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01.08.09 / Den Intrigen anheimgefallen / Ehemaliger Mitarbeiter von Manfred Wörner über die »Kießling-Affäre«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-09 vom 01. August 2009

Den Intrigen anheimgefallen
Ehemaliger Mitarbeiter von Manfred Wörner über die »Kießling-Affäre«

Anfang des Jahres 1984 beherrschte die sogenannte „Kießling-Affäre“ die bundesdeutsche Medienlandschaft, wodurch die Bundeswehr wochenlang negative Schlagzeilen erhielt. Es ging seinerzeit um Vorwürfe gegen Verteidigungsminister Dr. Manfred Wörner (CDU), dieser habe den Vier-Sterne-General Günther Kießling auf Grund von mysteriösen Anschuldigungen wegen dessen angeblicher Homosexualität im Dezember 1983 zu Unrecht vorzeitig in den Ruhestand entlassen. Tatsächlich konnten die Verdächtigungen gegenüber General Kießling, der den Posten des Stellvertreters des Oberbefehlshabers der Nato in Europa, General Rogers, besetzte, entkräftet werden. Bundeskanzler Helmut Kohl sprach endlich am 30. Januar 1984 ein Machtwort und beendete die Angelegenheit, indem er Kießling wieder in sein Amt einsetzte und sich vor seinen Minister stellte. Einer von Manfred Wörners engsten Mitarbeitern in jener Zeit, Generalmajor a.D. Jürgen Reichardt, hat nun ein Buch mit dem Titel „Hardthöhe Bonn – Im Strudel einer Affäre“ vorgelegt, in dem er minutiös auf die Vorgänge eingeht, die Wörner beinahe sein Amt gekostet hätten.

Reichardt, Jahrgang 1938, hat als Pressesprecher des Verteidigungsministeriums die Ereignisse aus nächster Nähe miterlebt. Ausdrücklich hatte Wörner ihn Anfang der 90er Jahre dazu ermutigt, alle diesbezüglichen Vorkommnisse zusammenzufassen und ans Licht zu bringen. Der Autor hat dabei nicht versäumt, zwischen den Zeilen um Verständnis für das Handeln seines damaligen Vorgesetzten zu werben. Unausgesprochen klingt seine Auffassung durch, dass der ambitionierte Verteidigungsminister als Oberbefehlshaber der Streitkräfte in Friedenszeiten kaum habe anders handeln können: Homosexualität hochrangiger Militärs galt als Sicherheitsrisiko wegen möglicher Erpressbarkeit.

Doch wie hatte es überhaupt dazu kommen können? Bereits im September 1983 hatte Wörner mit dem General gesprochen, doch dabei „gelang es diesem ganz offensichtlich nicht, den Minister zu überzeugen, dass er zu Unrecht verdächtigt wurde“. Die weiteren Ermittlungen der Polizei im Kölner Rotlichtmilieu ergaben die Unschuld Kießlings: Man war in eine Falle gelaufen. Vor allem aus diesem Grund entstand für den Militärischen Abwehrdienst (MAD) und die Bundeswehr ein enormer Schaden. Die Quelle der Intrigen konnte nicht ermittelt werden, doch es keimte der Verdacht auf, dass gezielt versucht worden war, der Bundesrepublik Deutschland schweren Schaden zuzufügen. Die Affäre wurde angezettelt vor dem Hintergrund der innerdeutschen Zerstrittenheit nach dem „Nachrüstungsbeschluss“ der Nato, der die Aufstellung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik regelte.

Wörner hatte nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Nato und Warschauer Pakt um den Doppelbeschluss von 1979 für dessen Umsetzung plädiert und die Raketen 1983 in Deutschland aufstellen lassen. Weiterhin setzte er sich für eine bessere Bewaffnung der Bundeswehr ein und warb für eine Beteiligung Deutschlands an Präsident Reagans Plänen, mit der die Amerikaner einen Schutzschild im Weltraum gegen die atomare Bedrohung durch Sowjet-Raketen aufbauen wollten. Dieses Engagement brachte ihm den Ruf eines Kalten Kriegers ein.

Auf die Intrigen und gehässigen Anschuldigungen aus dem linken Lager, aber auch aus der Mitte der Gesellschaft − wobei die atomare Bedrohung durch die Sowjetunion oft heruntergespielt wurde − geht der Autor immer wieder ein. Nunmehr ohne Scheu, lässt er Namen fallen, teilt Lob und Tadel aus. Ob auch bei der „Affäre Kießling“ die Geheimdienste der DDR ihre Hand im Spiel hatten, gilt heute als sehr wahrscheinlich. So hatte der 1988 verstorbene und 1990 als Stasi-Spitzel enttarnte Oberst Joachim Krase damals den Panzerschrank mit sämtlichen Akten über den Fall kontrolliert.

1988 trat Manfred Wörner das Amt des Nato-Generalsekretärs an. Endlich habe er, so Reichardt, in der „Rolle seines Lebens“ national wie international die verdiente Anerkennung seiner Leistungen gefunden. 1994 starb Manfred Wörner mit 59 Jahren nach langer schwerer Krankheit. D. Jestrzemski

Jürgen Reichardt: „Hardthöhe Bonn – Im Strudel einer Affäre“, Osning Verlag 2008, gebunden, 184 Seiten, 19,60 Euro


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