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01.08.09 / Politik der Beliebigkeit hält ihn im Amt / Trotz ständiger Skandale bleibt Silvio Berlusconi populär − Medienzar mit Meinungsmacht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-09 vom 01. August 2009

Politik der Beliebigkeit hält ihn im Amt
Trotz ständiger Skandale bleibt Silvio Berlusconi populär − Medienzar mit Meinungsmacht

Italiens Regierungschef benimmt sich so gar nicht staatsmännisch und trotzdem bewundern ihn viele seiner Landsleute. An seiner zukunftsweisenden Politik kann es nicht liegen, denn Berlusconi orientiert sich nicht an Notwendigkeiten.

Die Beweihräucherung Silvio Berlusconis nimmt zuweilen kuriose Formen an. Jetzt hat seine Hausdichterin Loriana Lana ihm ein Lied gewidmet. In „Silvio for-ever“ besingt sie den Partei- und Regierungschef als „Leader mit Charisma“, „wissenden Führer“ und „Mann der Genialität“. Doch damit nicht genug. Ein Komitee tagt seit dem Frühjahr, um den Staatsmann und Unternehmer für seine Verdienste mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen. Das alles klingt absurd angesichts der immer neuen Enthüllungen über Berlusconis Affären und die ausschweifenden Feste in seiner Ferienvilla auf Sardinien. Sogar die Staatsanwaltschaft hat sich eingeschaltet und die Kirche wirft ihm „Sittenlosigkeit“ vor. Der Ministerpräsident gibt sich gegenüber dem Wirbel um sein Privatleben gelassen und erklärt, er sei schließlich kein Heiliger.

Der Wählergunst tut dieses Geständnis ebenso wenig Abbruch wie die zahlreichen Korruptionsvorwürfe, die Verquickung von Macht und Medien und die bisher magere Erfolgsbilanz der Regierung. Berlusconis rechtskonservative Partei „Volk der Freiheit“ genießt in der Bevölkerung trotz leicht sinkender Tendenz eine Zustimmung zwischen 35 und 45 Prozent. Die europäischen Nachbarn schütteln ungläubig den Kopf darüber, wie der skandalumwobene Premier schon dreimal das Zepter in die Hand nehmen konnte. Das Phänomen des „Berlusconismus“ hat mindestens fünf gute Gründe.

Berlusconis kometenhafter Aufstieg fußt maßgeblich auf dem politischen Umbruch zu Beginn der 1990er Jahre. Nachdem die christdemokratische DC jahrzehntelang die Staatsgeschäfte im Nachkriegsitalien bestimmt hatte, ging die Partei 1993 im Strudel diverser Schmiergeldskandale unter. Große Teile der politischen Klasse mussten sich gerichtlich verantworten und verschwanden. In dieses Vakuum stieß Berlusconi mit seiner rechtsliberalen Partei „Forza Italia“, der viele konservative Wähler aus Angst vor einer „kommunistischen Gefahr“ zuliefen. Zusammen mit den geläuterten Neofaschisten und der sezessionistischen Lega Nord gewann der ehemalige Bauunternehmer die Parlamentswahlen von 1994. Giuliano Ferrara, Chefredakteur der römischen Tageszeitung „Il Foglio“, erklärt den Wandel wie folgt: „Berlusconi hat am Anfang großes Theater voller Überraschungen geboten. Verfassungsreformen und die wirtschaftliche Liberalisierung Italiens. Dank ihm gibt es keine Staatspartei wie die DC mehr, es ist ein Wechsel zwischen zwei großen politischen Blöcken möglich.“

Seine Erfolgsgeschichte vom Staubsauger-Vertreter zum Multimillionär, der heute drei nationale TV-Sender, ein Verlagsimperium und den Fußballclub AC Mailand besitzt, imponiert den meisten Italienern. Der Selfmademan begreift Politik als Fortsetzung des Unternehmertums. Er gilt als Mann der einfachen Worte und der Tat, der die alte politische Klasse in die Schranken weist. Dabei scheint es wenige zu stören, wenn sie am Reichtum ihres Regierungschefs keinen Anteil haben.

Das nächste Erfolgsrezept Berlusconis ist die „absolute Beliebigkeit seines politischen Programms, das sich in erster Linie an den Wünschen und Bedürfnissen der Wähler, nicht so sehr an politischen Notwendigkeiten orientiert“, glaubt Michael Braun von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Mit der Betonung der freien Marktwirtschaft, der Forderung nach der Privatisierung staatlicher Betriebe und Banken sowie der Vereinfachung des Steuersystems punktet der Geschäftsmann vor allem bei Unternehmern, Händlern und Handwerkern. Auch die Interessen der Arbeitslosen, Rentner und Hausfrauen bedient er mit Versprechungen neuer Arbeitsplätze und einer Mindestrente. Junge Leute schätzen sein Engagement für Leistungsträger ihrer Generation und übersehen geflissentlich die Milliardenkürzungen im Bildungswesen. Statt langfristiger Reformen bevorzugt Berlusconi seine Inszenierung als Krisenmanager, der sich persönlich den Müllbergen Neapels, der ausufernden Kriminalität, Immigration und den Erdbeben-Opfern in Aquila annimmt.

Der Medienzar kontrolliert direkt oder indirekt 70 Prozent des heimischen Presse- und Fernsehmarkts. Die ihm gesonnenen Medien spielen seine privaten Exzesse und Machenschaften von Bilanzfälschung über Steuerhinterziehung bis hin zu Mafiakontakten herunter oder verschweigen sie ganz. Die telegene Allgegenwart des Premiers behindert eine politisch objektive Information der Bürger. Erst kürzlich rief er Industrielle dazu auf, keine Anzeigen in regierungskritischen Zeitungen zu schalten. Mit einem Gesetz, das die Veröffentlichung polizeilicher Abhörprotokolle verbietet, will der Ministerpräsident den Medien zusätzlich einen Maulkorb verpassen.

Nach dem Motto „Ein Politiker ist immer nur so stark, wie der Gegner es zulässt“ bietet die notorisch zerstrittene demokratische Linke keine akzeptable Alternative zur derzeitigen Regierung. Daher setzen wahrscheinlich viele Italiener auch beim nächsten Mal ihr Kreuz für Berlusconi frei nach der Devise „Wen sollen wir denn sonst wählen?“.   Sophia E. Gerber

Foto: Alternder Gigolo: Die Mehrheit der Italiener nimmt Berlusconi seine Amouren nicht krumm.


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