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25.07.09 / Polens Interessen / Berlin sollte polnische Einflusspolitik in Osteuropa zurückweisen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-09 vom 25. Juli 2009

Polens Interessen
Berlin sollte polnische Einflusspolitik in Osteuropa zurückweisen

22 ehemalige Staats- und Regierungschefs aus den mitteleuropäischen neuen Mitgliedsstaaten von EU und Nato appellieren an die USA, die legitimen Sicherheitsinteressen ihrer Staaten gegenüber Russland nicht durch eine pragmatische Kooperation der beiden Supermächte zu gefährden. Was ist davon zu halten?

Zentrale Aussage des Appells ist die Klage, dass die Länder Ostmitteleuropas und ihre Sicherheitsinteressen angeblich nicht mehr die gebotene Aufmerksamkeit der amerikanischen Außenpolitik besäßen. Die USA müssten ihre Rolle als europäische Macht klar artikulieren und deutlich machen, dass sie auf dem europäischen Kontinent voll engagiert bleiben. Der Appell wurde unter anderen von den früheren Staatspräsidenten Walesa und Kwasniewski (Polen), Havel (Tschechische Republik) Adamkus (Litauen,) Constantinescu (Rumänien), Vike-Freiberga (Lettland) sowie dem früheren estnischen Ministerpräsidenten Laar unterzeichnet.

Nur einen Tag später hat sich auch Polens amtierender Staatspräsident Lech Kaczynski diesem Aufruf angeschlossen.

Die Autoren  fordern wegen der von Moskau ausgehenden Gefahren eine Stärkung der Nato. Sie äußern Zweifel an der derzeitigen Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses, da es durch Versäumnisse in der Vergangenheit einen Teil seiner Abschreckungsfähigkeit verloren habe. Die Unterzeichner wollen mit ihrer öffentlichen Stellungnahme erreichen, dass ein angeblich falsches Verständnis westlicher Interessen nicht zu unangemessenen Zugeständnissen an Russland führt. Viele im Osten habe es beunruhigt, dass die Nato der russischen Intervention in Georgien im August 2008 tatenlos zugesehen habe.

Der polnische Präsident Lech Kaczynski präzisierte in seiner Stellungnahme: Die Glaubwürdigkeit Amerikas hänge entscheidend davon ab, wie der Plan einer Raketenabwehr mit Elementen in Polen und Tschechien weiter verfolgt werde.

Die estnischen und lettischen Bedrohungsängste vor den mächtigen Nachbarn im Osten wird man verstehen können. Sie gelten nicht so sehr einem imperialistischen und revisionistischen Russland. Diesen aggressiven Charakter hat Russland mit dem Untergang der Sowjetunion abgelegt. Die Bedrohungsängste der Balten basieren auf der Tatsache, dass ein hoher Prozentsatz der Menschen in diesen beiden Ländern ethnisch Russen sind. In Lettland sind es fast 50 Prozent aller Einwohner. Die Balten können vor diesem Hintergrund vor umtriebigen Abspaltungsversuchen nicht sicher sein. Allerdings: Sollte ein derartiges Szenario Realität werden, hülfe auch kein Natobündnis. Denn die Nato ist ein Verteidigungsbündnis, auch wenn das Bündnis im Fall Afghanistan unter dem Druck des früheren US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush deutlich über den Defensivschutz für die Bündnismitglieder hinausgegangen ist.

Die Bedrohungsängste der Rumänen beruhen auf dem Transnistrienkonflikt vor der rumänischen Haustür, der eine Folge der uneinigen Unabhängigkeitsbewegung Moldawiens ist.

Ganz anders liegen die Dinge bei Polen, und der Aufruf aus Ostmitteleuropa an die USA dient vorrangig polnischen Interessen − nicht baltischen, rumänischen, ukrainischen und schon gar nicht deutschen. Zwei ehemalige polnische Präsidenten sowie der amtierende Präsident sind Mitunterzeichner. Polen möchte in seinem östlichen Vorfeld ebenfalls Nato- und EU-Partner haben. Dabei hat man die Ukraine und Georgien im Blick. In Polen wird immer wieder fälschlicherweise auf die russische Aggression gegen Georgien hingewiesen. Tatsächlich hatte die USA Georgien aufgerüstet und zumindest indirekt ermuntert, gegen Südossetien vorzugehen. Der Konflikt ging von Georgien aus, auch wenn die russische Reaktion deutlich überzogen war.

Wir erleben zurzeit einen Epochenwandel. Die Nachkriegszeit ist zu Ende. Polen, die Tschechische Republik, Russland aber auch Rumänien, die Slowakei und hinsichtlich der Halbinsel Istrien auch Kroatien haben ihre territoriale Kriegsbeute von 1945 gesichert. Niemand will oder kann daran etwas ändern. Die Vertreibungsverbrechen an den Deutschen verblassen mehr und mehr. Sie sind bald keine Zeitgeschichte mehr, an die Zeitzeugen erinnern. Oder mit den Worten des ungarischen Schriftstellers Péter Esterházy: „Die europäische Nachkriegsordnung beruht auf einer Verständigung der maßgeblichen europäischen Mächte und der USA über eine Menschenrechtsverletzung ungeheuren Ausmaßes.“

Polen und seine Nachbarstaaten positionieren sich in dieser Ordnung neu. Die Westflanke zu Deutschland ist gesichert. Negatives bleibt in Deutschland. Polen begreift sich als Ostseemacht und damit als europäische Zentralmacht. Einen gleichen Status gesteht Polen nur noch Frankreich in Europa zu.

Die polnischen Ziele sind: Russlands Einfluss soll weiter zurück-gedrängt werden. Ein polnisch dominierter Staatengürtel vom Baltikum bis zum Kaukasus entsprechend der Lubliner Union von 1569 soll entstehen. Die polnischen Anliegen, die Polen mangels eigener Möglichkeiten nicht alleine durchsetzen kann, sollen mit Hilfe der EU realisiert werden. Dabei – so die polnische Sicht – muss die Nato mehr den je ihre Funktion erfüllen, die sie seit der Gründung im Jahre 1949 innegehabt hat, nämlich: Die Russen aus Europa herauszuhalten, die Amerikaner in Europa drin zu behalten und die Deutschen unten zu halten.

Dem steht zum einen entgegen Russlands wiedergewonnene wirtschaftliche Stärke und sein Bemühen, die russischen Nachbarstaaten im Kaukasus nicht gegen sich instrumentalisieren zu lassen. Und zum anderen die guten Beziehungen Deutschlands zu den baltischen Staaten.

Wenn vorstehend von Polen die Rede ist, so ist damit ein größerer Teil der politischen Klasse Polens gemeint. Die Verständigung – hier sei auch der an sich unpassende Begriff der Aussöhnung genannt – ist zwischen den Menschen in Polen und Deutschland längst vollzogen. Die heutige staatstragende Generation in beiden Ländern ist nicht verantwortlich für das, was man sich gegenseitig Mitte des vorigen Jahrhunderts angetan hat.

Alle die – in welchen Ländern auch immer – eine Strategie der Abgrenzung und der militärischen Stärke mit Raketenabwehr und Natoschirm bis nach Georgien und Aserbaidschan das Wort reden, sei ins Stammbuch geschrieben: Die Westmächte haben sich 1990 gegenüber Russland verpflichtet, Natotruppen nicht ostwärts der Oder zu stationieren. Unter dieser Voraussetzung hat Russland seine Zustimmung zur weiteren Natomitgliedschaft Deutschlands gegeben. Heute sind die baltischen Staaten und Polen Natomitglieder. Leichte amerikanische Vorfeldtruppen stehen in Bulgarien. Innerhalb der Nato wird eine Ausdehnung des Bündnisses auf die Ukraine und Georgien angedacht, und amerikanische Militärberater arbeiten in Aserbaidschan.

Das alles soll Russland hinnehmen und dazu noch Europa preiswert mit Öl und Gas versorgen? Eine Zumutung!

Der Appell der ostmitteleuropäischen Staaten an die USA war zeitlich bestens platziert. Die Nato hat begonnen, über ein neues strategisches Konzept nachzudenken. Eine erste Diskussionsrunde dazu mit Politikern, Militärs, Journalisten und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen fand bereits in Brüssel statt. Der neue Nato-Generalsekretär, der Däne Anders Fogh Rasmussen, der im August sein Amt antritt, wird widerstreitende Interessen der Bündnismitglieder in Einklang bringen müssen. Eine Herkulesaufgabe. Berlin sollte sich in dieser Debatte um die Zukunft von Nato und EU von der Illusion lösen, Deutschland sei nur von Freunden umgeben und stattdessen wieder Realpolitik im besten Sinne machen. Wilhelm v. Gottberg

Foto: Rückkehr der Einflusssphären? Polens Interessengebiet reicht vom Baltikum über die Ukraine bis zum Schwarzen Meer. Das kleine Bild zeigt rot den sowjetischen Machtbereich in Europa bis 1989/90


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