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11.07.09 / Ein Staudamm namens Kurzarbeit / Kurzarbeit verhindert Massenentlassungen − Im Herbst kommt die »Stunde der Wahrheit« am Arbeitsmarkt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-09 vom 11. Juli 2009

Ein Staudamm namens Kurzarbeit
Kurzarbeit verhindert Massenentlassungen − Im Herbst kommt die »Stunde der Wahrheit« am Arbeitsmarkt

Trotz der beispiellosen Wirtschaftskrise ist die Arbeitslosenquote in Deutschland bisher nur moderat gestiegen, von 7,5 Prozent im Juni 2008 auf 8,1 Prozent ein Jahr später. Doch der Preis für diese „Ruhe an der Beschäftigungsfront“ ist hoch. Die beispiellose Expansion der Kurzarbeit verschlingt horrende Summen, lädt zu Mißbrauch ein und kann nicht dauerhaft durchgehalten werden. Nach der Wahl könnte es ein bitteres Erwachen geben.

Es hat schon fast Tradition, daß die jeweilige Regierung vor Bundestagswahlen die Lage am Arbeitsmarkt durch den großzügigen Einsatz „arbeitsmarktpolitischer Instrumente“ ein bißchen „aufhübscht“. Schon unter der Regierung Kohl wurden vor Wahlen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hochgefahren. Gerhard Schröder tat dasselbe in eher noch größerem Stil und änderte mehrfach die Erfassungskriterien für die Arbeitslosigkeit.

Daß die Große Koalition mit ihrer starken SPD-Komponente es nicht anders tun würde, war absehbar, zumal die Bundesagentur für Arbeit in den guten Jahren 2005 bis 2008 eine dicke Reserve angelegt hat. Die beispiellose Wirtschaftskrise liefert zudem durchaus Argumente, daß der Staat auch am Arbeitsmarkt stabilisierend eingreift. Hier geht es nicht nur um den sozialen Ausgleich, es geht auch um die ökonomisch gut begründbare Stabilisierung der Konsumnachfrage in Zeiten des Abschwungs.

Was allerdings viele Experten besorgt, ist das beispiellose Ausmaß, in dem gegenwärtig die absehbare Eintrübung am Arbeitsmarkt durch verschiedene Instrumente, allen voran die Kurzarbeit, kaschiert und hinausgezögert wird. Nicht nur wurde deren maximale Dauer in zwei Schritten auf nunmehr 24 Monate verlängert. Auch hat die Regierung die Konditionen für die Unternehmen mehrfach verbessert. Zuletzt beschloß der Bundestag im Juni eine Neuregelung, wonach die Arbeitgeber für ihre Kurzarbeiter künftig keine Beiträge zur Sozialversicherung mehr bezahlen, sobald in irgendeinem Bereich des Unternehmens sechs Monate kurzgearbeitet wurde. Kritiker bemängeln nicht nur die Kosten dieser Regelung, die auf über 800 Millionen Euro geschätzt werden, sondern auch die Mißbrauchsanfälligkeit. Nicht zuletzt bevorzuge diese Regelung, die prinzipiell für alle Arbeitgeber gilt, faktisch Großunternehmen, weil dort das genannte Kriterium für den Erlaß der Sozialbeiträge weit häufiger erfüllt ist.

Wie auch immer man die Liebe von Bundsarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) zum Instrument der Kurzarbeit im einzelnen bewertet, fest steht, daß die Unternehmen die weit ausgestreckte Hand gerne ergreifen. Geradezu explosionsartig hat die Kurzarbeit zugenommen, von erst 52000 im Oktober 2008 ist sie um das 25fache (!) auf rund 1,3 Millionen im März 2009 angeschwollen. „Neuere Zahlen gibt es nicht“, erklärte Pressesprecher Kurt Eikemeier von der Bundesagentur für Arbeit auf Anfrage der Preußischen Allgemeinen. Die entsprechenden Zahlen für das zweite Quartal würden erst am 30. Juli publiziert, was der üblichen Praxis der BA entspreche. Presseberichten zufolge haben die Unternehmen allerdings allein in den beiden Monaten Mai und Juni rund 500000 weitere Beschäftigte zur Kurzarbeit angemeldet. Eikemeier erläuterte, daß nicht jede Anmeldung tatsächlich zu neuer Kurzarbeit führe, weil die Firmen die angemeldeten Kontingente je nach Entwicklung der Auftragslage nicht immer in Anspruch nehmen würden.

Klar ist, daß den Deutschen ein weiterer sprunghafter Anstieg der Kurzarbeit ins Haus steht, dem mit zeitlicher Verzögerung ein Anstieg der Arbeitslosigkeit folgt. „Wenn die konjunkturelle Talfahrt nicht in absehbarer Zeit gestoppt wird, dann wird das Instrument Kurzarbeit zur stumpfen Waffe“, warnte der Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Ulrich Walwei, unlängst. Mit Kurzarbeit könnten Krisen nur abgefedert werden. „Doch wenn keine dauerhafte Beschäftigungsperspektive in Sicht ist, folgen Entlassungen.“

Die überaus großzügige Neuregelung vom Juni wird denn auch nicht nur von Ökonomen, sondern − in eher ungewöhnlicher Eintracht − auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund kritisiert. DGB-Vorstand Annelie Buntenbach warnte vor einer „Plünderung der Arbeitslosenversicherung“, die Konzerne würden „geradezu eingeladen, der Arbeitslosenversicherung die Kasse leer zu räumen“.

Tatsächlich schafft die Novelle vom Juni einen starken Anreiz, auch ohne zwingende Notwendigkeit punktuell kurzarbeiten zu lassen, um sechs Monate später bei möglicherweise wirklich verschlechterter Lage in großem Stil Sozialbeiträge sparen zu können. Auch sonst eröffnet momentan die schiere Masse der Anmeldungen zur Kurzarbeit Mißbrauchsmöglichkeiten, von der kleinen Ungenauigkeit im Antrag bis zum handfesten Betrug. Zwar hat die Agentur ihr Personal aufgestockt und kontrolliert natürlich auch weiterhin. Doch die Masse der Anträge muß offenbar „durchgewinkt“ werden und Medienberichte über Mißbrauch häufen sich.

Ob mit Kurzarbeit oder „echter“ Arbeitslosigkeit: Auf die (noch) halbwegs vollen Kassen der Bundesagentur kommen milliardenschwere Mehrausgaben zu. Von verschiedener Seite kommen bereits Rufe nach einer Anhebung des erst vor wenigen Monaten auf 2,8 Prozent abgesenkten Beitrags zur Arbeitslosenversicherung, nicht zuletzt von Vertretern der Agentur selbst. Deren Vorstandsmitglied Raimund Becker hält den aktuellen Beitragssatz für „auf Dauer zu niedrig“. In einem Interview rechnete er auch vor, wie lange der mit der Kurzarbeit errichtete „Staudamm“ am Arbeitsmarkt halten könnte. „Im Herbst wird sich zeigen, ob Firmen noch länger in der Lage sind, Kurzarbeit zu machen, oder ob sie entlassen müssen.“ Der September ist traditionell der beste Monat am Arbeitsmarkt, danach beginnt der alljährliche, saisonale Abschwung. In diesem Jahr kommt noch etwas hinzu, so Becker: „Die meisten Firmen haben Kurzarbeitergeld für sechs bis acht Monate beantragt. Das Gros der Anträge gab es im Februar und März.“

Mit anderen Worten: Der Monat Oktober 2009 könnte für den deutschen Arbeitsmarkt zum Monat der Wahrheit werden − pünktlich nach der Wahl am 27. September.      Konrad Badenheuer

Foto: Auftragseinbruch: Allein bei Bosch arbeiten in Deutschland 35000 Beschäftigte kurz.


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