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08.08.09 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-09 vom 8. August 2009

Gerade so eben / Wofür Schreiber büßen muss, wo man die alten Ideen findet, und wieso ein Rückgang statistisch gesehen gar kein Rückgang ist
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Diese Unterstellung weist Justizminister Brigitte Zypries entschieden von sich: Dass sie die Auslieferung des Karlheinz Schreiber aus wahlkampftaktischen Gründen in den letzten Wochen so viel heftiger als sonst betrieben habe, das sei „völlig aus der Luft gegriffen“. Aus der Luft schwebte kurz darauf die Boeing 767 ein, mit zwei kanadischen Sicherheitsbeamten darin und einer bösen Erinnerung für die CDU in ihrer Mitte.

Karlheinz Schreiber, der Schieber, der Kungelbruder, der Schattenmann aus einer anderen Zeit: Am ehesten möchte man ihn sich mit Hut und 50er-Jahre-Sonnenbrille vorstellen, den schwarzen Aktenkoffer nicht zu vergessen. Kurz: Er ist Geschichte. Die Deutschen haben ihren berechtigten Zorn auf die CDU damals gründlich ausgetobt und widmen sich heute anderen Sorgen. (Nur Ströbele will noch mal, wie immer.) Das wissen eigentlich auch die Sozialdemokraten. Warum dann diese plötzliche Eile?

Eigentlich ganz einfach: Es ist Rache, Rache für Merkel! Der von Schreiber losgetretene Spenden­skandal ließ damals die komplette CDU-Spitze erstarren. Der alte Kohl drohte sie alle in den Abgrund zu reißen, das wussten sie wohl. Aber gegen ihn aufmucken? Das traute sich keiner, außer einer: Angela Merkel schrieb einen Zeitungsartikel gegen Kohl, sie bot ihm die Stirn und überlebte den Ritt. Das war ihr Sesam-öffne-dich zur Macht – erst in der CDU, dann im Land. Also: Der Schreiber war’s! Dafür soll der 75jährige nun wenigstens ein paar Jahre brummen, dachte sich die SPD-Justizministerin. Schließlich deutet ja einiges darauf hin, dass sie demnächst ihr Amt verliert, also jetzt schnell her mit dem Kerl, bevor es zu spät ist.

Wenigstens ist Ulla Schmidt jetzt nicht mehr alleiniges Tratschthema der Politik. Somit ist der Schreiber doch ein kleiner Erfolg für die SPD. Aber große Erfolge, die sehen anders aus, das muss man Frank-Walter Steinmeier nicht sagen. Allen Widrigkeiten trotzend hat er daher eisern grinsend sein Wahlprogramm, den „Deutschlandplan“, vorgestellt.

Im Wahlkampf müssen die Ansagen kurz, klar und für jeden verständlich sein, haben die SPD-Strategen festgestellt und daher die Devise ausgegeben: Warum die Leute mit neuen Ideen verwirren, wenn man noch so viele alte hat? Im SPD-Keller, da wo all die aktuellen Umfragewerte herumstehen, haben sie hinter allerlei Gerümpel den „runden Tisch“ aufgestöbert. An dem ollen Möbel hatten schon Generationen von Politikern und anderen gesellschaftlich relevanten Sabbeltaschen platzgenommen. Laut „Deutschlandplan“ gehört die nächste Runde einer „Allianz für den Mittelstand“ aus Wirtschaft, Gewerkschaft und Banken.

Das ist doch ein toller Einfall, dass man die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und die Geldverleiher endlich mal miteinander bekanntmacht! Ohne den runden Tisch vom Deutschlandplan erführen die vermutlich nie voneinander. So haben die sich bestimmt viel zu erzählen, aus ihrem Leben und Leiden und so.

Runde Tische haben etwas Unwiderstehliches, schon ihre Form stimmt einen so harmonisch, man möchte spontan „du“ sagen und alles rauslassen, was einen so bedrückt. Hinterher treten alle gänzlich entspannt und erleichtert vor die Presse und berichten, wie nah man sich gekommen sei. Mehr aber auch nicht: Beschlossen wird, wenn überhaupt, nur das, was vorher schon klar war. Der Rest ist Wohlfühllyrik: „Wir sind uns einig“, „in gemeinsamer Verantwortung“, „werden Hand in Hand ein Stück weit Sorge tragen“, „erfolgreich in die Zukunft“ und so weiter.

Das Volk ist dann meist ein wenig enttäuscht, denn unter den Menschen sind immer noch welche, die sich von runden Tischen mehr erhoffen als gute Gefühle. Deshalb muss die Zeitplanung stimmen: Jetzt wird der Tisch garniert mit den buntesten Versprechungen. Bis diese unter dem woh­ligen Gedröhn gelangweilter Tischsitzer verdorrt sind, ist die Wahl lange her und die Medien haben die mit viel Tamtam einberufene Runde ohnehin längst versemmelt. So weit, so geschickt. Nicht ganz so geschickt war Steinmeiers Versprechen von vier Millionen neuen Arbeitsplätzen bis 2020. Vor nur anderthalb Jahren hatte weder Steinmeier noch sonst wer in Berlin auch nur den Schimmer einer Vorstellung von der Lage im August 2009. Und jetzt blickt der Mann glasklar durch die ganze nächste Dekade hindurch. Na dann.

Aber gut, das macht jetzt nichts, solange die Kuriosität nur bis zum Wahltag nicht zusammenfällt. Manchmal geht es da um Tage. Beim Abwrack­geld kommt es gerade so hin, sechs Woche reiche der Etat noch, hieß es am Montag, als die Wahl noch knapp acht Wochen hin war. Wenn man die Ablehnungsbescheide der letzten, glücklosen Abwracker, die keine Prämie mehr kriegen, ein biss­chen später rausschickt, könnte es um Haaresbreite klappen.

Solche Zeitplanungen können grässlich schiefgehen, wie Familienministerin Ursula von der Leyen schon zum zweiten Mal  erleiden muss. Im Februar hatte sie voller Stolz die jüngsten Geburtenzahlen für die ersten drei Quartale 2008 verbreitet: Endlich wieder mehr Kinder, sagte die Tabelle. Und wem hatten wir das zu verdanken? Ursula von der Leyens Elterngeld natürlich.

Nur wenige Tage später schoben die hinterhältigen Zahlenhuber vom Statistischen Bundesamt die Oktoberdaten hinterher und meldeten einen abrupten Einbruch. November und Dezember sahen nicht minder trübe aus, wie sich wenig später herausstellen sollte. Seitdem redete die Ministerin nicht mehr so gerne über den angeblichen Zusammenhang zwischen ihrer Politik und dem Kinderkriegen.

Das blieb so, bis die EU-Statistiker von Eurostat den deutschen Horrormeldungen die Krone aufsetzten: Nicht nur, dass Deutschland das absolute EU-Schlusslicht bilde beim Nachwuchs, die deutschen Geburtenzahlen seien auch 2008 abermals  zurückgegangen. Dies sei der einzige Geburtenrück­gang in der ganzen Europäischen Union.

Und mit sowas kommen diese Ferkel mitten im deutschen Wahlkampf. Wie rück­sichtslos! Da hielt es die Ministerin nicht mehr auf dem Stuhl: Der erneute Rück­gang sei gar kein Rückgang, weil er mit 2300 Geburten dafür zu klein sei, rein statistisch gesehen. Hä? Ja doch! Das geht nämlich so: 2008 sind laut von der Leyen zwar 2300 Kinder weniger geboren worden als 2007, doch blieb damit die Zahl von 8,3 Geburten auf 1000 Einwohner konstant. Und deshalb war der Rück­gang statistisch betrachtet gar keiner. Ein anrüchiger englischer Politiker raunte einmal, er glaube nur an die Zahlen, die er selber gefälscht habe. Fälschen? Wie widerlich. Muss man gar nicht, man sollte sich die Zahlen nur günstig zurechtlesen, besonders so kurz vor dem Urnengang.

Wie üblich vor Bundestagswahlen startet in Berlin die „Aktion Abendsonne“: Langjährige Mitarbeiter vermutlich ausscheidender Minister werden auf Steuerzahlers Kosten noch schnell verbeamtet, befördert oder auf sichere Pöstchen versetzt. Der „Spiegel“ hat sich Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul herausgepickt: Da wird einer aus ihrem Stab Botschafter in Neu-Dehli, eine Referentin wechselt zur Uno nach New York und so fort.

Zum Ende ihrer Amtszeit wünschen wir uns von Frau Wieczorek-Zeul eine Rede über undifferenzierte Politikerschelte. Immer wieder treten Schmierfinken und Büttenredner auf, die behaupten, Politiker betrachteten unser Land als Selbstbedienungsladen und Alimentierungsstätte für gute Freunde. Solche Pöbeleien untergraben das Vertrauen in die Demokratie, weshalb den Verleumdern dringend Paroli geboten werden muss. Vor ihrem Ausscheiden sollte die Entwicklungshilfeministerin gegen diese Typen noch einmal ganz deutlich Stellung beziehen. Wir werden auch bestimmt nicht lachen, nicht gleich.


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