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22.08.09 / Höllenmaschinen und Rheinromantik / Ein Ausstellung widmet sich dem Jahrhundert der Bewegung und dem beginnenden Massentourismus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-09 vom 22. August 2009

Höllenmaschinen und Rheinromantik
Ein Ausstellung widmet sich dem Jahrhundert der Bewegung und dem beginnenden Massentourismus

Einst war das Reisen noch ein großes Abenteuer. Als im 19. Jahrhundert die technische Entwicklung die Mobilität des Menschen erweiterte, wuchs auch seine Reiselust. Eine Ausstellung in Baden-Baden zeigt die Auswirkungen dieses Jahrhunderts der Bewegung.

Als Daniel Chodowiecki (1726–1801) im Juni 1773 von Berlin in seine Vaterstadt Danzig reisen will, um dort seine Mutter und seine Schwestern zu besuchen, muss er zunächst einen Pass beantragen, denn Danzig gehörte damals noch zu Polen, allerdings unter Wahrung weitgehender Selbständigkeit. „Den 1. Juni beim Kommandanten, um einen Pass zu erhalten“, schrieb er in sein Tagebuch, „er ist nicht in Berlin; an den Gouverneur zurück-verwiesen. Beim Gouverneur. Nicht zu Hause. Nochmals beim Gouverneur, er verwies mich wieder an Philippi (Stadtpräsident und Polizeidirektor, d. Verf.), dieser verwies mich, nach einigen Schwierigkeiten wegen der Aussprache meines Namens, wieder an Stadtsekretär Schlicht, der mich auf morgen bestellte, weil er kein Stempelformular hatte.“ – Wer fühlte sich bei diesen Schilderungen nicht an die moderne Bürokratie erinnert? – Am nächsten Tag jedoch erhielt der Künstler seinen Pass und konnte am 3. Juni die Reise antreten. Zwischen 60 bis 65 preußische Meilen lagen vor ihm (etwa 450 bis 485 Kilometer), die er zu Pferde bewältigte, da ihm in der Postkutsche stets schlecht wurde. Es ging über unzureichend ausgebaute Wege quer durch das Land, und Chodowiecki wäre nicht der genau beobachtende Künstler, als den man ihn schätzte, hätte er nicht Skizzenblock und Zeichenstift auch bei dieser Reise dabei gehabt. Das sollte ihm aber zum Verhängnis werden. Denn durch die Angewohnheit, auch während des Reitens zu zeichnen und dabei die Zügel mit den Zähnen festzuhalten, verlor er zwei Vorderzähne, als das Pferd in einer solchen Situation einmal stolperte.

Immerhin benötigte Daniel Chodowiecki für die Strecke neun Tage. Es sollte noch einige Zeit dauern, bis Dampfkraft die Fortbewegung der Menschen erleichterte. Und selbst dann musste man mit Schwierigkeiten kämpfen. So schilderte die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848) 1825 ihre erste Fahrt mit einem Dampfschiff: „…im Schiff steht eine hohe dicke Säule, aus der unaufhörlich Dampf hinausströmt, in einer Rauchsäule mit ungeheurer Gewalt und einem Geräusch, wie das bei der Flamme bei einem brennenden Hause. Wenn das Schiff stillsteht oder der Dampf so stark wird, dass er die Sicherheitsventile öffnet, so fängt das Ding dermaßen zu brausen und zu heulen an, dass man meint, es wolle sogleich in die Luft fliegen. Kurz, das ganze gleicht einer Höllenmaschine, doch soll keine Gefahr dabei sein …“

Das 19. Jahrhundert war geprägt von einer ständig wachsenden Reisebegeisterung. Die Ausstellung „Reisen. Ein Jahrhundert in Bewegung“ im neu eröffneten Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden fügt unterschiedlichste Facetten des Reisens zu einem Zeitbild zusammen. Im Verlauf dieses Jahrhunderts erlaubten technische

Entwicklungen eine schnellere und weitläufigere Mobilität für eine wachsende Zahl von Reisenden. Weltausstellungen und Panoramenansichten luden zur Erkundung ferner Länder ein. Der aufkommende Massentourismus und die Souvenirindustrie belegen das wachsende Bedürfnis nach Reisen und deren Kommerzialisierung. Rheinromantik, das Arkadien Italiens, die Suche nach dem Eigenen in der Fremde verdeutlichen auf künstlerischer Ebene das Fernweh eines Zeitalters in Bewegung. Es sind Schilderungen von Künstlern in Bildern oder in Reiseberichten, die einen ersten Eindruck von der Ferne vermitteln und Sehnsüchte aufkommen lassen, dies „mit eigenen Augen“ zu sehen. In der Ausstellung sind unter anderem Gemälde von Andreas Achenbach, Carl Friedrich Lessing und Carl Rottmann zu sehen sowie ein Automobil aus den Bergmann-Werken in Gaggenau nach Entwürfen des Baden-Badeners Joseph Vollmer. Reisespiele, Kameras unterschiedlicher Bauarten und ein reisefähiger Phonograph Edisons bieten weitere Facetten der technischen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts.

Der Wunsch, sich die Welt nach Hause zu holen, äußerte sich nicht zuletzt in dem Brauch, Präparate exotischer Tiere als Trophäen abenteuerlicher Erkundungen zu präsentieren. Makaber mutet heute das Präparat eines Macaca-Äffchens an, das als Wanderer mit Stock ausgestattet wurde, ursprünglich soll es auch mit Hut und Zigarre ausgerüstet gewesen sein – die Karikatur eines Reisenden.        Silke Osman

Die Ausstellung im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Lichtentaler Allee 8, Baden-Baden, ist bis 6. September dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr zu sehen, Katalog 29,80 Euro, Eintritt 7/5 Euro. Vom 21. März bis 30. Mai 2010 wird die Ausstellung in der Stiftung Schloss und Park Benrath in Düsseldorf gezeigt.

Foto: Blick in die Baden-Badener Ausstellung: Fahrrad oder Automobil als Alternative zur Postkutsche


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