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25.07.09 / Zwischen Bauboom und Bomben / Dass in Kabul mit Drogen-Geld gebaut wird, ist ein offenes Geheimnis – niemanden scheint es zu stören

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-09 vom 25. Juli 2009

Zwischen Bauboom und Bomben
Dass in Kabul mit Drogen-Geld gebaut wird, ist ein offenes Geheimnis – niemanden scheint es zu stören

Die afghanische Hauptstadt ist ein Paradies für Drogenbosse, aber auch für korrupte Zeitgenossen: Von 60 Millionen Euro deutscher Entwicklungshilfe kamen 2006 nur 25 Millionen in Projekten an. Reaktion aus Berlin: Der Betrag wurde auf 140 Millionen Euro pro Jahr erhöht.

Die afghanische Hauptstadt Kabul ist alt. Älter als Rom. Alle Wege führten einst nach Kabul. Von Osten kamen die Karawanen aus Indien. Von Westen aus dem Iran. Von Norden aus Samarkand und den zentralasiatischen Städten und von Süden aus Kandahar. In der ältesten religiösen Literatur der Inder, den Veden, wurde Kabul einst als Ideal einer Stadt und Paradies in den Bergen gepriesen.  Ein Paradies ist es heute noch. Zumindest für finanzkräftige Warlords und Drogenbosse. Denn Kabuls Immobilienmarkt ist eine riesige Geldwaschanlage. Das leugnen nicht mal die Beamten der Stadt. Jasin Helal zum Beispiel ist stellvertretender Leiter der städtischen Abteilung für Politik und Koordinierung und empfängt den Besuch auf abgewetzten Ledersesseln.

„Also gut, das Geld stammt aus Drogengeschäften, es ist schlechtes Geld“, gibt Helal freimütig schon nach wenigen Minuten Gespräch zu. „Aber wenn es investiert wird und Arbeitsplätze schafft, wird es gutes Geld.“ In dieser Alchemie zeigt sich ebenso die Ohnmacht eines bankrotten Staates wie Pragmatismus. Denn Geld um zu bauen hat weder das Land Afghanistan noch die Stadt Kabul.

Dabei ist Geld eigentlich da. Viel Geld sogar. Milliarden Dollar internationale Hilfe sind seit 2001 nach Afghanistan geflossen. Doch wenn einmal eine Verwaltung existiert, dann finden sich fast immer hinreichend korrupte Zeitgenossen, die so lange die Hand aufhalten, bis nichts mehr übrig ist von dem Geld. Aber: Zur Korruption gehören immer zwei. Einer zahlt, einer nimmt.

So sind von den 80 Millionen Euro deutscher Entwicklungshilfe an Afghanistan im Jahr 2006 weniger als 25 Millionen tatsächlich bei Projekten angekommen. Der große Rest ist einfach verschwunden. Nach Veröffentlichung dieser Zahlen hat die Bundesregierung nicht etwa versucht, das Übel in den Griff zu kriegen. Sie hat den Entwicklungshilfebeitrag einfach auf 140 Millionen pro Jahr erhöht.

Und so arbeiten selbst die Hilfs-organisationen nicht immer solide, das viele Geld hat die Standards versaut: „Mit dem Goldrausch begann die Verschwendung“, klagt ein Vertreter einer internationalen Organisation: „Manchmal bauen die Hilfsorganisationen einfach nur Schrott. Auf dem Land sind schon mehrere neue Häuser einfach eingestürzt, es waren Todesfallen.“

„Lakonisch-realistisch“ beschreibt ein indischer Consultant der PriceWaterhouseCooper AG in Kabul seine Sicht der Dinge. Die Klage über die Drogenbosse sei sentimentaler Quatsch: „Seid froh, dass Kapital im Land ist!“ Sein schwarzer Bart ist sauber gekämmt, der Scheitel ordentlich gelegt. Die Hände hält er ruhig über seinem Bauch gefaltet. Er selbst erhält mehrere tausend US-Dollar pro Monat Gehalt. Ein Luxusgeschöpf in dieser Stadt, in der die Kluft zwischen Glanz und Elend viel tiefer ist als der ausgetrocknete Kabul-Fluss. Armut, die ihre Spuren hinterlässt.

Die Not treibt die Menschen aus den Dörfern Afghanistans. Die Hoffnung lockt sie aus den umkämpften Gebieten in die Hauptstadt. Kabul platzt aus allen Nähten, wächst schneller als Lagos oder Mumbai. 2001 lebten hier knapp zwei Millionen Einwohner, heute sind es wahrscheinlich vier. Vielleicht auch viel mehr. So genau weiß das niemand.

Die wenigsten schaffen es bis Share Naw oder Wasir Akbar Khan, in die reichen Viertel mit neu gepflasterten Bürgersteigen  und frisch geteerten Straßen ohne granattrichertergroße Schlaglöcher. Sie wohnen an den Bergen und Hängen der Stadt, wo schwarz gebaute Siedlungen seit Jahren empor schwappen wie Gezeiten. Illegales Lehmziegelpatchwork ohne Wasser, Toiletten und Strom – aber Strom gibt es ja auch in Share Naw meistens nur aus stinkenden und lärmenden Dieselgeneratoren.

An diesen Hängen aber leben Väter, die ihre Töchter mit sieben Jahren zur Ehe versprechen, um mit dem Brautpreis den Rest der Familie durchzubringen. Witwen, deren Angehörige von zehnjährigen Söhnen ernährt werden. Mütter, die bitter scherzen, sie könnten ihre Töpfe ruhig verkaufen, weil sie doch nichts zum Kochen haben.

Gleichzeitig  fahren Afghanen auf den Rolltreppen des „Kabul City Centers“, eine 2005 eröffneten Shopping Mall aus viel Glas und noch mehr Metall, deren architektonischer Reiz sich nicht jedem gleich auf Anhieb erschließt. Und jeden Monat erheben sich neue Paläste aus dem Staub der Stadt, oft bunt schillernd wie Käferflügel, wo die Mieten für ein Haus 8000 Dollar im Monat und mehr erreichen. Einheimische Lehrer verdienen 50 Dollar – pro Monat.

Auch aufgrund dieser Umstände gelingt es den Taliban, ihren tödlichen Griff immer enger um Afghanistans Hauptstadt zu schließen. Unter den Augen der ohnehin angeschlagenen Regierung machen die Gotteskrieger Kabul zu ihrem neuen Schlachtfeld. Immer wieder kommt es zu Anschlägen. Immer wieder werden Menschen entführt. Guerillataktik als eine Demonstration ihrer Macht und der Reichweite ihres Terrors bis tief in die Hauptstadt. Die Sicherheitskräfte können sie nicht aufhalten.

Dementsprechend ist Kabul heute vom einst beschriebenen Ideal einer Stadt sehr weit entfernt. Trotz allem, so meint Jasin Helal, „solange gebaut wird, haben die Menschen wenigstens noch Hoffnung und Arbeit.“         Jörg Schmitz

Foto: Bauen für die Reichen: Eine Wohnung in der „Golden City“ von Kabul kostet etwa 350 000 Dollar.


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