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15.08.09 / Gewalt und Geld statt Wahlurne

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-09 vom 15. August 2009

Gewalt und Geld statt Wahlurne
von Jörg Schmitz

Das Land am Hindukusch war noch nie eine Demokratie und es ist auch jetzt keine. Führung und Macht wurden nie über die Wahlurne organisiert. Macht übt aus, wer über ausreichend Loyalität und Autorität verfügt. Loyalität entsteht in Sippen, Stämmen und Volksgruppen. Autorität wächst mit der Feuerkraft des Waffenarsenals, dem politischen Geschick oder der Gewaltbereitschaft der Herrscher und natürlich auch mit dem Geldbeutel. Wer diese Form der Herrschaftsausübung kritisiert, der versteht nichts von der Geschichte des Landes, in der die sonnigen Jahre selten, die gewalttätigen, finsteren Jahre hingegen selbstverständlich waren.

Jeder, der Afghanistan bisher zu einem anderen Rhythmus verhelfen wollte, ist an den Gesetzen des Landes gescheitert. Zuletzt zweimal die Briten, einmal die Sowjets, und selbst die Herrscherfiguren aus Afghanistan, die mit der Legitimation ihrer Stämme das ganze Land kontrollieren wollten. Keiner war so stark, dass er die rivalisierenden Familienbande, die regionalen Interessen, die Gewaltbereitschaft in den Volksgruppen bändigen konnte.

Keiner konnte die Gesetze der islamischen Traditionsgesellschaft ignorieren. Wer Afghanistan überfordert oder zu viel Hoffnung in die Gesellschaft projiziert, scheitert. Selbst die Taliban, die Afghanistan von 1996 bis 2001 mit mörderischer Gewalt im Griff hatten, wurden mit Hilfe westlicher Militärkraft und afghanischer Stammestradition vertrieben und würden auch heute keine Gefolgschaft aufbringen, wenn sie nicht für Furcht sorgten.

Wer mit diesen historischen Erfahrungen in Afghanistan wählen lässt, der sollte seine Erwartungen klein halten. Die für dieses Jahr angesetzte zweite Präsidentenwahl (die erste gewann Amtsinhaber Karsai im Oktober 2004 mit 55,4 Prozent der Stimmen) ist gleichwohl ein einschneidendes Ereignis, weil jede Wahl das Gefühl der Selbstbestimmung und der Freiheit stärkt und einer Regierung Kraft und Autorität verleiht. Selbst wenn das Wahlergebnis unter den Stämmen ausgehandelt wird, wenn in einem afghanischen Konsens-Verfahren eine Führungsfigur gesucht und bestimmt wird – selbst dann kann man von der einenden Kraft einer Wahl sprechen, die dem Staatsgebilde ein Stück mehr Stabilität und Berechenbarkeit bringt.

Die US-Regierung unter Präsident Barack Obama hat, noch ehe sie im Amt war, den Präsidenten Karsai isoliert. Die europäischen Schutzmächte standen dieser Politik nicht im Weg, ja, sie unterstützten sie, wenn auch nuancierter. Karsai stehe einer korrupten und schwachen Regierung vor, so die Anklage. Das Urteil: schuldig, weg mit ihm. Doch die US-Regierung und Europäer kritisierten Karsai zuletzt nur noch hinter den Kulissen. Die westlichen Nationen bemerkten, wie sinnlos es war, derartig in die afghanischen Machtkämpfe einzugreifen. Nun kämpfen sie weiter an mehreren Stellen: gegen die Taliban, gegen die Drogenmafia, gegen Karsai und seine Gefolgschaft. Karsai mag schwach sein und viele Hoffnungen enttäuscht haben, aber niemand weiß, ob ein Alternativkandidat die Kräfte im Land besser austariert.

Foto: Afghanistan am Scheideweg: Präsident Karsai verliert immer mehr an Rückhalt, doch echte Alternativen sind nicht in Sicht, auch wenn viele versuchen, die Macht im Lande zu erlangen. Trotz der politischen und gewalttätigen Machtkämpfe versucht die Bevölkerung, ihren Alltag zu meistern, doch die meisten jungen Menschen haben keine Ausbildung. Nach Jahrzehnten des Krieges kennen sie nichts anderes als Krieg und wissen nicht, wie sie ihre Familien ernähren sollen.


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