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01.08.09 / Russki-Deutsch (28): Samowar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-09 vom 01. August 2009

Russki-Deutsch (28):
Samowar
von Wolf Oschlies

Seit Aristophanes, also seit knapp 2500 Jahren, ist „Eulen nach Athen tragen“ die Charakterisierung von Überflüssigem. Das russische Pendant ist weit jünger, aber ähnlich plastisch: „V Tulu so svoim samowarom (ne) esditj“ – (Nicht) nach Tula mit dem eigenen Samowar fahren. Woher dieser Teekocher seinen Namen bekam, ist noch umstritten – entweder vom türkischen „samavar“ oder als russische Volksetymologie aus „sam“ (selbst) und „varitj“ (kochen). Viktor Hehn, der berühmte Russlandkenner (und Russlandhasser) lästerte 1860: „Wie die Russen eine Menge Dinge haben, die von selbst gehen wie Samowar, das heißt der Selbstkocher, so läge es in ihrer Weise, eine Selbstbibliothek zu construiren.“

Im Grunde ist der Samowar ein primitiver Heißwasserboiler, den unendliches Zubehör – Tee-Extrakt, Kandis, Zucker, Gebäck, Gläser, Löffel etc. – sozusagen zum Tee-Altar aufgemotzt hat. Samoware sind wie Musikinstrumente, sie leben von, in und mit der Stimmung, die sie erzeugen. Und Tula, die klassische Waffenschmiede Russlands, 200 Kilometer südlich Moskaus, ist seit 1778 Weltzentrum der Samowar-Manufaktur. Damals geriet die städtische Schwerindustrie in die Flaute, die findige Meister wie die Brüder Iwan und Nasar Lisizyn in eine neue Konjunktur umwandelten, als sie in ihrer Kupferschmiede mit der Herstellung von unterschiedlich stilisierten Samowaren begannen. Die Idee war so profitabel, dass sich bald weitere Werkstätten auftaten, besonders berühmt die von Wasilij Lomov 1812 gegründete, die im ganzen weiten Russland Umsatz machten. Für den Stadtnamen Musterschutz zu verhängen, fiel ihnen ebenso wenig wie Tschechen und anderen ein, so dass „Tularer Samoware“ und „Pilsner Bier“ rechtsfreier Besitz der Menschheit sind.

Die Lisizyns produzierten pro Jahr 320 Samoware, Lomov 1000, denn Ausstattung, Röhrensystem und Beheizung eines Samowar waren und sind eine Wissenschaft für sich. Er ist, sagen russische Darstellungen, „ein Symbol Russlands wie Balalajka, Wodka und Kalaschnikow“. Will ich gar nicht bestreiten, obwohl „Samowar-Abende“ auch in der DDR sehr beliebt waren: Um den summenden, duftenden Samowar zu hocken, garantierte gute Stimmung und Gemeinschaft.


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