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01.08.09 / Gefährliche Altlasten / Stillgelegte Braunkohletagebaue bedürfen steter Überwachung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-09 vom 01. August 2009

Gefährliche Altlasten
Stillgelegte Braunkohletagebaue bedürfen steter Überwachung

Nach dem Unglück von Nachterstedt fragen sich viele Menschen: Wie konnte das geschehen? Und kann so etwas auch in anderen deutschen Braunkohle-Abbau­gebieten passieren?

Das Unglück kam plötzlich, aber nicht unerwartet. Schon lange bevor die Böschung des Concordiasees in Sachsen-Anhalt 100 Meter tief abrutschte, zwei Häuser in die Tiefe und drei Menschen in den Tod riss, hatten Fachleute auf gefährliche Sicherheitsdefizite hingewiesen. Offenbar war der Tagebau aus DDR-Zeiten Anfang der 90er Jahre zwar zügig „abgewickelt“, aber nur unzureichend abgesichert worden – mit gravierenden Belastungen für Mensch und Umwelt.

Markus Kosma, beim Stromgiganten RWE für Umweltschutz und Tagebauplanung im rheinischen Braunkohlerevier verantwortlich, erläutert die wesentlichen Unterschiede: „Die Wohnsiedlung in Nachterstedt wurde auf einem ehemaligen, verkippten Tagebaugelände errichtet. Dieses grenzt unmittelbar an den See. Außerdem gibt es im Umfeld des Sees offenbar Stollen aus alter Zeit, die nicht in den Karten stehen. Dagegen liegen die Ortschaften im Umfeld der rheinischen Tagebaue auf natürlich gewachsenem, also ursprünglichem Gelände. Einige wenige Siedlungen liegen auf verkipptem Gelände, aber in ausreichender Entfernung zu den Tagebauen und den geplanten Seen.“

Sachorientierte Kritiker wenden sich nicht grundsätzlich dagegen, Braunkohle als Energieträger zu nutzen und – wo immer geologisch möglich – im Tagebau zu fördern. Ebenso gilt es längst als selbstverständlich, dass die vom Tagebau zerstörte Landschaft rekultiviert und wieder für den Menschen nutzbar gemacht werden muss.

Hier hat die vor 111 Jahren als „Fortuna AG“ gegründete „Rheinbraun“, die inzwischen im RWE-Konzern aufgegangen ist, über Jahrzehnte beispielhafte Vorarbeit geleistet. So verfügt der Großraum Köln/Bonn heute mit dem Naturpark Kottenforst-Ville (neuerdings umbenannt in Naturpark Rheinland) zwischen Rhein und Erft über ein tausend Quadratkilometer großes Naherholungsgebiet mit rund 40 Seen.

Neben dem im 18. Jahrhundert von Kurfürst Clemens August angelegten Kottenforst wurde hier vor allem rekultivierter Braunkohle-Tagebau integriert.

Auch hier, nahe Erftstadt-Kierdorf, gibt es ein Tagebaurestgewässer namens Concordiasee. Aber anders als an dem namensgleichen Unglücksgewässer bei Nachterstedt blieben hier die Uferböschungen frei von Wohnbebauung, stehen unter Naturschutz und sind optimal gesichert.

Dazu nutzt Rheinbraun/RWE modernste Technik. In die Böschung wurden GPS-gestützte Messsonden integriert, die rund um die Uhr Satellitensignale empfangen und an eine Steuerzentrale weiterleiten. Neben diesem System, das die Satellitennavigation nutzt (genannt GOCA), arbeitet permanent ein vollautomatischer Vermessungscomputer, der Bodenbewegungen im Millimeterbereich registriert und Auffälligkeiten sofort meldet.

Und für den höchst unwahrscheinlichen Fall, dass diese beiden voneinander unabhängigen Sicherungsketten gleichzeitig versagen sollten, vermessen die Ingenieure regelmäßig vor Ort die Böschungen; ihnen entgehen nicht einmal Abweichungen im Submillimeterbereich. Zudem unterstehen die Vermessungsspezialisten nicht dem Unternehmen, sondern der staatlichen Bergbehörde.

Anfang dieser Woche haben die Bundesländer Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Brandenburg sich endlich dazu aufgerafft, ihre DDR-Altlasten in Form ehemaliger Braunkohle-Tagebauen einer strengen Sicherheitsüberprüfung durch ihre Bergbehörden zu unterziehen – zu spät für die Opfer von Nachterstedt.

Hans-Jürgen Mahlitz

Foto: Ein Schaufelradbagger im Braunkohletagebau bei Borna: Die zerfurchte Landschaft bedarf später der Renaturierung.

 

Zeitzeugen

Konrad Adenauer – Der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland (1876−1967) war auch als Kommunalpolitiker erfolgreich. Als langjähriger Kölner Oberbürgermeister (1917−1933 und nochmals 1945 für einige Monate) hatte er früher als andere die Möglichkeiten der Gestaltung einer Kulturlandschaft erkannt. Sein auch heute noch von den fast eine Million Einwohnern der Domstadt gern genutztes „Vermächtnis“ ist der sogenannte Grüngürtel, zu dem er nach dem Ersten Weltkrieg den alten preußischen Festungsring umgestalten ließ – gegen erbitterte Widerstände. In den 20er Jahren saß Adenauer auch im Aufsichtsrat der Rheinbraun AG, die damals begann, Konzepte für die Rekultivierung der Braunkohletagebauen zu entwickeln.

 

Heinrich Schliemann – Der Kaufmann und Amateur-Archäologe (1822−1890) hatte sich schon in jungen Jahren ein Vermögen erarbeitet. Er begann, Latein und Altgriechisch zu lernen, zog sich aus dem Geschäftsleben zurück, entdeckte auf den Spuren Homers Troja, Tiryns und Mykene. Seine Grabungsmethoden sind – trotz aller spektakulären Erfolge – nicht unumstritten. Kritiker behaupten, heute gingen die Archäologen und Baggerführer im Braunkohletagebau mit den riesigen Geräten sensibler um als Schliemann mit dem Spaten.

 

Adolf Dasbach – Der Bergbau-Ingenieur (1887−1961) gilt als Pionier der Rekultivierung. 1919 wurde er Bergwerksdirektor der „Gewerkschaft Hürtherberg“ im rheinischen Braunkohlenrevier. Hier begann er, nach dem Abbau der Kohle aufzuforsten, Gewässer anzulegen und so eine künstliche Kulturlandschaft zu schaffen. Was Jahrzehnte später als Naturpark Kottenforst-Ville entstand, basierte auch auf seinen Vorarbeiten.

 

Paul Silverberg – Der deutsche Industrielle (1876−1951) wurde 1903 Generaldirektor der „Fortuna AG“, aus der später die „Rheinbraun“ hervorging. Während der Weimarer Zeit war er einer der politisch einflussreichsten Unternehmer, beriet Reichskanzler Heinrich Brüning und Kölns OB Konrad Adenauer und machte sich mit seinen für die damalige Zeit höchst fortschrittlichen sozialpolitischen Vorstellungen einen Namen. 1934 zwangen ihn die Nationalsozialisten zur Emigration in die Schweiz.


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