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29.8.09 / Schrecken der Zeit – Flucht und Vertreibung / Vor fast 65 Jahren ging man gemeinsam auf die Flucht – Heimattreffen der Schlobitter und Prökelwitzer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-09 vom 29. August 2009

Schrecken der Zeit – Flucht und Vertreibung
Vor fast 65 Jahren ging man gemeinsam auf die Flucht – Heimattreffen der Schlobitter und Prökelwitzer

Als der Befehl zur Flucht kam, war man vorbereitet. Alexander Fürst zu Dohna-Schlobitten hatte die nötigen Vorkehrungen schon getroffen. Es machten sich 250 Menschen, 108 Pferde und 33 Wagen, in eine ungewisse Zukunft auf. Wiederum trafen sich die Menschen, die auf den Gütern Schlobitten und Prökelwitz des Fürsten Alexander zu Dohna-Schlobitten gewohnt hatten, in Bücken bei Hoya. Traditionsgemäß findet dieses alljährliche Beisammensein immer am ersten Wochenende im Juli statt. Zu Beginn besuchte man den Gottesdienst in der schönen St. Maternian-Kirche, den – in Vertretung von Pfarrer Meißner – sein Vorgänger, Pastor Studer, hielt, der über viele Jahre die Pfarrstelle in Bücken betreute. Seine Predigt war ganz auf die Ostpreußen abgestimmt, und so sangen alle gemeinsam das Ostpreußenlied, das manch „Einheimischer“ wohl auf diese Weise zum ersten Mal hörte. Arnold Korth hatte in Vorbereitung des Treffens Pfarrer Studer gebeten, die noch aus der ostpreußischen Jugendzeit so vertrauten Lieder – „Grosser Gott, wir loben Dich“, „Geh’ aus mein Herz und suche Freud“ und schließlich „Nun danket alle Gott“ – in den Gottesdienst mit einzubeziehen. Nach dem gemeinsamen Abendmahl fuhr man anschließend zum Landgasthof Hünecke zum gemeinsamen Essen. Dieses wiederum hatte Arnolds Frau Lisa mit dem Wirt, Herrn Hünecke, abgestimmt und wieder ein vorzügliches Mahl zusammengestellt.

Jochen Prinz begrüßte die Teilnehmer, die diesmal nicht so zahlreich waren, weil viele aus krankheits- oder terminlichen Gründen leider absagen mussten. Er übermittelte deren herzlichen Grüße und bedauerte vor allem, dass Herr v. Behr, dessen Eltern sich im März 1945 in unermüdlicher Weise um die Unterbringung der Treckteilnehmer bemüht hatten, auch nicht kommen konnte. Ein besonderer Gruß galt der „Seniorin“, Elfriede Lilienthal, die zwei Tage zuvor ihren 95. Geburtstag gefeiert hatte. Traditionsgemäß waren aber die Kinder des Fürsten erschienen, Graf Fritz und seine Schwestern die Gräfinnen Dr. Sophie und Alexandra zu Dohna-Schlobitten.

Nach dem Essen hielt der Graf einen Vortrag über die Flucht. Es war wohl der einzige große ostpreußische Treck, der einigermaßen vollständig im Westen Deutschlands ankam. Das war vor allem der sorgfältigen Planung aller notwendigen Vorbereitungen, die Alexander Fürst zu Dohna-Schlobitten gemacht und veranlasst hatte, zu verdanken.

Es sind nun mehr als 64 Jahre her, dass Flucht und Vertreibung  aus der angestammten Heimat begann und manche Erinnerungen an diese so schwere Zeit sind inzwischen verblasst.

Am Sonntag, 21. Januar 1945, kam abends der Befehl zur Flucht. In aller Eile wurden die wenigen Sachen, die man mitnehmen konnte, auf die Wagen verladen, und schon um 5 Uhr morgens setzte sich der Treck in Bewegung. Zuvor waren die Hufeisen der Pferde überprüft und Stollen eingeschraubt worden, die das Ausrutschen der Pferde auf dem gefrorenen Untergrund und den verschneiten Straßen weitgehend verhindern sollten. Beim Beschlagen der Pferde in Prökelwitz halfen auch russische Kriegsgefangene, die bis zum Abrücken der Wagen unermüdlich arbeiteten, dann aber zurückbleiben mussten und die – wie wir heute wissen – ein ungewisses Schicksal erwartete. Die Gespanne – sowohl zwei- als auch vierspännig gefahren – wurden von unseren französischen Kriegsgefangenen und auch den Jungen, die zum Dienst im „Volkssturm“ noch zu jung waren, gelenkt. Es waren 250 Leute, 108 Pferde und 33 Wagen, die einer ungewissen Zukunft entgegenfuhren.

Der erste kritische Streckenabschnitt für den Prökelwitzer Treck war der steil ansteigende Berg vom Christburger Marktplatz in Richtung Altfelde. Bei den zweispännig gefahrenen Wagen wurden zwei Pferde vorgespannt, und so gelang es, alle Wagen auf die Anhöhe zu ziehen. Auf verschiedenen Wegen gelangte man dann nach Marienburg, wo sich alle Wagen wieder trafen, um über die Nogatbrücke bei Kalthof zu fahren, die – entgegen allen Befürchtungen – leer war. Hinter der Brücke mussten die meisten Leute im Freien übernachten, weil nur für wenige in der Schule Platz war. Es waren Minus 22 Grad, und es schneite fast ununterbrochen.

Kritisch wurde es dann bei der Dirschauer Brücke über die Weichsel, die schon zur Sprengung vorbereitet war. Ein übereifriger Wehrmachtsangehöriger verweigerte die Fahrt über die Brücke und gab sie erst frei, als er mit vorgehaltener Pistole dazu gezwungen wurde.

Der Fürst hatte die Treckroute so gewählt, dass die einzelnen Etappen möglichst auf einem großen Gut endeten, weil nur die Güter in der Lage waren, so viele Menschen und Pferde unterzubringen und zu versorgen. Außerdem führte die Treckroute weit nördlich an Berlin vorbei über kleinere Landstraßen, weil der Fürst zu Recht befürchtete, dass die sowjetische Armee so schnell wie möglich Berlin erobern wollte und deshalb in seiner unmittelbaren Umgebung viele Truppenbewegungen stattfinden würden. Es war außerdem das Ziel, möglichst weit in den Westen zu fahren, weil nicht abzusehen war, wie weit die sowjetische Armee gen Westen vorstoßen würde. In Pommern schon wurde beschlossen, möglichst nur noch nachts zu trecken, weil man dann am frühen Morgen die Chance hatte, ein Quartier zu finden, das von voreilenden Trecks gerade verlassen worden war. Unterwegs schlossen sich noch andere Flüchtlingsströme dem Schlobitter/Prökelwitzer Treck an, der schließlich auf 600 Menschen und 60 Wagen anwuchs.

Nach dem Vortrag kam Professor Christian Holland zu Wort. Er war mit seiner Gattin – gewissermaßen in Vertretung seines Vetters Peter Adrian – gekommen, und das hatte seine besondere Bewandtnis. Peter Adrian, der heute in New York lebt, wurde in Altstadt geboren und war der Enkel von Pastor Heinrich Severin Holland, der von 1889 bis 1926 die Pfarrstelle in Altstadt innehatte. Als seine Eltern von Altstadt wegzogen, besuchte er seinen Großvater häufig in den Ferien und spielte so oft er konnte und voller Leidenschaft die schöne Barockorgel in der Kirche. Zur Gemeinde Altstadt gehörten auch die Bewohner von Prökelwitz und seinen Vorwerken. Die Orgel wurde 1796 installiert, 1863  umgebaut und hatte einen besonders schönen Klang.

Peter Adrian besuchte 2008 die Stätten seiner Kindheit und fand voller Wehmut eine fast vollständig zerstörte Orgel vor. Nach Treffen mit dem heute zuständigen Pastor Czajkowski aus Christburg (heute Dziersgon) und dem Elbinger Bischof beschloss er kurzerhand, die Orgel wieder restaurieren zu lassen und beauftragte einen Orgelbauer aus der Gegend von Dresden damit. Zugleich forschte er nach seinen deutschen Verwandten, auf deren Stammbaum ein weißer Fleck war, weil niemand genau wusste, wo „die Adrians“ geblieben waren. Seine Eltern waren nach dem Zweiten Weltkrieg nach Südamerika ausgewandert, er selbst ging später nach New York. So führte der Plan, die Altstädter Orgel, die den Namen seines Großvaters tragen wird, wieder erklingen zu lassen, zur Familienzusammenführung und zugleich zum Löschen des „weißen Flecks“ im Familienstammbaum.

Die Finanzierung der Restauration übernehmen Peter Adrian und seine Familienangehörigen vollständig. Aus steuerrechtlichen Gründen geschieht dies über ein Spendenkonto, das die Kreisgemeinschaft Mohrungen eröffnet hat. Es haben sich inzwischen viele aus unserem Kreis gemeldet, die dieses Projekt begrüßen und befürworten. Es ist geplant, die Orgel in einer besonderen Feierstunde der polnischen Gemeinde am ersten oder zweiten Wochenende im Oktober dieses Jahres zu übergeben.
Es war wieder schön, sich zu treffen und viele Gespräche führen zu können, in denen die Heimat natürlich eine große Rolle spielte. Alle hoffen, dass im kommenden Jahr, am 4. Juli 2010, wieder mehr Landsleute kommen können und freuen sich auf das Wiedersehen.         Winfried Brandes

Foto: Verbunden weit über das Erlebte hinaus: Die Familie derer zu Dohna-Schlobitten und die Bewohner von Schlobitten und Prökelwitz         Bild: W.B.


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