24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
18.07.09 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-09 vom 18 Juli 2009

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,

liebe Familienfreunde,

es ist schon erfreulich, wenn sich alte Familienfreunde melden und darauf hinweisen, daß wir ihnen einmal geholfen haben, ein dankbares Erinnern auch nach Jahr und Tag. Und wenn dann noch eine überraschende Mitteilung hinzukommt, daß sich wieder einmal ein unerwartetes Wiederfinden ereignet hat, dann ist die Freude um so größer, auch wenn wir nicht direkt daran beteiligt sind. Der Kirchliche Suchdienst in Stuttgart hat es bewirkt, und mit dieser Organisation arbeiten wir ja eng zusammen, hatten schon gemeinsam manche Erfolge zu verzeichnen. Wenn unsere Ostpreußische Familie hierbei aber auch mitspielt, so liegt es daran, daß der Schreiberin, die von dem Wiederfinden berichtet, durch uns das Einleben in Deutschland erleichtert wurde. Denn Frau Dora Flak aus Schwerin war ein „Wolfskind“, kam erst vor einigen Jahren aus Litauen in die Bundesrepublik und fühlte sich an ihrem neuen Wohnsitz sehr allein. Damals wandte sie sich an uns und schilderte ihr Schicksal. Es meldeten sich Landsleute, die sofort mit ihr Verbindung aufnahmen. Jetzt konnte Dora Flak helfen und Dankbarkeit und Freude miterleben, denn ihre in Litauen verbliebene Freundin Margot Duda aus Kaunas fand ihren Vetter Siegfried Schwarz wieder, mit dem sie als Kind in Königsberg gespielt hatte. Nach 65 Jahren gab es ein Wiedersehen an dessen heutigen Wohnort Rünthe bei Bergkamen im Ruhrgebiet. Und davon berichtet uns Dora Flank mit der Bitte, dies in unserer Kolumne zu veröffentlichen. Was ich nur zu gerne tue, denn unsere Ostpreußische Familie freut sich immer, wenn wir von einem ersehnten Wiederfinden berichten – das ist dann immer wie eine kleine Sternstunde!

Ein altes Foto liegt als Beweis für eine gemeinsame glückliche Kindheit vor. Es zeigt die zweijährige Margot mit einem Blumenkranz auf dem Blondhaar und daneben ihren dreijährigen Cousin Siegfried, aufgenommen 1939 auf einem Kinderfest in Königsberg, der gemeinsamen Heimatstadt, wohl kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Siegfrieds Vater fiel schon bei Kriegsbeginn, die Mutter wurde später mit Siegfried und seiner älteren Schwester nach Kavern, Kreis Preußisch Eylau, evakuiert, floh von dort aus beim Russeneinfall nach Heiligenbeil und weiter über das Frische Haff. Zuerst nach Pillau, dann mit einem Frachtkahn zur Halbinsel Hela mit anschließender Flucht über See auf der „Orion“ nach Kopenhagen. Es folgten drei Jahre Lagerleben hinter Stacheldraht im jütländischen Grove, bis die Witwe mit ihren beiden Kindern in die damalige britische Zone einreisen durfte. Nach einigen Jahren in der Lüneburger Heide, in denen Siegfried eine Schreinerlehre absolvierte, ging er dann wegen besserer Arbeitsbedingungen in das Ruhrgebiet, wo sein weiteres Leben in ruhigeren Bahnen verlief. Der ehemalige Chemikant der Scheringwerke lebt heute mit seiner Frau Christa in Rünthe bei Bergkamen.

Ganz anders verlief das Schick­sal seiner Cousine Margot: Ihre Familie wurde beim Russeneinfall und in den folgenden Hungerjahren ausgelöscht. Als Zehnjährige schlug sich das Mädchen allein in Litauen durch, bettelte, arbeitete unter erbarmungswürdigen Umständen, wechselte aus Angst vor Entdeckung ihrer deutschen Herkunft immer wieder die litauischen Familien, bis sie bei zwei Schwestern endlich etwas Geborgenheit fand und sogar die Schule besuchen konnte. Sie hieß nun Rita Dudaski, erhielt ein neues Geburtsdatum, wurde Schneiderin, heiratete, bekam einen Sohn. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kaunas, hat ihre Muttersprache längst verlernt – verlernen müssen –, hat aber nie die Erinnerung an ihre Kindheit verloren. Und die wird wachgehalten durch den Zusammenschluß der „Wolfskinder“ im Verein „Edelweiß“. So fand sie endlich den Mut und damit auch den Weg, nach noch lebenden Verwandten zu suchen. Ihre Freundin Dora Falk unterstützte sie nach ihrer Übersiedlung nach Norddeutschland und leitete die Suchaktion ein. Über den Evangelischen Suchdienst erfuhr zuerst ein in Amerika lebender Vetter von seiner Cousine und benachrichtigte sofort seine Verwandten in Deutschland. Für Siegfried Schwarz war das wie ein Wunder, hatte er doch immer gehört, daß Margot nicht mehr lebe. Sofort wurde ein Wiedersehen vereinbart, das vor kurzem in Bergkamen stattfand. Dora Flak stand ihrer Freundin immer zur Seite, auch als Dolmetscherin, aber Tränen brauchen keine Übersetzung!

Für uns aber ist dies wieder einmal der untrügliche Beweis: Es kann immer noch ein Wiedersehen geben, auch nach 65 Jahren!

Daß es oft nur ein falsch geschriebener Name ist, der eine erfolgversprechende Suche verhindert, haben wir schon oft erfahren müssen. Vor allem, wenn von russischer Seite der Name eines Kindes registriert wurde, kann es durch die unterschiedliche Schreibweise zu Fehlern kommen, die sich fatal auswirken. So haben sich die aus der Elchniederung stammenden Brüder Martin und Lothar Helm erst nach einem halben Jahrhundert gefunden, obwohl beide durch das Rote Kreuz nach Angehörigen suchten. Martin blieb in Nordostpreußen, Lothar lebte in der Bundesrepublik – es war schließlich ein deutscher Lehrer, der die beiden zusammenbrachte. Des Rätsels Lösung: Lothar Helm war unter seinem richtigen Namen registriert, sein Bruder stand aber als „Martin Schelm“ in der Suchkartei. Der ältere Lothar hatte als Soldat bei Kriegsende deutschen Boden erreicht, sein kleiner Bruder aber war mit der Mutter auf der Flucht vom elterlichen Hof in Brittanien noch im nördlichen Ostpreußen von den Russen eingeholt worden, sie überlebte die Schrecken nicht. Martin blieb alleine zurück, streunte herum, ging betteln, fand Menschen, die ihm auf dem weiteren Lebensweg halfen, der in der Heimat verlief. Bei der Registrierung war aus dem H ein Ch geworden, aus Chelm wurde dann später Schelm. Heute trägt der in Trakehnen Lebende seinen richtigen Namen, wie uns Herr Bernd Daus­kardt aus Hollenstedt mitteilt, der Martin Helm auf jeder Ostpreußenreise besucht. Es zieht ihn immer wieder dorthin, wo sein Vater Heinrich Dauskardt im Januar 1945 gefallen ist, in das nördliche Ostpreußen – und so lernte er Martin Helm kennen als „letzten echten Ostpreußen im jetzigen Oblast Kaliningrad“. Die Freude ist groß, wenn der Freund aus der Bundesrepublik ihn in seinem Haus besucht, das am Ausgang von Trakehnen in Richtung Birkenmühle/Romenten liegt. Dort lebt Martin Helm mit seiner russischen Frau – er hat eben seine Wurzeln in der Heimat, und kehrte auch nach dem Besuch bei seinem inzwischen verstorbenen Bruder in der Bundesrepublik nach Trakehnen zurück. Herr Dauskardt wird ihn in wenigen Wochen wiedersehen, und ich werde ihm herzliche Grüße der Ostpreußischen Familie an den in der Heimat verbliebenen Landsmann mitgeben.

Wenn man von seinen Vorfahren kaum etwas weiß, nur einige Namen und Ortsangaben hat, dann erwächst doch in einem der Wunsch, etwas über die Familie und ihr Umfeld zu erfahren. So ergeht es Frau Dorothea Seggebruch aus Meerbeck, die noch in Ostpreußen geboren wurde, aber als Vierjährige die Heimat verlassen mußte. Da ihr Vater als vermißt gilt, sie ihre Mutter zu deren Lebenszeiten kaum befragt hat, ist sie auf andere Informanten angewiesen, die sie im Kreise unserer Ostpreußischen Familie erhoffte – und sie wurde nicht enttäuscht. Denn schon kurz nachdem ihre Fragen nach den Familien Neumann aus Karpau und Milkereit aus Bartenstein in Folge 23 erschienen waren, meldeten sich schon die ersten Anrufer, und im Laufe der nächsten Tage kamen weitere hinzu, die vor allem das Umfeld beider Familien erhellen konnten. Frau Seggebruch war besonders überrascht und erfreut, daß dies besonders die väterliche Familie betraf, von der sie bisher kaum etwas wußte. Ihr Vater Kurt Neumann hatte als Maschinist in der Genossenschaftsmolkerei von Nautzken gearbeitet. Es meldete sich eine Leserin, deren Bruder auch dort beschäftigt gewesen war. Der Großvater war Schmiedemeister auf dem Gut Karpau, Kreis Wehlau, gewesen. Von der Familie des ehemaligen Gutsbesitzers bekam sie viel Interessantes über Karpau zu hören, auch an die Schmiede konnte man sich erinnern, aber leider nicht mehr an den Großvater. In Bezug auf die mütterliche Linie könnte sich sogar eine Verwandtschaft ergeben. Da ihr Großvater Karl Milkereit Oberschweizer gewesen war, konnte Frau Seggebruch viel über diesen Beruf erfahren, auch hier meldeten sich Angehörige der Gutsfamilie, bei der er tätig gewesen war. Das ist zuerst einmal der mir telefonisch übermittelte Überblick über das, was in diesem Fall geschehen ist. Wir dürften da noch mehr hören. (Dorothea Seggebruch, Volksdorf 6 in 31715 Meerbeck, Telefon 05721 / 2378.)

Auch Herr Erhard H. Pletz kann Positives berichten. Im November hatte er um eine Veröffentlichung seiner Frage nach dem Fronteinsatz der 161. Infanterie Division (Ostpreußische) gebeten, die auch erfolgte. In dieser Einheit diente sein Bruder Herbert, der im Juli 1944 in Moldawien fiel. Zuerst erhielt Herr Pletz mehrere Anrufe, die aber nichts Konkreteres erbrachten. Doch dann meldete sich ein Leser aus Bayern, der sich intensiv mit der Geschichte dieser Einheit befaßt. Mit diesem steht Herr Pletz nun in Verbindung und hat schon interessantes Material erhalten.

Eure Ruth Geede

Foto: Bernd Dauskardt (links) mit Martin Helm und dessen Ehefrau


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren