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22.08.09 / Als Stadt »ohne Grenzen« glänzen / Minderheiten in Fünfkirchen, der Europäischen Kulturhauptstadt 2010, die wie eine Insel aus der nationalen Misere ragt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-09 vom 22. August 2009

Als Stadt »ohne Grenzen« glänzen
Minderheiten in Fünfkirchen, der Europäischen Kulturhauptstadt 2010, die wie eine Insel aus der nationalen Misere ragt

Als „Stadt ohne Grenzen“ will das kleine Fünfkirchen (Pécs) zwischen den Kulturhauptstadt-Metropolen Istanbul und Ruhrgebiet glänzen. Das Provinzstädtchen mit 160000 Einwohnern liegt unweit der kroatischen Grenze an der Nahtstelle zwischen Abend- und Morgenland. Hier herrschten Römer, Türken, Habsburger und Magyaren. Kroaten, Serben, Griechen, Bulgaren, Muslime, Juden, Roma und die deutschen Donauschwaben haben ihre Spuren hinterlassen.

Ein Kreuz ragt aus dem Halbmond über der kupfergrünen Kuppel der ehemaligen Moschee am Hauptplatz von Fünfkirchen. „Das ist einzigartig in Europa“, freut sich Kulturhauptstadt-Programmdirektor Tamas Szalay, über das „Symbol für das friedliche Zusammenleben der Kulturen in dieser Stadt“. Im 17. Jahrhundert hatten Österreicher und Ungarn die osmanischen Besatzer vertrieben. Als Zeichen setzten die neuen Herren ein Kreuz in den Halbmond auf der Kuppel der Moschee. Aus den islamischen Gotteshäusern wurden katholische Kirchen.

„Die Europäische Union“, schimpft Bischof Mihaly Mayer, „will uns ihre liberalen Werte aufzwingen.“ Immerhin betreibe die Kirche den einzigen „Zigeunerkindergarten“ des Landes. „Wir setzen auf Bildung“, lobt Mayer den Beitrag seiner Kirche zur Lösung des „Zigeunerproblems“. Rund eine halbe Million „Zigeuner“, die meisten von ihnen Roma, leben in Ungarn.

Weit draußen am Stadtrand liegt das einzige Roma-Gymnasium Ungarns. „In der Grundschule mussten wir Zigeunerkinder in der letzten Reihe sitzen“, erzählt dort die 17-jährige Krisztina, „so musste uns die Lehrerin nicht von Nahem sehen.“ Glaubt man den Umfragen, lehnen rund sechs von zehn Ungarn „die Zigeuner“ ab. Mit ihrer Mutter und acht Geschwistern von mehreren Vätern lebte Krisztina in einem heruntergekommenen Zimmer. Mit zehn Jahren musste sie die Jüngeren allein versorgen, einkaufen, kochen und den Haushalt führen. „Plötzlich hatte meine Mutter einen neuen Freund. Dann sollte ich wieder Kind sein“, berichtet sie. Nachhause will die Zehntklässlerin nicht mehr. Sie wollte an eine gute Schule, etwas lernen und hat sich dafür gegen ihre Eltern durchgesetzt.

Das Gandhi-Gymnasium zeigt den Kindern eine ganz andere Welt. Viele finden hier erstmals Verständnis und Selbstvertrauen. Ein Junge, der ein Jahr lang kein Wort gesprochen hatte, hat das Abitur bestanden. „Er spricht jetzt fließend Englisch“, freut sich die Lehrerin Karin Adamek. Ein anderer war so ehrgeizig und fleißig, dass er die Aufnahmeprüfung der Harvard-Universität in den USA bestanden hat. Bogdan zum Beispiel macht nächstes Jahr Abitur. Er will „Physik studieren, wenn möglich in Amerika“. „Meine Eltern sind gebildet, da hatte ich es leichter“, sagt der junge, hagere Mann. Die Eltern der meisten Mitschüler wollten, dass ihre Kinder körperlich arbeiten. „Keine schlechte Idee“, findet Bogdan, aber wer begabt sei, müsse doch lernen und mehr aus sich machen.

Über den Sinn eines Gymnasiums nur für Roma-Kinder könne man durchaus nachdenken. Für ihn aber ist die Sache klar: „Hier können wir uns aufs Lernen konzentrieren und müssen uns nicht gegen die Vorurteile der Lehrer und Mitschüler wehren. Schauen Sie sich zum Beispiel meinen Notenschnitt an: 4,75 von 5. Das hätte ich an einer normalen Schule nie geschafft. Dort verlangen sie von uns Romakindern immer mehr als von anderen. Überall versuchen sie uns zu verletzen, mit Worten und oft auch körperlich.“ Auf die Frage nach dem „Warum“ weiß auch Bogdan keine Antwort. „Vielleicht liegt es daran, dass wir anders sind“, überlegt er. „Vielleicht haben Sie auch Angst.“

Nicht nur Bogdan fürchtet sich, zum Beispiel vor den Ungarischen Garden, die sich in schwarzen Uniformen zusammenrotten, um Jagd auf Roma zu machen – oder auf Juden. Ein Häuflein von rund 20 Gläubigen hat sich zum Schabat-Gottesdienst im Gemeindehaus am Rande der Fünfkirchener Innenstadt zusammengefunden. Sie beten und singen. Anschließend geht’s zum Kiddusch, dem Schabat-Mahl, in den kahlen Gemeindesaal. Es gibt Weißbrot und Nudelsalat auf Plastiktellern und einen Plastikbecher mit einem Schluck ungarischen Weißwein für jeden. Lazlo hat „früher nichts gesagt, wenn Leute über Juden geschimpft haben“. Jetzt fragt er, „warum sie so denken“ – und bekommt immer „eine irreale, unsinnige Antwort“. Lazlo ist 25, „zu jung für die furchtbaren Erinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg“. Deshalb hat er als Jude in Ungarn keine Angst. Körperliche Gewalt hat er noch nicht erlebt, aber „verbale Angriffe“.

„Wir müssen uns zeigen“, hält Lazlo dagegen, „unsere Kultur, unsere Tradition“. Die Älteren in der Gemeinde tun sich damit schwer. „Für einen eigenen Beitrag zur Kulturhauptstadt sind wir mit 120 Mitgliedern zu klein. Uns fehlen die Mittel“, meint der Rabbiner.

Zwei Straßen weiter, auf der Király utca, der zur Einkaufsmeile und Fußgängerzone herausgeputzten Königsstraße, ahnen die flanierenden Touristen nichts von den Juden, den Zigeunern und der wachsenden Unruhe im Land.

Die Wirtschaftskrise hat Ungarn härter getroffen als andere. Nur ein Milliardenkredit des Internationalen Währungsfonds hat das Land vor dem Staatsbankrott bewahrt. In vergleichsweise wohlhabenden Fünfkirchen sieht man davon nichts. Wie eine Insel ragt das schmucke Städtchen aus der Misere.

 „In Osteuropa fehlt eine entwickelte Zivilgesellschaft“, beklagt der Deutsche Christian Gracza, der für die Robert-Bosch-Stiftung als Kulturmanager in Fünfkirchen arbeitet, mit Blick auf die Europäische Kulturhauptstadt 2010, die „das kulturelle Leben in der Stadt seit vier Jahren beherrscht“. An der Bewerbung um den Titel hätten viele junge Leute, Studenten und Vereine engagiert mitgearbeitet. Aber kaum jemand von ihnen wusste, „wie man ein Projekt plant, einen Förderantrag schreibt und korrekt abrechnet“. Den Eigenanteil, den man braucht, um Geld von der Europäischen Union zu bekommen, kann hier kaum jemand aufbringen. Schon die öffentliche Debatte über Inhalte des Kulturhauptstadtjahrs sieht Gracza als Erfolg, für den sich der Aufwand lohnt. Robert G. Fishman

Ungarisches Tourismusamt Deutschland, Wilhelmstraße 61, 10117 Berlin, Telefon (030) 2431460, Fax (030) 24314613, im Internet unter www.ungarn-tourismus.de


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