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08.08.09 / Agieren, nicht erst reagieren / Taliban kehren nach dem ersten erfolgreichen Angriff der Bundeswehr bereits wieder zurück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-09 vom 8. August 2009

Agieren, nicht erst reagieren
Taliban kehren nach dem ersten erfolgreichen Angriff der Bundeswehr bereits wieder zurück

Ein Abzug der internationalen Schutztruppe ist nicht geplant, wie der neue Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bekräftigte. Doch die festgefahrene Lage müsse sich ändern.

Jeden Morgen halten die Offiziere des Führungsstabs im Feldlager Kundus eine „Lage“ ab. Was ist passiert in der Nacht? Was steht für den Tag an? Welche neuen Informationen gibt es über die Gefährdungslage? Für wenige Tage war es vergleichsweise ruhig im Einsatzgebiet, nachdem die Bundeswehr im Juli mit 300 Mann zusammen mit 800 afghanischen Soldaten und 100 Polizisten die Operation Oqab (Adler) gestartet hatte. Ziel war es, die Lage in der seit April stetig instabiler gewordenen Provinz vor den afghanischen Präsidentschaftswahlen am 20. August zu verbessern. Der Hauptangriffspunkt: die radikal-islamische Taliban-Hochburg Chahar Darreh, nur rund 15 Kilometer südwestlich vom deutschen Lager in Kundus. Nach zehn Tagen erklärte der Chef des 209. Korps der afghanischen Armee, General Murad Ali Murad, der Einsatz sei erfolgreich gewesen − doch die Freude währte nur kurz. Denn kaum war Chahar Darreh unter Kontrolle, zogen Bundeswehr und die afghanischen Streitkräfte auch schon wieder ab.

Wie zum Hohn prahlte schon am folgenden Tag der Taliban-Kommandeur Mullah Shamslullah: „Wir sind zurück!“ Auf Motorrädern und Pickups seien sie wieder in ihr Kerngebiet südwestlich des deutschen Feldlagers gefahren. Unter ihnen Usbeken und vor allem Paschtunen aus dem Süden. Geld und Kämpfer seien angeblich von der Führung der afghanischen Taliban im pakistanischen Quetta in den Norden geschickt worden.

Auch Abdul Wahed Omar Khel, Chef des Distrikts Chahar Darreh, berichtete, die Taliban hätten wieder die Kontrolle über den südlichen Bereich der Unruhegegend übernommen: „Sie stellten sich mit Waffen umgeschnallt auf die Marktplätze der Dörfer und waren fröhlich wie nach einem Sieg.“

Die schnelle Rückkehr der Taliban war programmiert. Viel zu groß ist das Gebiet, als dass 800 afghanische Soldaten es kontrollieren könnten. Auch die Bundeswehr ist dazu nicht in der Lage. Der Abzug der Soldaten aus der Region erinnert an einen Fehler, den auch die US-Armee immer wieder gemacht hat. Und den sie mittlerweile offen eingesteht: Die US-Soldaten verließen nach teils erfolgreichen Offensiven in Südafghanistan die Hochburgen der Taliban oft wieder zu schnell. Sie ließen die Zivilbevölkerung mit den zurückkehrenden Kämpfern allein – und das Vertrauen der Afghanen in die internationale Schutztruppe schwand. Gleiches droht nun auch im Einsatzgebiet der deutschen Soldaten.

Folgerichtig verlangte der Chef der internationalen Schutztruppe in Afghanistan, Stanley McChrystal, von der Bundeswehr mehr Einsätze gegen die Taliban. Er sei besorgt über die Lage im Raum Kundus, sagte der Isaf-General. Das Einsatzgebiet der Bundeswehr in Nordafghanistan habe mittlerweile die „volle Aufmerksamkeit“ der internationalen Truppe. Die Taliban wollten im Norden eine Enklave aufbauen und würden dabei aus dem Süden unterstützt.

Konkret forderte McChrystal von der Bundeswehr und den afghanischen Sicherheitskräften weitere Operationen wie jene in Chahar Darreh: „Es gab sicherlich einige Erfolge bei dieser Operation“, sagte McChrystal, „aber wir dürfen nicht vergessen, dass eine einzelne Mission niemals dauerhafte Effekte erzielen wird.“ Der US-General warnte vor Laxheit beim Kampf gegen die Taliban: „Wenn wir nicht präventiv die Situation bestimmen, werden wir von der Lage überrollt.“

Ähnliches äußerte auch der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, der der Bundeswehr vorwarf, dass sie auf Angriffe der Taliban nur reagiere und sich „vom Gegner den Zeitpunkt, den Ort und den Einsatz der Waffen diktieren“ lasse. Das widerspreche allen Führungsgrundsätzen und sei mit Sicherheit kein Rezept, das zum Erfolg führe, so Kujat.

Unterdessen hat sich der neue Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen für Verhandlungen mit gemäßigten Taliban-Vertretern in Afghanistan ausgesprochen. Es gebe am Hindukusch „Gruppen, mit denen man reden kann, um auf eine Art Aussöhnung mit der afghanischen Gemeinschaft hinzuarbeiten“, sagte Rasmussen, der einen schnellen Abzug der Isaf ablehnt. Das Ziel des Einsatzes sei erst dann erreicht, wenn die afghanischen Sicherheitskräfte allein für die Sicherheit sorgen könnten. Rasmussen hat eine zwölfköpfige Expertengruppe eingesetzt, die ein Konzept entwerfen soll.

Der Chef der UN-Unterstützungsmission in Afghanistan (UNAMA), Kai Eide, sprach sich währenddessen für ein umfassendes Gesprächsangebot an die Taliban aus. Wenn es einen umfassenden Friedensprozess in Afghanistan geben solle, dann reiche es nicht aus, mit den Taliban-Kommandeuren im Feld zu reden, sagte der norwegische Diplomat in Kabul. „Wenn nur ein teilweiser Versöhnungsprozess stattfindet, wird es auch nur ein Teilergebnis geben.“

Aber welche Strategie auch immer angewendet wird, um Frieden am Hindukusch zu schaffen. Eins muss allen westlichen Entscheidungsträgern klar sein: Wer ein Feuer ausblasen will, muss kräftige Lungen haben – sonst facht man es nur weiter an.             Jörg Schmitz

Foto: Schier endlose Weiten: Es ist fast unmöglich, das riesige Gebiet um Kundus mit den vorhandenen Soldaten zu überwachen.    


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