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25.07.09 / Willkür mit Wörtern / Revisionismus, Revanchismus: Die skurrile Irrfahrt zweier brisanter Vokabeln

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-09 vom 25. Juli 2009

Willkür mit Wörtern
Revisionismus, Revanchismus: Die skurrile Irrfahrt zweier brisanter Vokabeln

Der Verdacht, man wolle „die Geschichte umschreiben“, kann in Deutschland moralisch tödlich sein, die Anklage lautet auf „Revisionismus“. Das Umschreibe-Verbot bezieht sich indes nur auf einen engbegrenzten Teil der Geschichte, und gilt zudem nur in ganz bestimmter Weise.

Dieser Teil der Historie nimmt damit eine absolute Sonderstellung in der Welt der Wissenschaft ein. Das Wort Revision leitet sich von revidere, lateinisch für „wieder hinsehen“, ab. Es umschreibt also das Grundmerkmal modernen Wissenschaftsverständnisses.

Voller Verachtung blicken wir modernen Menschen auf die Zeit vor der Aufklärung, als Dogmen freie Forschung und Lehre behinderten. Daher gilt heute, dass jede bekannte Sache unter ständiger Neubetrachtung zu stehen habe. Und sollten sich aufgrund neuer Erkenntnisse alte als unvollständig oder falsch herausstellen, ist die Sichtweise den neuen Aufschlüssen anzupassen. Etwas ungenau wird der Begriff „Revision“ für gewöhnlich erst auf den Prozess der Neuinterpretation aufgrund neuer Erkenntnisse angewendet. Aus dieser verschobenen Einordnung des Wortes „Revision“ rührt denn auch der Verdacht, dass der Revisor nicht aus reinem Forscherdrang handelt, sondern von vornherein mit dem Ziel, eine bestimmte Sichtweise auf die Geschichte zu verändern.

Daher gilt das RevisionismusVerbot nur für den Bereich der Geschichte, der als politisch-moralischer Besitzstand betrachtet wird, den man durchaus zum eigenen Vorteil einsetzt. So forderte der damalige polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski Sonderstimmrechte für sein Land in der EU mit dem Hinweis auf die Zahl der polnischen Weltkriegsopfer.

Erstaunlicherweise wird gerade diese Zahl dieser Tage einer großangelegten Revision im eigentlichen Sinne unterzogen: Polnische Wissenschaftler sammeln die Namen aller Opfer und gehen schon jetzt davon aus, dass die schließlich ermittelte Zahl spürbar unter der von gut sechs Millionen Toten liegen dürfte, die bislang als sakrosankt unter Revisions-Verbot stand.

Skeptiker stellen die Frage, inwieweit Geschichte überhaupt als Wissenschaft zu sehen sei. Letztlich bilde sie ja nicht die tatsächliche Vergangenheit ab, sondern lediglich die Sicht der Gegenwart darauf – die Geschichte als Summe der Geschichten, die wir uns über die Vergangenheit erzählen (lassen). Indes verändert sich Gegenwart per se ständig, womit sich auch unser Geschichtsbild dynamisch fortentwickeln müsste. Doch in dem Maße, wie Geschichtsbilder zum politisch-moralischen Besitzstand  werden, werden sie gegen den Prozess der Veränderung mit dem Revisionismus-Vorwurf verteidigt.

Wissenschaftler, die das im Ostblock und später in der westdeutschen Linken verbreitete Bild der deutschen Vertriebenen nur als Täter und der Vertreibernationen nur als Opfer mit der Realität konfrontieren wollen, werden immer noch unter Revisionismus-Anklage gestellt, mit der in diesem Falle oft der Vorwurf des „Revanchismus“ verbunden wird.

Dabei wird ausgeblendet, dass  die deutschen Vertriebenen 1950 auf Rache (Revanche) feierlich verzichtet haben. Der Revanchismus-Vorwurf wurde dessen ungeachtet in den Propaganda-Abteilungen der Vertreiberstaaten entwickelt und auch von der DDR verbreitet. Ziel: Um die Vertreibungsverbrechen zu vertuschen, sollten deren Opfer zum eigentlich Bösen stilisiert werden. Auch später auf dem Balkan wurde die Dämonisierung Vertriebener als Rechtfertigung ihrer Vertreibung betrieben.                Hans Heckel

Foto: Galileo Galilei vor dem Inquisitor: Der Naturwissenschaftler (1564−1642) stellte mit seinen Enteckungen das bisher geltende Weltbild zur Revision. Der Vatikan setzte ihn darauf unter Hausarrest und erteilte ihm ein Publikationsverbot.

 

Zeitzeugen

Horst Köhler – Bei seinem jüngsten Besuch in Polen bestand der deutsche Bundespräsident auf der Feststellung: In Deutschland gebe es „keine ernsthafte politische Kraft“, die die „Geschichte umschreiben“ wolle. Köhler wurde 1943 als Sohn bessarabiendeutscher Siedler im polnischen Skierbieszów (1942–44 Heidenstein) geboren. Die Familie musste ihre Heimat 1940 verlassen.

 

Jaroslaw Kaczynski – Der 1949 geborene Zwillingsbruder des polnischen Präsidenten war von März 2006 bis November 2007 Ministerpräsident. Mit seiner Forderung, Polen müsse wegen seiner „sechs Millionen Kriegsopfer“ mehr Stimmrecht in der EU erhalten, isolierte er sein Land. Die Zahl von sechs Millionen wird derzeit in Polen überprüft und voraussichtlich revidiert.

 

Léon Gambetta – Begleiter nannten ihn den „zornigen Verrückten“. Der französische Politiker Gambetta (1838–1882) rief nach der Niederlage gegen Deutschland 1871 seine Landsleute zu immerwährendem Drängen auf Rache (Revanche) für die Schmach und den Verlust von Elsass-Lothringen auf. Er prägte die Worte: „Niemals davon sprechen, immer daran denken.“

 

Fritz Fischer – Der Historiker (1909–1999) brach mit der bis dahin gültigen differenzierten Sicht auf die Ursachen des Ersten Weltkriegs und erklärte schließlich in seinem dritten Buch zum Thema („Krieg der Illusionen“, 1969) den Weg zum Krieg als geplante Aktion des Deutschen Reiches. Trotz vielfacher Widerlegung durch die Fachwelt dominierte die Fischer-These jahrzehntelang.

 

Eduard Bernstein – Der Sozialdemokrat (1850–1932) löste mit seinen Thesen den „Revisionismusstreit“ in seiner Partei aus, der schließlich in der Abspaltung seiner radikalsten Gegner zur KPD gipfelte. Der Sohn eines Lokomotivführers verteidigte auch die deutsche Kolonialpolitik. Er saß von 1902 bis 1928 für den Wahlkreis Breslau-West im Reichstag. In Opposition zur Kriegspolitik ging er 1917 zur USPD, kehrte jedoch als überzeugter Reformist und Anti-Revolutionär nach der Novemberrevolution zur SPD zurück.


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