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08.08.09 / Irrtum vorbehalten – auch in der Liebe / Berühmte Liebespaare der Kulturgeschichte: Max Klinger, Elsa Asenijeff und Gertrud Bock

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-09 vom 8. August 2009

Irrtum vorbehalten – auch in der Liebe
Berühmte Liebespaare der Kulturgeschichte: Max Klinger, Elsa Asenijeff und Gertrud Bock

Anno 1898 begleitete der bereits europaweit berühmte Bildhauer und Maler Max Klinger (1857–1920), Professor an der Akademie der graphischen Künste in Leipzig, seinen Freund Fritz Schumacher zu einem Literaturabend. Mitten in den Zuhörerkreis drängte sich eine Frau. Sie verschlug allen die Sprache. Ihre nicht der Zeitmode entsprechende Kleidung ließ die üppigen Körperformen erkennen. „Du lieber Himmel“, entsetzte sich Klinger. Schumacher warnte: „Pass‘ auf, sie will zu dir. Du sollst sie porträtieren.“ Da stand sie schon vor ihm. Lautstark redete sie auf ihn ein: „Ich bin Elsa Asenijeff, Schriftstellerin, ganz Leipzig kennt mich. Sie müssen mich malen, am besten eine Marmorbüste von mir schaffen, damit ich für die Nachwelt erhalten bleibe. Wann kann ich in Ihr Atelier kommen?“ Klinger, passionierter Alleinlebender, fühlte sich dem Wortschwall nicht gewachsen. Außerdem missfiel ihm die aufdringliche zur Schau gestellte Extravaganz. Er bemerkte das Rundumlächeln. „Wann?“ tönte Elsa. Hilflos schockiert murmelte Klinger: „Melden Sie sich in drei Monaten.“ Wieder trumpfte Elsa auf: „Ich komme morgen. Sie könnten sterben, bevor meine Büste fertig ist.“ Schumacher kam ihm zu Hilfe: „Wir gehen. Auf dich wartet die Arbeit an deinem Beethoven-Monument.“

Das Beethoven-Denkmal wurde sein berühmtestes Werk und auf Dauer im Hauptsaal des Leipziger Museums etabliert. Klinger schuf es aus verschiedenen Marmorsorten, Bronze, Elfenbein und farbigem Glasfluß. – Zum Kernzentrum seines unermüdlichen Schaffens zählten Motive aus der antiken Sagenwelt, erschütternde Bilderfolgen (Radierungen) sozialen Elends und auch Gemälde traumverhafteter Erotik.

Der Morgen kam und mit ihm Elsa Asenijeff. An der Wirtschafterin vorbei, stürmte sie ins Atelier. „Wir können gleich anfangen.“ Wut brandete in Klinger hoch. Fassungslos sah er, dass sie die Oberkleidung ablegte. „Haben Sie so etwas Schönes schon gesehen?“ Sie schlang die Arme um ihn. Klinger verfiel ihren Liebeskünsten. Mit erbarmungsloser Selbsterkenntnis stellte er fest, dass er dieser Frau sexuell hörig wurde. Trotz vieler Versuche gelang ihm die Trennung nicht. Zwölf Jahre hielt der Bann. Dann griff Freund Schumacher ein: „Ich weiß, dass ich heute unsere Freundschaft riskiere“, begann er ernst, „aber ich rate dir, dich von der Asenijeff zu lösen. Du bist zur Spottfigur Leipzigs geworden. Sie macht dich lächerlich.“ Tiefes Schweigen. „Soll ich gehen?“, fragte Schumacher. Klinger wandte sich zu ihm: „Niemals! Du hast mir eben den größten Freundschaftsdienst erwiesen.“ Als Klinger abends nach Hause kam, sah er Elsa vor der Haustür warten. Wie von ihm angeordnet, hatte die Wirtschafterin sie nicht eingelassen. „Was soll das?“, fauchte sie. Seiner selbst sicher erwiderte er: „Unsere Beziehung ist beendet. Ich kann dein dummdreistes Angebergehabe nicht mehr ertragen. Geh!“ Er ließ sie stehen. „Spießer“, schrie sie ihm nach. Die Gartentür knallte. Klinger trat ins Haus. Er schenkte sich ein Glas Rotwein ein. Es war der bekömmlichste Wein, den er je genossen hatte ...

Im November 1919 ging im strömenden Regen eine schlichtelegante Frau vor Klinger her. Der Sturm riss ihr den Regenschirm aus der Hand. Klinger sprang hinzu, hob ihn auf, reichte ihn ihr. „Er dürfte kaputt sein.“ Dabei blickte er ins Gesicht der Frau. Völlig koketterielos sah auch sie ihn an. Ihre Aufmerksamkeit entging ihm nicht. „Mein Wagen steht in der Nähe. Darf ich Sie nach Hause fahren?“ „Das nehme ich gern an.“ Korrekt stellte sie sich vor: „Gertrud Bock.“ Er sah ihr nach, bis sie im Eingang zur Villa entschwand. Sonderlich berührt, ärgerte er sich, dass er sie nicht zum Kaffee eingeladen hatte. Aber er würde sie wiedersehen.

Bei dem Gedanken, sie könnte verheiratet sein, erschrak er. Warum? Im Atelier wurde ihm bewusst, dass sie seine Frau werden sollte. Sie war die Richtige, und sie zu finden, dazu gehörten Zufall, Schicksalsglück. Noch im November gleichen Jahres fand die Vermählung statt.

Nur kurze Zeit war ihrem Zusammenleben vergönnt. Acht Monate später starb Klinger. Doch beiden hatte sich ihr Bedürfnis nach zankfreiem Dasein, nach psychischer Harmonie erfüllt ... Einmal war Klinger in seiner Skizzenmappe seine Radierung „Der Fund“ in die Finger geraten. Auf ihr hebt Klinger den Handschuh einer Dame auf, den sie soeben verloren hatte. „Es könnte auch ein Regenschirm gewesen sein“, meinte Gertrud lächelnd. „Es war ein Regenschirm“, bekräftigte Klinger. Beim Weiterblättern stieß er auf das Foto der Marmorbüste von Elsa Asenijeff. Kopfschüttelnd betrachtete er es. „Für viele Lieben gilt: Irrtum vorbehalten.“            Esther Knorr-Anders

Foto: Im Tode vereint: Marmorstelen von Gertrud Bock und Max Klinger in Großjena


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