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04.07.09 / Referendum über das Stadtschloß / Der Vorschlag des Gouverneurs des Königsberger Gebietes wirft viele Fragen auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-09 vom 04. Juli 2009

Referendum über das Stadtschloß
Der Vorschlag des Gouverneurs des Königsberger Gebietes wirft viele Fragen auf

Das Für und Wider eines Wiederaufbaus des Königsberger Schlosses beschäftigt seit langem die Gemüter. Mit dem Vorschlag von Gouverneur Georgij Boos, die Bürger in einem Referendum selbst abstimmen zu lassen, bekam die Frage eine neue Wendung.

Auf einer Sitzung der Gebietsregierung hat Gouverneur Boos erklärt, daß die Stadtbewohner über das endgültige Schicksal des Königsberger Schlosses abstimmen sollen. Doch die Initiative für ein Referendum wirft neue Fragen auf, ohne deren Klärung ein Wiederaufbau des Schlosses unwahrscheinlich ist.

Wo einst das Schloß stand, befindet sich heute ein Komplex mit Verkaufs-Pavillons mit der Bezeichnung „Staraja Baschnja“ (Alter Turm). Auf der Sitzung wurde vorgeschlagen, die Pavillons einfach an einen anderen Ort zu verlegen, aber ob die Möglichkeit hierzu überhaupt besteht, blieb unklar. Diese Pavillons entstanden Mitte der 90er Jahre. Die Ladenbetreiber könnten Entschädigung verlangen.

Doch das dürfte nicht der einzige Haken sein. Ungefähr die Hälfte des Territoriums, auf dem sich früher das Königsberger Schloß befand, hat seit über 30 Jahren das Haus der Räte eingenommen. Dieses epochale Gebäude wurde Anfang der 60er Jahre unter dem Einfluß des damals modernen Architekturkonzepts der Avantgardebauten in der brasilianischen Hauptstadt Brasil erbaut. Für das Haus der Räte, in dem die Stadtverwaltung und die Parteiorgane Ende der 80er Jahre untergebracht werden sollten, wurde eine Unmenge Geld ausgegeben. Doch dann kam die Perestrojka, die Regierung wechselte und das Haus der Räte blieb ein unvollendetes Denkmal der sowjetischen Vergangenheit. In den letzten 15 Jahren wechselten ständig die Eigentümer. Jeder änderte ein bißchen was an dem Gebäude, seltsame Gerüchte rankten sich darum. Vor einigen Jahren wurde das Haus der Räte an die Moskauer Firma „Prostostroj“ für die lächerliche Summe von sieben Millionen Rubel (rund 160000 Euro) verkauft, obwohl es laut Gutachten viel mehr wert war, schließlich ist es 32000 Quadratmeter groß.

Vor kurzem befand ein Schiedsgericht den Direktor des „Kultur- und Geschäftszentrums“ für schuldig, das Gebäude illegal unter Preis verkauft zu haben. Die Organisation „Kultur- und Geschäftszentrum“ wurde auf paritätischer Grundlage mit dem Komitee für städtischen Grundbesitz in Königsberg und dem Komitee für Grundbesitz im Königsberger Gebiet gegründet, um die Bemühungen um die Vollendung von Bauten zu bündeln und diese anschließend gewinnbringend zu verkaufen. Stattdessen entstanden Verluste. Doch der Richterspruch brachte das Gebäude nicht in den Besitz der Stadt zurück. Zur Zeit gehört das Haus der Räte einer Moskauer Firma namens „Infofintrust“.

Dies ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere, und zwar die wichtigere, betrifft die öffentliche Meinung der Königsberger und der Bewohner des Königsberger Gebiets. Viele würden sich freuen, die Perle Königsbergs – das Schloß – in neuem Glanz zu sehen. Doch in Zeiten der Wirtschaftskrise werten viele die Initiative des regionalen Regierungsoberhaupts als banalen Versuch, von wichtigen Problemen abzulenken und Popularität außerhalb der Russischen Föderation, vor allem in der Bundesrepublik Deutschland, zu gewinnen.

Das Königsberger Gebiet gehört laut russischer Statistik zu den Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit am schnellsten steigt. Der Rückgang der Industrieproduktion beträgt aktuell etwa 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Zu einem Zeitpunkt, da die Kulturförderung um die Hälfte gekürzt wurde, wegen fehlender Mittel viele medizinische Einrichtungen geschlossen werden, die Leute stundenlang auf einen Krankenwagen warten müssen, wenn sie außerhalb der Großstadt leben, erscheint der Wunsch nach einer Wiedererrichtung des Schlosses angesichts der leeren Kassen widersinnig.

Der Idee des Schloß-Wiederaufbaus stehen auch Kultur- und Architekturvereine negativ gegenüber. Sie meinen, daß von einem Wiederaufbau ohnehin keine Rede sein könne, weil es nichts aufzubauen gäbe. Man könne höchstens von einem Neubau sprechen, aber das neue Schloß würde in dem vorhandenen Gebäudeensemble der Stadt nie die dominierende Rolle spielen, die es einst in Königsberg hatte.

Die Architekten fragen sich, wie ein Schloß wohl aussehen würde, das von Gebäuden aus der Chruschtschow-Zeit umgeben ist. Viele glauben, daß es absurd aussehen müßte. Selbst wenn es gelingen sollte, die Geschäftspavillons mit der Bezeichnung „Staraja Baschnja“ zu entfernen, so würde sich sicher niemand mit den großen Handelskomplexen auseinandersetzen wollen. Darüber hinaus bleibt bei der allgegenwärtigen verdichteten Bebauung kaum noch Platz für den Wiederaufbau. Vergleicht man Königsberg mit Danzig, wo das gesamte Zentrum fast vollständig wiedererrichtet wurde und das nun viele Touristen aus aller Welt an zieht, die sich die einzigartige Schönheit der Hansestadt ansehen wollen, so muß man zugeben, daß so etwas wie in Danzig in Königsberg nicht mehr möglich ist. Deshalb erscheint die Frage eines Referendums über den Wiederaufbau des Königsberger Schlosses wie aus dem Nichts gegriffen. Aus der vielfachen Resonanz der Bürger wird deutlich, daß sie insgesamt zwar für die Restaurierungen und Wiederherstellung historischer Bausubstanz sind, aber nicht für die untergegangener, sondern für die noch erhaltener. Dennoch gibt es genauso viele Menschen, die nicht eindeutig Position beziehen. Wenn man sich die Probleme mit der Verkehrsüberlastung im Zentrum Königsbergs, den schlechten Zustand der Straßen, die Baufälligkeit vieler Wohnhäuser vor Augen führt und die Notwendigkeit einer zweiten Umgehungsstraße sowie vieles andere berücksichtigt, was die Königsberger beklagen, so scheint die Durchführung eines Referendums schon jetzt sehr zweifelhaft. Jurij Tschernyschew

Foto: Noch steht hier das „Haus der Räte“: Muß es bald dem Wiederaufbau des Stadtschlosses weichen?


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