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04.07.09 / Stimme der Heimat – Lieder der Heimat / Seit 30 Jahren erfreuen sich die Nordostdeutschen Singwochen ungetrübter Beliebtheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-09 vom 04. Juli 2009

Stimme der Heimat – Lieder der Heimat
Seit 30 Jahren erfreuen sich die Nordostdeutschen Singwochen ungetrübter Beliebtheit

Kommt zum Singen!“ Mit diesem Aufruf von Hanna Wangerin im Ostpreußenblatt vom 30. April 1979 begann eine Einrichtung, die bis heute lebendig geblieben ist und drei Jahrzehnte lang viele Menschen aller Altersstufen bewegt, be­glückt und verbunden hat.

Hanna Wangerin, gebürtig aus Königsberg/Pr. und nach Kriegsende als Kulturreferentin bei der Landsmannschaft Ostpreußen tätig, hat im 69. Lebensjahr mit der Gründung und fast zehnjährigen Durchführung der Nordostdeutschen Singwochen ihre Lebensarbeit gekrönt und vollendet. Zwar waren Mitte der 50er Jahre zwei Liederbücher mit ost- und westpreußischen Liedern erschienen, „Der Brummtopf“ von Wilhelm Scholz und „Mein Lied, mein Land“ von Herbert Wilhelmi, aber Lieder müssen gesungen werden, wenn sie lebendig bleiben sollen. Die Sorge um den drohenden Verlust dieses wertvollen Kulturgutes, den unerschöpflichen Reichtum an Liedern aus Ostpreußen, Westpreußen und Pommern hatte Hanna Wangerin nicht ruhen lassen.

Über 70 Singbegeisterte waren im Herbst 1979 ihrem Aufruf nach Königstein im Taunus gefolgt, und schon nach der zweiten Singwoche, die in Grömitz an der Ostsee stattfand, konnte Hanna Wangerin wegen der großen Nachfrage zu den „Pyrmonter Singtagen“ einladen, auf die im Herbst wieder eine ganze Woche mit Singen und Musizieren folgte. Bis 1993 blieb es bei zwei Veranstaltungen im Jahr an unterschiedlichen Orten mit wechselnden Leitern der Sing- und Instrumentalkreise, mit Referaten zu musikgeschichtlichen Themen und Komponisten, die sich mit ihrer Musik vorstellten. Mit der Gründung eines Vereins, des „Arbeitskreises Nordostdeutsche Musik e. v.“ mit Dr. Franz Keßler, dem letzten Domorganisten an St. Marien in Danzig als Ersten Vorsitzenden und Hanna Wangerin als Stellvertreterin, war neben aktivem Singen und Musizieren auch wissenschaftliche Arbeit und die Herausgabe von Noten und Tonträgern möglich geworden. 1998 übernahm Prof. Eike Funck den Vorsitz des Vereins, der nach seinem Tod im Dezember 2005 aufgelöst werden mußte, weil sich trotz intensiver Bemühungen der Mitglieder niemand fand, der bereit gewesen wäre, die Arbeit als Erster Vorsitzender fortzuführen.

Dennoch wird weitergesungen und musiziert auf dem breiten Fundament, das Hanna Wangerin, die 1990 starb, und mit ihr viele andere gelegt haben. So hat Eike Funck den bei den oben genannten Liederbüchern ein drittes hinzugefügt („Der wilde Schwan“), das Lieder aus dem gesamten nordostdeutschen Kulturraum enthält, also auch aus dem Baltikum und deutschen Siedlungsgebieten in Polen und Rußland. Ein großformatiges Chorheft mit fast 50 drei- und vierstimmigen Chorsätzen erschien 2006. Eine wertvolle Informationsquelle waren auch die zweimal jährlich erscheinenden „Mitteilungen des Arbeitskreises Nordostdeutsche Musik e. v.“ mit musikgeschichtlichen Beiträgen, Komponistenportraits, Lehrgangsberichten und anderem. Das Musikarchiv des Vereins mit Büchern, Noten und Tonträgern wird von Roland Funck in Ahrensburg betreut.

Schon im vorigen Jahr hat sich das Ostheim in Bad Pyrmont als Tagungsort für die Veranstaltung Nordostdeutscher Sing- und Musiziertage hervorragend bewährt, von der Landsmannschaft Ostpreußen großzügig unterstützt aus Bundesfördermitteln des Kulturreferates am Ostpreußischen Landesmuseums.

Am 30. April 2009 begann die diesjährige Veranstaltung – genau 30 Jahre nach dem ersten Aufruf Hanna Wangerins. Der Ansturm war so groß, daß – wie vor 30 Jahren in Königstein – einige Teilnehmer in anderen Quartieren untergebracht werden mußten. 

Zum traditionellen Morgensingen hatten sich alle 63 Teilnehmer eine Viertelstunde vor dem Frühstück im Treppenhaus eingefunden, um mit Kanons und Liedern fröhlich und vielstimmig den Mai zu begrüßen, schwungvoll dirigiert von der Chorleiterin Karin Petersen. Der Tagesablauf wurde in bewährter Weise mit Gruppenarbeit am Vor- und Nachmittag gestaltet, mit Volkstanz zwischen Mittagessen und Kaffeetrinken und gemeinsamem Musizieren bzw. einem Vortrag nach dem Abendbrot. Wer dann noch nicht müde war, traf sich zum Plachandern und spontanen Singen. In diesem Jubiläumsjahr wurde immer wieder an die erste Singwoche erinnert, unter anderem mit einer Mappe, die Fotos und Berichte und eine ausführliche Würdigung Hanna Wangerins enthielt.

Auch Gespräche über diese ereignisreiche und folgenschwere Woche waren möglich, denn vier Teilnehmerinnen haben sie noch miterlebt, und mit Karlheinz Grube saß sogar einer der damaligen Singleiter in der Runde. Neben ihm hatte Hanna Wangerin, Wilhelm Scholz und Harald Falk als erfahrene Singleiter engagieren können. Harald Falk hatte bei den großen Ostpreußentreffen in Köln mit seinem Chor, der Musikantengilde Halver, das Offene Singen geleitet. Auf einer von der Landsmannschaft Ostpreußen herausgegebenen Musikkassette kann man noch heute diesen Chor mit ostpreußischen Liedern in den schönen Chor- und Instrumentalsätzen von Harald Falk hören. 

Von Wilhelm Scholz hatte Karin Petersen für die Singgruppe einige der von ihm mit einer Gegenstimme versehenen ostpreußischen Lieder wie „Welch ein Wunder“ ausgewählt. Und alle sangen das während seiner Kriegsgefangenschaft entstandene Lied „Abend, breite deine Schwingen über aller Arbeit aus“ in dem von Scholz komponierten vierstimmigen Chorsatz. Eine Herausforderung, vor allem für die Männerstimmen, war Ewald Schäfers Vertonung des Gedichts „Frühling“ von Agnes Miegel. Etwas leichter und eingängiger kommt Schäfers Melodie zu dem Gedicht „Die weißen Wolken wandern“ von Fritz Kudnig daher, während der Chorsatz für die Männerstimmen wieder einige Überraschungen bereithielt.

Die große Blockflötengruppe unter der bewährten Leitung von Solveig Hachtmann hatte bezaubernde alte Tänze erarbeitet, und mit dem siebenstimmigen Stück aus dem Frühbarock (um 1600), überwiegend mit tiefen Flöten bis zum „baumlangen“ Subbaß besetzt, erntete sie stürmischen Beifall.

Die Gitarrengruppe unter Ronald Funcks Leitung hatte auf die Bitte der Tanzleiterin (Brigitte Schulze) zwei Tanzmelodien eingeübt, einen „Maientanz“ nach dem Lied „Wir tanzen im Maien“ und den pommerschen „Schneidertanz“. Der plattdeutsche Text dazu konnte von den Zuhörern beziehungsweise  Zuschauern während der Vorführung der Tänze aus dem Liederbuch mitgesungen werden. Außerdem wurden von den Gitarren zwei Lieder von Edith Nothdorf in Sätzen von Roland Funck und vierstimmige Liedsätze von Eike Funck gespielt.

Der Vortragsabend von Ilse Conrad-Kowalski war den Dainos gewidmet, jenen Liedern, die ins nordöstliche Ostpreußen eingewanderte Litauer mitgebracht hatten und die dort in deutscher Übersetzung gesungen wurden. Schon Goethe, Herder und Lessing waren von den poetischen Texten dieser Volkslieder begeistert und hatten sich an dichterischen Übertragungen versucht. Eine Auswahl aus der 1886 von Christian Bartsch herausgegebenen, fast 400 Lieder umfassenden Sammlung „Dainu Balsai“ hat Eike Funck für das Liederbuch „Der wilde Schwan“ getroffen. Drei weitere Dainos konnten während des Vortrages von einem von Ilse Conrad gestalteten Liederblatt abgesungen werden, um einen Eindruck von der besonderen Melodik dieser Lieder zu gewinnen. Trotz des engen Zeitplans hatten drei Musiker eine „Nische“ gefunden, um mit ihren Saiteninstrumenten ein Haydn-Trio zu üben und es zum Abschluß zur allgemeinen Begeisterung zu Gehör zu bringen. Als gemeinsamer Schluß erklangen – wie zum Beginn – die Verse eines Gedichtes von Theodor Storm in der Vertonung von Gerhard Schwarz: „Wieder einmal ausgeflogen, wieder einmal heimgekehrt, fand ich doch die alten Freunde und die Herzen unversehrt“.

Für Pfingsten 2010 ist das nächste Treffen der Freunde der nordostdeutschen Musik geplant. „Es war wie nach Hause kommen“, sagte zum Abschied eine Teilnehmerin aus der Gruppe der deutschen Volksgruppe aus Allenstein und Osterode, um auszudrücken, wie wohl sie sich in diesem Kreis gefühlt hatten.             Brigitte Schulze

Foto: Hanna Wangerin, die „Mutter“ der Nordostdeutschen Singwoche


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