reformatorische Bewegung einbetten. Die Strahlkraft des in der französischen Picardie geborenen Reformators, der die französische Sprache ebenso tiefgreifend wie Luther die deutsche belebt hat, reichte bis nach Schottland, Polen, Ungarn und Siebenbürgen. So lautet der Untertitel der Ausstellung „Die Reformierten in Deutschland und Europa“. Sie bildet insofern das ergänzende Gegenstück zu derjenigen in Genf, als sie ganz klassisch daherkommt und auf die Aussagekraft der historischen Zeugnisse und auf die Aura der Vitrinen vertraut. Ausstellungsstücke, die voller Blutspuren sind, lassen den Betrachter erschauern – so eine Streitaxt der Hussiten aus dem 15. Jahrhundert, in die der Kelch für die Laienkommuni­on eingraviert ist oder ein Richtschwert, mit dem der kursächsische Kanzler Nikolaus Krell am 9. Oktober 1601 vom Leben zum Tode befördert wurde. Krell gehörte zu den Calvinisten, mit denen sein ursprünglich lutherischer Landesherr sympathisierte. Nach dessen Tod gewann die lutherische Orthodoxie die Oberhand – was Krell schließlich das Leben kostete.

Der Kult um Johannes Calvin in diesem Jubiläumsjahr zeigt, daß der Reformator zumindest in einer Hinsicht recht erfolglos war. Sein gegenüber den ersten Anhängern in London geäußerter Wunsch, „aus mir kein Idol zu machen und aus Genf keine Art Jerusalem“, ging nicht in Erfüllung. Die Statue des ernst blickenden und bärtigen Reformators an der „Reformationsmauer“ in Genf ist heute ein Sinnbild des Calvinismus. Das Bedürfnis der sichtbaren Vergegenwärtigung einer historischen Gestalt will offenbar auch heute, zumal im Jahr des 500. Geburtstages Calvins, befriedigt sein.

Zu den traurigen Kapiteln seines Wirkens gehört sicherlich, daß sich die Tendenz der Reformation zu Spaltungen in den letzten 500 Jahren scheinbar ungehemmt ausgebreitet hat. Auch die Calvinisten selbst, zumal in den Niederlanden, wurden untereinander schnell uneins. Die Spaltungen und die politisch-militärischen Allianzen, die Europa im Zeitalter der Konfessionalisierung und der Konfessionskriege prägten, bilden daher einen Schwerpunkt der Berliner Ausstellung. Fast alle Territorien, deren Fürsten sich dem Calvinismus öffneten, waren zuvor vom Luthertum geprägt gewesen. Es kam immer wieder zu Volksaufständen gegen die Einführung des reformierten Bekenntnisses, aber auch zur Opposition seitens lutherischer Geistlicher. Bildung des Volkes war daher allenthalben vonnöten, um den neuen Glauben auch in die Seelen zu pflanzen.           

Hinrich E. Bues

Informationen über die Sonderausstellung „Une journée dans la vie de Calvin“ (Ein Tag im Leben Calvins) erteilt das Musée international de la Réforme (Internationales Museum der reformation), 4 rue du Cloître, CH-1204 Genève, Telefon (00412) 23102431, E-Mail: info@musee-reforme.ch. Interessenten an der Wechselausstellung „Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa“ wenden sich an das Deutsche Historische Museum, Unter den Linden 2, 10117 Berlin, Telefon (030) 20304-0, Fax (030) 20304-543, www.dhm.de

 

Was ist von Johannes Calvin in seiner Heimatstadt Genf und andernorts geblieben?

Ist Johannes Calvin mehr als ein Name, eine ferne Erinnerung, ein Stück Geschichte? Die sich zu Calvins reformierter Kirche Bekennenden sind selbst in Genf nur noch eine im Schwinden begriffene Minderheit. Doch auffällig ist für Eingeweihte, daß bis heute viele calvinistisch geprägte Familien an Privatbanken wie Pictet, Lombard, Odier, Hentsch, Darier, Bordier und Mirabaud beteiligt sind.

In den sogenannten guten Familien Genfs werden die calvinistischen Werte und Grundhaltungen hochgehalten. Man arbeitet viel und spendet kräftig Geld für gemeinnützige, soziale und kulturelle Zwecke. Die berühmte Austerité (strenge Einfachheit) und die zu Geiz tendierende Sparsamkeit im Alltag (Bonmot: „Wollen Sie ein Stück Zucker in den Tee – oder lieber doch keinen?“) mag ein Klischee sein; aber Zurückhaltung in der Zurschaustellung des Reichtums ist die Regel bei Calvinisten. Da kann es schon vorkommen, daß der erfolgreiche Vermögensverwalter das teurere Auto fährt als sein Arbeitgeber.

Vielleicht liegt aber Calvins Spur vor allem in der bemerkenswerten intellektuellen und geschäftlichen Regsamkeit der Genfer und ihrem feingesponnenen internationalen Netzwerk. Indem Calvin Genf zu einem geordneten Gemeinwesen verwandelte, wo Fleiß und Pünktlichkeit oberstes Gebot waren, schuf er die mentalen Grundlagen für den wirtschaftlichen Aufschwung der Rhonestadt und – durch die Ausgewanderten in England und Nordamerika – zum wirtschaftlichen Aufschwang des westlichen Kulturraumes. Besonders ab Mitte des 17. Jahrhunderts, nach der Einwanderung der Hugenotten aus Frankreich, verfügte die Genfer Elite über ein weites Kontaktnetz, das wesentlich zum Aufschwung des Finanzplatzes beitrug. Dieser internationalen Ausstrahlung war es auch zu verdanken, daß das „protestantische Rom“ 1918 zum Sitz des Völkerbunds und später der Uno sowie vieler internationaler Organisationen wurde. Kurz und gut: Ohne Calvins Reformation wäre Genf nicht Genf geworden. Und deshalb ist der 500. Geburtstag des Reformators durchaus eine „Messe“ wert.       H. E. B.

Foto: Johannes Calvin: Gemälde aus der flämischen Schule


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