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25.07.09 / »Der Freihafen wurde zum Leichenhaus« / Ein Betroffener erinnert sich an die Zeit im dänischen Flüchtlingslager – Etliche Dänen halfen, dennoch starben 13500 Deutsche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-09 vom 25. Juli 2009

»Der Freihafen wurde zum Leichenhaus«
Ein Betroffener erinnert sich an die Zeit im dänischen Flüchtlingslager – Etliche Dänen halfen, dennoch starben 13500 Deutsche

Es war ein Thema, das große Emotionen geweckt hat, nicht nur bei denen, die persönlich davon betroffen waren: Die Internierung deutscher Flüchtlinge in Dänemark.

Schon oft wurde in unserer Zeitung das Thema behandelt und im Dezember vergangenen Jahres wurde es erneut aufgegriffen, weil ein dänischer Lehrer, der vor deutschen Schülern darüber sprechen sollte, nach Basismaterial fragte. So hat die PAZ Zeitzeugen aufgefordert, sich mit Peder Søndergaard in Verbindung zu setzen, um ihm ihre Erfahrungen über die Internierungszeit mitzuteilen. Dies ist auch geschehen, das Echo war sehr lebhaft und führte in einigen Fällen zu längerem Schriftwechsel. Die Korrespondenz zwischen Peder Søndergaard und Eva Droese war so ergiebig, dass wir sie in Auszügen als Sonderbeitrag veröffentlichten. Er erschien unter der Überschrift: „Kindergräber im Dünensand“ in Folge 9 der PAZ und fand wieder großen Anklang.

Im Rahmen dieser Diskussion  veröffentlichen wir nachfolgend den Bericht des Rundfunkredakteurs a.D., Manfred Böttcher. Böttcher wurde 1944 in Deutsch Bahnau, Kreis Heiligenbeil geboren und war selber ein „Lagerkind“. Seine Angaben über die Kindersterblichkeit beruhen auf eigenen Recherchen und der Auswertung der einschlägigen Fachliteratur. Die in diesem Brief vorgenommenen historischen Bewertungen sind die des Autors. Die Redaktion teilt insbesondere nicht die Einschätzung, Hilfe für ostpreußische Flüchtlinge in Dänemark sei „Gnade vor Recht“ gewesen – falls damit gemeint sein sollte, dass das furchtbare Elend der Flüchtlinge irgendwie rechtens gewesen sei. Auch der Hinweis auf die „alleinige Verantwortung der deutschen Ärzte“ kann wohl nur in dem Sinne verstanden werden, dass diese während einiger Zeit (formal) für die Versorgung der Flüchtlinge zuständig waren; Böttcher selber erwähnt ja die Unmöglichkeit, Kindern allein mit medizinischer Pflege zu helfen, wenn Nahrungsmittel fehlen. Mit diesen Vorbemerkungen dokumentieren wir das Schreiben nachfolgend ganz leicht gekürzt als Teil einer laufenden Diskussion:

„Dänemark war 1940 von Hitler-Deutschland überfallen worden und jahrelang besetzt. Im Mai 1945 befanden sich neben den 245000 deutschen Flüchtlingen noch 250 000 deutsche Soldaten in dem kleinen Land. Die dänische Wirtschaft wurde abgeschöpft und das Land vom deutschen Militär als großes Lazarett benutzt. Beim Ansturm der deutschen Flüchtlinge ab Anfang 1945 wurden über das bisherige Besatzungsregime hinaus zahlreiche Schulen und öffentlichen Einrichtungen Dänemarks  beschlagnahmt. Es konnte daher nicht erwartet werden, dass die überfallenen und ausgenutzten Dänen nun den Deutschen wohlgesonnen sind und sich als Retter der durch eigene Schuld in Schwierigkeiten geratenen Deutschen auserkoren sehen. Das kleine Volk Dänemarks war durch die Besetzung und mit der Versorgung von insgesamt einer halben Million Deutschen sowie Tausenden von Verwundeten und alliierten Flüchtlingen völlig überfordert. Es war nicht darauf vorbereitet, neben den 250000 deutschen Besatzungssoldaten plötzlich auch noch weitere 245 000 deutsche Zivilisten aufzunehmen, die seit 11. Februar 1945 vor der Sowjetarmee über die Ostsee nach Dänemark geflüchtet waren. Zur Unterbringung der Flüchtlinge beschlagnahmte die deutsche Besatzungsmacht kurzerhand 1100 Gebäude, darunter zahlreiche Schulen, und baute Militärunterkünfte zu Barackenstädten aus.

Nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 5. Mai 1945 überließ Dänemark die ärztliche Betreuung der deutschen Flüchtlinge wie bisher in Lazaretten den deutschen Wehrmachtsärzten und zivilen Ärzten, die sich unter den Flüchtlingen befanden – nun unter dänischer Aufsicht. Es kann also keine Rede davon sein, dass Flüchtlinge nicht ärztlich betreut wurden. So war zum Beispiel meine Mutter von Juni bis August 1945 in stationärer Behandlung wegen Typhus und ich als Dreijähriger 1947 sechs Wochen im Lazarett wegen Rachendiphterie und Rachitis. Anderen Familien blieb es nicht erspart, dass die Mütter starben, womit die Kinder oft zu Vollwaisen wurden. Dänische Krankenhäuser nahmen Deutsche nur in schweren Fällen oder bei Ansteck-ungsgefahr auf. Weitergehende ärztliche Hilfen knüpfte die dänische Seite an die Bedingung, dass Tausende von dänischen Polizeibeamten aus KZs in Deutschland freigelassen werden, die die Gestapo am 19. September 1944 unter dem Vorwurf der Zusammenarbeit mit dem dänischen Widerstand festgenommen und wie die dänischen Kommunisten in KZs deportiert hatte. Zuvor war auch das dänische Heer interniert und aufgelöst worden. Täglich gab es Hinrichtungen dänischer Widerständler. Das dänische Volk war somit sehr verbittert über das – wie man sagte – ,deutsche Herrenvolk‘. Beim weitaus größten Teil der Bevölkerung bestand der Wunsch, die Deutschen für ihre Verbrechen büßen zu lassen und sie streng zu behandeln.

Daher isolierten die Dänen die Flüchtlinge im Laufe des Jahres 1945 in Internierungslagern hinter Stacheldraht. Viele Dänen aber ließen sichtlich Gnade vor Recht ergehen und kümmerten sich persönlich um die deutschen Flüchtlinge. Entsprechende Anerkennung brachten später viele Flüchtlinge zum Ausdruck. Verwandte von mir hatten sogar freundschaftlichen Kontakt zu dem dänischen Lagerkommandanten, und ich habe diesen in den 60er Jahren in Dänemark besucht.

1945 starben in Dänemark 13500 deutsche Flüchtlinge. Der schwäbische Arzt Dr. Helmut Wagner, der mit 15 Kollegen in Oksbøl, dem größten Lager, Dienst tat, berichtete schon 1982 in seinen Lebenserinnerungen, auch die beste Pflege im Kinderlazarett habe nichts gegen das ,große Kindersterben‘ ausrichten können, das ,aus Mangel an Milch und Nährmitteln‘ innerhalb weniger Monate ,fast alle Säuglinge hinwegraffte‘. Frisches Obst und Gemüse fehlten völlig. Der Zeitzeuge Horst Suckau berichtete, die Wehrmacht sei anfangs gar nicht darauf eingestellt gewesen, Frauen und Kinder zu verpflegen und Säuglinge und Kleinkinder zu versorgen. Die überwiegend ostpreußischen Flüchtlinge erreichten Dänemark nach dem Strapazen einer meist überstürzten und wochenlangen Flucht im Kriegschaos unter Kälte, Hunger und Krankheiten in einem elenden Zustand.

Auf den überfüllten Schiffen herrschten katastrophale hygienische Verhältnisse. Viele Flüchtlinge starben schon auf dem Schiff oder nach der Ankunft in Dänemark. Allein in drei Tagen vom 30. März bis 1. April 1945 kamen zehn Schiffe mit 24 300 Flüchtlingen und 9300 verwundeten Soldaten im Freihafen von Kopenhagen an, wodurch die dänische Hauptstadt zu einem großen Lazarett und der Freihafen in ein Leichenhaus verwandelt wurden. Die Säuglingssterblichkeit lag bei nahezu 100 Prozent.

Noch während der Zeit der deutschen Besatzung starben von Februar bis Mai 6580 deutsche Flüchtlinge. Vom 6. Mai bis 30. Juni starben weitere 4362 Flüchtlinge, darunter 2408 Kinder. Auch für die meisten von ihnen waren allein die deutschen Ärzte verantwortlich, da nach der deutschen Kapitulation die Dänen die Aufsicht erst nach einer Übergangsphase ab Juni 1945 übernommen haben. Somit sind unter der alleinigen Verantwortung der deutschen Ärzte von Februar bis Ende Mai 1945 etwa 5200 Kinder gestorben, im ganzen Jahr 1945 waren es 7746.

Das große Sterben war im Sommer 1945 abgeebbt und ab 1946 die Sterblichkeit aller deutschen Flüchtlinge stark gesunken. Somit kann man nicht die dänischen Ärzte für das große Kindersterben im ersten Halbjahr 1945 verantwortlich machen.

Die Vorgänge in Dänemark 1945 und danach müssen unter Beachtung der Tatsachen und vor dem Hintergrund der historischen Situation unvoreingenommen beurteilt werden.“      (PAZ)

 

Aus dem Antwortbrief von Peder Søndergaard

Sehr geehrte Frau Geede,

ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mich in Verbindung mit mehreren früheren Flüchtlingen, die sich in den Jahren 1945 bis 1949 in Dänemark aufgehalten haben, gebracht haben. Ich habe viel nützliches Wissen bekommen, das ich in meiner Arbeit verwenden kann, aber wie hat es mir Leid getan, als ich entdeckte, dass viele Flüchtlinge noch heute mit unverarbeiteten Erlebnissen von der Flucht aus der Heimat über See und aus dem Aufenthalt in Dänemark sitzen.

Viele Flüchtlinge haben dadurch das Leben für sich schwierig gemacht, sowohl das Familienleben als auch das Arbeitsleben.

Ich habe verstanden, dass man in vielen Familien über die Flucht und die Zeit in Dänemark gesprochen hat und dadurch Erlebnisse verarbeitet, aber immer noch sitzen einige zurück mit schweren Gedanken, deshalb regte ich mich auf, als ich die Überschrift „Kindergräber im Dünensand“ las, die meiner Meinung nach frühere Flüchtlinge, die mit unverarbeiteten Erlebnissen noch sitzen, in ihren Träumen festhalten könnte. Ich habe verstanden, dass Ihre Arbeit nicht darin besteht, die früheren Flüchtlinge in der Vergangenheit festzuhalten, sondern dass Sie diesen Menschen helfen möchten, damit sie eine bessere Lebensqualität bekommen können.

Es gibt viele Gründe für die Handlungsweise der dänischen Behörden im Jahr 1945. Gründe, die meiner Meinung nach ganz logisch sind, aber die kennen die früheren Flüchtlinge nicht. Es können Gründe sein, mit denen die früheren Flüchtlinge nicht einig sind, die aber doch ein Verständnis geben können.

Ich muss betonen, dass all meine Arbeit nicht mit Schuld / Nicht-Schuld zu tun hat, sondern ausschließlich ein Suchen nach der Wahrheit ist, besonders was die ärztliche Hilfe für die Deutschen betrifft, wie unangenehm die Wahrheit auch sein möge.

Peder Søndergaard, Padborg


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