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25.07.09 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-09 vom 25. Juli 2009

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,

liebe Familienfreunde,

heute kann ich mit einem Schmuckstück aufwarten, und das in jeder Beziehung. Nicht nur, dass es sich um eine wunderschöne Kette handelt, sondern auch die Geschichte, die sich um diese rankt, ist etwas ganz Besonderes. Ungewöhnlich selbst in unserer Ostpreußischen Familie, die doch in jeder Folge soviel Erlebnisreiches bietet wie kaum eine andere Leserkolumne. Schon die wenigen Zeilen, die Frau Gisela Roth-Ewert zu dem übersandten Foto schrieb, hatten mich sehr berührt. Und diese Empfindungen verstärkten sich in dem langen Telefongespräch, das ich mit der aus Wartenburg stammenden Ostpreußin führte. Es bewirkte eine genaue Aufzeichnung der Geschehnisse, die sich um diese Kette ereigneten, um ungelöste Fragen, die die Trägerin sich bisher nur selber gestellt hatte und die sie schließlich bewogen, an uns zu schreiben. Weil vielleicht, vielleicht jemand aus unserer Leserschaft eine Antwort weiß. Sagt nicht, es handelte sich „nur“ um eine Kette. Deren materieller Wert ist kaum zu bestimmen, er ist jedenfalls gering gegenüber dem, was sie bewirkte, bis heute. „Es ist sehr lange her, aber plötzlich gibt die Kette keine Ruhe“, schreibt Frau Roth-Ewert

Ja, es sind 69 Jahre vergangen, aber wer die Flucht zu Beginn des Jahres 1945 erlebt hat, weiß, dass man eine andere Messlatte anlegen muss, will man sich an jene Tage erinnern. Sie sind auf einmal wieder so nah, als sei alles gestern gewesen, selbst Nebensächlichkeiten gewinnen Form und Farbe. So der weiße Kachelofen in der alten Kate, in der die aus Wartenburg Geflohenen bei eisigem Schneetreiben Unterkunft fanden: die damals sechs Jahre alte Gisela mit ihrer Mutter und der kleinen Schwester. Das Kind fror erbärmlich, sie hatten ihre Sachen in einem Sanka gehabt, der auf einer Waldlichtung stand. Die Soldaten hatten den Wagen verlassen und schrien den Flüchtlingen zu, dies auch zu tun. Kurze Zeit später ging er in die Luft, mit ihm das Flüchtlingsgepäck, Mutters warme Jacke und die Schuhe, die Gisela ausgezogen hatte. Wollte der junge Soldat, der mit einigen Kameraden auf der Bank am kalten Ofen saß, das Kind trösten oder war es die Aussichtslosigkeit seiner Lage hier im Heiligenbeiler Kessel? Er nestelte an seiner klammen Uniform und zog eine Kette hervor und legte sie der kleinen Gisela um den Hals. Sie hat seine Worte nie vergessen: „Wir werden hier nicht mehr lebend herauskommen, aber vielleicht schafft ihr es. Die Kette hat mir meine Mutter geschenkt, als ich in den Krieg ziehen musste.“

Weder sie noch die Mutter haben damals nach seinem Namen gefragt. Die Flucht ging weiter in diesen letzten Februartagen, über das Frische Haff nach Kahlberg, weiter nach Narmeln und über Neutief nach Pillau. Von dort mit einem Schiff nach Danzig, später mit einem Marinefahrzeug über See, „ein Himmelfahrtskommando“, wie Giselas Mutter sagte, aber da war das Kind ganz beruhigt: „Himmel“ war gut, da wohnte ja der liebe Gott. Lagerleben in Dänemark und dann endlich wieder deutscher Boden unter den Füßen. Sie hatten es geschafft! Die Kette war immer dabei – ja, die Kette. Oft getragen, gut verwahrt, nun hervorgeholt. „Ich weiß nicht, warum!“ O doch. Weil tief im Verborgenen die Frage blieb: „Konnte er sich retten, der junge Soldat, dem seine Mutter die Kette gab, die ihn schützen sollte?“

Vielleicht geschieht ein Wunder, und jemand erkennt die Kette und weiß, aus welchem Familienbesitz sie stammt. Es könnte auch sein, dass ein ehemaliger Kamerad sie bei dem jungen Soldaten gesehen hat. Die Kette ist zweifellos ein Unikat, Sorgfältig ausgearbeitet sind die drei mit glänzenden Steinen besetzten Blätter und die filigran überzogenen schwarzen Kugeln. Sie könnte in den 20er Jahren angefertigt worden sein, vielleicht als Hochzeitsgeschenk. Für die Mutter des jungen Soldaten dürfte sie Symbolcharakter gehabt haben, denn sie sollte ihrem Sohn als Schutz dienen, also eine Art Talisman. Über den Geber weiß Frau Roth-Ewert nichts, kann auch nicht sein Äußeres beschreiben, wegen der Kälte war er dick vermummt. Wo die alte Bauernkate lag, die aus einer großen Stube mit einem Bett und Kachelofen bestand, ist nicht zu lokalisieren. Es muss eine bewaldete Gegend südlich von Heiligenbeil in der Nähe der Bahnstrecke gewesen sein. Der Fluchtweg führte dann über Lissuhnen zum Frischen Haff. (Gisela Rothe-Ewert, Taubenberg 85 in 65510 Idstein, Telefon 06126/3196.)

Auch ein anderes Schmuckstück gibt Rätsel auf. Frau Leonie Schroeder aus Bremen entdeckte es bei einer Ostpreußin aus ihrem „Arbeitskreis Ostpreußisch Platt“. Es war so auffällig, dass sie sofort nachfragte und dabei erfuhr, dass es sich um ein sehr altes Schmuck­stück aus Königberg handelt. Es ist eine große Silberbrosche mit einer Art Relief, das zwei tanzende Paare mit einem spielenden Musikanten zeigt, einen „Totentanz im Blutgericht“. Die Trägerin der Brosche konnte keine Erklärung zu dem Motiv abgeben, und deshalb wandte sich Frau Schröder an mich mit der Frage, ob ich etwas von diesem Totentanz wüsste, ob er auf eine alte Sage zurückginge oder ob es sich um einen mittelalterlichen Brauch handeln könnte. Nun gibt nicht nur der Name „Blutgericht“, sondern auch die Geschichte des Königsberger Schlosses, in dem sich das berühmte Weinlokal befand, allerhand Unheimliches her. Nachweislich gab es bereits 1498 im Kellergeschoss des ältesten Schlossflügels Folterkammern und Kerker, über ihnen tagte im späten Mittelalter das Hof- oder Halsgericht, in dem viele Delinquenten zum Tode verurteilt wurden. Aber wahrscheinlich werden diese nicht getanzt haben, ehe sie gehängt oder geköpft wurden. Mittelalterliche Tänze wie der Schwertertanz oder der Beiltanz der Zimmerleute waren fröhlicher Natur und dienten der Belustigung der Zuschauer. Den Namen „Blutgericht“ bekamen die Räume im Kellergewölbe, als sie Ende des 18. Jahrhunderts als Weinlager benutzt wurden und trinkfreudige Königsberger in den Weinstuben einen guten Tropfen genießen konnten, vor allem einen köstlichen Rotspon, der das „Blutgericht“ berühmt machte. In dem nicht nur die Weine, sondern auch die makabre Vergangenheit sorgsam gepflegt wurde in der historischen Gestaltung und Bezeichnung der Räume. Wenn man den „Martergang“ mit seinen grinsenden Steinfratzen heil passiert hatte und in der Marterkammer mit den riesigen geschnitzten Holzfässern gelandet war, wo die „12 Blutrichter“ tagten, konnte nur besagter Rotwein, vor allem die Nummer 12, das Gleichgewicht wieder herstellen. Das aber letztendlich dann doch verloren ging, wenn der Genießer nach ausgiebiger Weinprobe wieder auf dem Schlosshof stand. Aber das alles hat mit dem „Totentanz im Blutgericht“ auf der Brosche nichts zu tun. Es ist überhaupt fraglich, ob die Bezeichnung auf einen historischen Brauch zurück geht, vielleicht hatte der unbekannte Künstler, der dieses Schmuck­stück schuf, sie aus irgendwelchen Gründen gewählt. Ich gebe aber gerne die Frage weiter, denn diese außergewöhnliche Kostbarkeit verlangt auch eine ebensolche Beachtung. (Leonie Schroeder, Wätjenstraße 116 in 28213 Bremen, Telefon 0421/216933.)

Schmuck und Tradition verbanden sich auch in meinem Erinnerungsbericht über den „Albertus“, der dazu geführt hat, dass viele Leserinnen und Leser auf diesen sichtbaren Glückwunsch zum bestandenen Abitur prompt reagierten und die Nadel bestellten. So wird manche Abiturientin, mancher Abiturient als Nachfahre einer ostpreußischen Familie den „blanken Albrecht“ tragen und Neugier erwecken. Meine Sippe eingeschlossen, denn mein Vetter Georg teilte mir mit, dass er sofort für seine beiden Enkel Alberten bestellt hatte. Seine leider bereits verstorbene Schwester Elisabeth aus Tilsit hatte ihren Albertus retten können, aber diese – in der Familie treu bewahrte – Nadel sei viel größer als der nun erworbene. Na ja, es gab ja auch früher große und kleine Alberten, das hing auch vom Geldbeutel und Verwandtschaftsgrad der Schenkenden ab. Wie stolz sie aber getragen wurden, beweist ein Foto, das uns Frau Ilse Pruß aus Ulm übersandte. Es zeigt den 1912 geborenen Lycker Paul Pruß im Schmuck seiner Alberten, auf jedem Revers an die 20 große Nadeln. Vielen Dank, liebe Frau Pruß, auch für Ihre netten Worte über unsere Zeitung: „Ich wünsche Ihnen immer viele Abonnenten, damit der Gedanke an die verlorenen Gebiete nicht einschläft!“

Wir haben schon heute etwas ungewöhnliche Fragen – aber was ist denn überhaupt in Bezug auf unsere Ostpreußische Familie „gewöhnlich“? So betrachte ich auch die Kernfragen aus dem Schreiben von Frau Gudrun Schlüter nicht als aus dem Rahmen fallend oder sogar diesen sprengend, wie sie meint, denn es geht ja um Familienforschung, eines unserer Hauptgebiete, und damit immer um ein Stück ostpreußische Geschichte. Und so will ich gerne auf die Fragen von Frau Schlüter eingehen, mich zuvor aber bedanken für ihre netten einleitenden Worte. Sie schreibt: „Ist es uns auch verwehrt, im Lande unserer Vorfahren ihren Spuren nachzugehen, so bleiben uns doch Karten und Bücher und – die segensvolle Möglichkeit der Ostpreußischen Familie. Dank sei Ihnen dafür!“ Und so hoffen wir, dass diese Möglichkeit auch in dem von Frau Schlüter vorgetragenen Fragenkomplex voll ausgeschöpft werden kann. Ich lasse sie am besten selber vortragen. Frau Schlüter schreibt:

„Ich bin eine Nachfahrin derer von Langheim auf Ad. Borken – wie auch der von Borris auf Ad. Guhsen. Auf der Suche nach den erstgenannten Vorfahren nach Vervollständigung des Familienstammbaumes bin ich in historischen Fachbüchern, vor allem aber in den „Mitteilungen der literarischen Gesellschaft Masovia“ fündig geworden. Die einschlägige italienische Monographie – erschienen in Venedig 1940 – mit weit verzweigtem Stammbaum suche ich bisher vergeblich. Sie wurde von Attilio Valente verfasst und trägt den Titel: Veccia nobilta Prussiana I. Langheim. Sie befindet sich in einem Exemplar in der Italienischen Nationalbibliothek in Florenz, wurde jedoch seinerzeit vom Arno-Hochwasser schwer beschädigt, vor allem der Stammbaum. Eindeutig identifizierbar ist darauf mein Urururururgroßvater mit seiner Frau und deren Lebensdaten. Die Abstammung ist somit erwiesen.

An die Ostpreußische Familie richte ich nun folgende Fragen:

Besitzt jemand diese Monographie? Kennt jemand andere Spezialliteratur? Kennt jemand die Geschichte des Familienwappens mit dem goldenen Greif auf blauem Grund? Es ist das Familienwappen der Greifenherzöge Linie Rostock. Welcher Heraldiker könnte darüber Aufschluss geben? – Das älteste sichere Datum ist für mich vorläufig eine Urkunde aus dem Jahr 1484, die einen Gregor von Langheim, Ad. Borken als Lohn für seine Dienste im 13jährigen Krieg zuspricht. In der Literatur wird überwiegend davon ausgegangen, dass die von Langheim ein altes prussisches Geschlecht sind. Man müsste aber der Frage nachgehen, ob Angehörige der Familie im Gefolge Otto des Heiligen, der Pommern missionierte, aus Langheim – der Ort, der dem Kloster den Namen gab – an die Ostseeküste und somit nach Rostock gekommen sind. Daraus würde sich Name und Wappen erklären.“

Soweit Frau Gudrun Schlüter zu ihren bisherigen Recherchen. Sie kann auf interessante Antworten hoffen. (Gudrun Schlüter, Achtermannstraße 20 in 48143 Münster, Telefon 0251/511795.)

Die vielen Jahrgänge Insterburger Heimatbriefe, die zu vergeben waren, haben eine neue Besitzerin in einer unserer treuesten Leserinnen gefunden, die mich ganz glück­lich anrief, denn es hat von der Spenderin noch etwas Wundervolles „margrietsch“ gegeben: einen gut erhaltenen, weil sorglich gehüteten Krug aus der Töpferei Lasdehnen. Dazu kann man die Empfängerin wirklich nur be­glück­wünschen! Was ich auch getan habe.

Eure Ruth Geede

Foto: Wer kennt diese Kette und weiß aus welchem Familienbesitz sie stammt? Sachdienliche Hinweise bitte an Gisela Rothe-Ewert, Taubenberg 85 in 65510 Idstein, Telefon (06126) 3196


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