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08.08.09 / Das neue Arznei-Kartell / Neue Verordnung zu Ersatzmedikamenten: Druck auf Ärzte und Apotheker durch die Kassen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-09 vom 8. August 2009

Das neue Arznei-Kartell
Neue Verordnung zu Ersatzmedikamenten: Druck auf Ärzte und Apotheker durch die Kassen

Patienten gesetzlicher Krankenkassen könnten jetzt mit Billig-Arzneimitteln abgespeist werden. Die Meldung machte jüngst Schlagzeilen, bedeutet sie doch nichts anderes als eine weitere Verschärfung bei der Verordnung von Ersatzmedikamenten, sogenannten Generika. Die gibt es zwar schon lange, doch wenn es nach dem Willen mancher gesetzlicher Krankenkasse geht, können nun offenbar auch Medikamente über den Apothekentisch gehen, deren Beipackzettel für den Kunden völlig unbrauchbar ist. Der benötigte und verordnete Wirkstoff ist zwar enthalten, im konkreten Fall aber für eine ganz andere Anwendung vorgesehen. Manchmal besteht nicht einmal eine Zulassung für die beabsichtigte Nutzung. „Wirkstoffgleiche Medikamente sind austauschbar“, hält beispielsweise die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) dagegen. Ihren zirka 25 Millionen Versicherten gehören viele ältere Patienten an. Die verursachen statistisch höhere Kosten. Die 15 selbständigen Ortskrankenkassen kämpfen somit auch nach Einführung des neuen Gesundheitsfonds, eigentlich als Kostenausgleich zwischen den Kassen gedacht, an vorderster Sparfront im Gesundheitswesen. „In Einzelfällen kann das zutreffen – alle Wirkstoffe müssen wie vom Arzt verordnet enthalten sein“, sagen AOK-Sprecher zu den Vorwürfen. Ziel sei es, „zu Einsparungen zu kommen, wo das Sinn macht“. Das Mittel dazu bilden Arzneimittel-Rabattverträge. Mit diesen Verträgen bestimmen gesetzliche Krankenversicherungen und Pharmaunternehmen über die exklusive Versorgung der Patienten mit bestimmten Medikamenten des jeweiligen Herstellers – oft über Jahre. Seit 2003 gibt es solche Belieferungsverträge. Die Folge: Ärzte sind nicht mehr die Herren darüber, welches Produkt genau der Patient erhält – das regelt letztlich der Apotheker. Den Ärzten ist das oft recht – weniger Streitpotenzial mit den Kassen. Denn wer als Arzt teure Medikamente beziehungsweise nur in teuren enthaltene Wirkstoffe verordnet, bekommt Druck von den Kassen. Der schwarze Spar-Peter liegt nun bei den Apothekern. Sie ordnen nämlich dem ärztlich verschriebenen Wirkstoff entsprechend Kassenverträgen das konkrete Medikament zu. Seither klagen sie trotz steigender Umsätze über immer weniger Einnahmen.

Es gehe auch um das Geld der Versicherten, so die AOK, das man in deren eigenem Interesse sorgsam verwalte. 500 Millionen Euro will allein die AOK durch die Rabattverträge einsparen.

Vorwürfe erheben unter anderem Pharmakonzerne, die bei den Rabattverträgen leer ausgingen. Auch der eine oder andere Kassenpatient dürfte bereits den jeztigen Sparkurs schon mitbekommen haben. Im Zweifelsfall erhält er nicht das teurere und vielleicht besser verträgliche Medikament, sondern das kostengünstigste. Trotzdem könnten Ärzte ausdrücklich bestimmte Medikamente verordnen, wenn das medizinisch begründet sei, sagt die AOK.

Eben da liegt das Problem, denn bei den Rabattverträgen geht es nicht nur um die Zukunft kostspieliger Präparate. Von der neuen Regelung sind unerwünschte Nebenwirkungen zu erwarten. Dass Ärzte seitens der Kassen unter Rechtfertigungsdruck geraten, wenn sie weiter Teures verordnen, kritisieren Ärzteverbände. Auch Patientenvereinigungen protestieren. Die Neuregelung sei „eine weitere Entmündigung der Patienten und Ärzte“, so der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, Arnim Candidus. Bei der AOK will man zudem nicht beziffern, wie groß das Ausmaß der Verordnungen von derzeit kritisierter „Billig-Arznei“ ist. Von der aktuellen Regelung der Rabattverträge seien 63 neue Wirkstoffe tangiert. Eine ganze Reihe von Krankheitsfeldern sei betroffen, „darunter auch die häufigsten Krankheiten“, so ein AOK-Sprecher. Auch chronisch Kranke könnte das Sparkorsett so einzwängen. Ob der Patient tatsächlich noch weiß, wie er das möglicherweise für seine Krankheit nicht zugelassene Medikament anwenden soll, bleibt zudem offen. Der Deutsche Generikaverband klagt, die aktuelle Praxis der Rabattverträge schaffe neue Kartelle: Kleine und mittelständische Arzneiproduzenten wären chancenlos, echter Wettbewerb gar nicht erwünscht. Die gesetzlichen Kassen müssen also noch einiges tun, damit der Patient nicht als schwächstes Glied in der immer komplizierteren Versorgungskette zurückbleibt. Sverre Gutschmidt


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