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15.08.09 / Er ging über Leichen / Charakterstudie über den Boss der Corleonesi-Mafia

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-09 vom 15. August 2009

Er ging über Leichen
Charakterstudie über den Boss der Corleonesi-Mafia

Er war die Nummer Eins auf der Fahndungsliste der italienischen Polizei. 43 Jahre lang mischte Bernardo Provenzano die Unterwelt auf und in großen Teilen der Wirtschaft, Justiz und Politik Süditaliens mit. Unter seiner Führung wurde die sizilianische Cosa Nostra zu einer der berüchtigtsten Mafia-Organisationen weltweit. Doch kaum jemand kannte das Gesicht dieses Mannes, der seit den frühen 1960er Jahren ständig auf der Flucht war und von dem jahrelang nur ein Phantombild existierte. Erst am Morgen des 11. April 2006 gelang es Polizisten, den mittlerweile 73-Jährigen in einem Schuppen bei Corleone aufzuspüren und zu verhaften.

Longrigg versucht nun in ihrer Biographie „Der Pate der Paten“, dem Gesichtslosen ein Gesicht zu verleihen – und das nicht nur physiologisch als Schilderung seiner Lebensstationen, sondern auch psychologisch als Charakteranalyse: „Provenzano ist ein Chamäleon, er hat ein großes Geschick, sich allen Umständen anzupassen.“

Die Londoner Journalistin untersucht, wie der Kopf der sizilianischen Mafia mit Charisma und taktischem Geschick den Weg nach oben schaffte. „Binnu, der Traktor“ nannten sie ihn aufgrund seiner Entschlossenheit. Dabei ging der Bauernsohn ohne Schulabschluss über Leichen hinweg. Mit Mitte 20 war Provenzano bereits ein Gefolgsmann Luciano Leggios, dem Clanoberhaupt der Corleonesi.

Nachdem Leggio 1974 in Mailand festgenommen worden war, ging Provenzano dessen Nachfolger Totò Riina zur Hand. Im Verlaufe blutiger Mafia-Fehden zu Beginn der 1980er Jahre stiegen die Corleonesi zum führenden Clan in Sizilien auf. Auf ihr Konto gehen die Attentate von 1992 auf die Richter und „Mafia-Jäger“ Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Drei Jahre später avancierte Provenzano selbst zum „Boss aller Bosse“, der sich fatalistisch als Instrument göttlichen Willens sah. Bei seiner Festnahme blieb er erstaunlich gelassen und entgegnete den Polizisten die Worte des gekreuzigten Jesus Christus: „Ihr wisst nicht, was ihr tut.“ In seinem Versteck fanden die Ermittler etwa 200 kleine Zettel, so genannte „pizzini“. Mit Hilfe dieser geheimen Botschaften an seine Handlanger hatte Provenzano illegale Immobiliengeschäfte, Geldwäsche und Auftragsmorde abgewickelt.

Doch warum konnte Provenzano all die Zeit nicht gefasst werden? Longrigg argumentiert, Politiker, Unternehmer und Beamte hätten den Verbrecher massiv geschützt. Frühere Verhaftungen seien in letzter Sekunde von höherer Stelle verhindert worden. Im Oktober 2003 hätte sich der Mafia-Boss angeblich sogar auf Staatskosten einer Prostata-Operation in einer Privatklinik unterzogen. Wer glaubt, mit Provenzanos Verhaftung sei die Mafia-Familie der Corleonesi ausgestorben, der irrt. Wahrscheinlich steht schon eine neue, jüngere Generation von Anführern in den Startlöchern.

Longriggs Porträt gibt einen spannenden Ein- und Tiefblick in das Leben eines der mächtigsten Mafia-Bosse und in die Strukturen der Cosa Nostra. Wer sich für die Rolle der Frauen in der organisierten Kriminalität Italiens interessiert, dem sei auch ihr Buch „Die Patinnen – Frau der Mafia“ empfohlen.      Sophia E. Gerber

Clare Longrigg: „Der Pate der Paten“, Herbig, München 2009, geb., 384 Seiten, 22,95 Euro


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